Digitale Nachhaltigkeit: Von Anreizen, Regeln und Verboten

Die Verbraucher zu einem nachhaltigeren Handeln zu bewegen, genügt nicht. Die Politik muss untere Einkommensgruppen und die Unternehmen in den Fokus nehmen.

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(Bild: cybrain/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Welche Hebel sind für eine nachhaltige Digitalisierung am effektivsten? Um diese Frage drehte sich alles auf der ersten Tagung der Initiative D21 zu "Digitalisierung und Nachhaltigkeit". Für die Geschäftsführerin der Initiative D21, Lena Sophie Müller, ist die "digitale Nachhaltigkeit die große Gestaltungsaufgabe dieser Dekade", denn "Digitalisierung ist die größte Gestaltungskraft, die uns zur Verfügung steht."

Tilman Santarius, Professor für Sozialökologische Transformation und nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin, hingegen ist skeptisch: Eine Analyse der OECD-Länder habe gezeigt, dass "eine stärkere Digitalisierung in der Vergangenheit eher mit höheren Emissionen einherging". Stefan Schnorr, Staatssekretär im FDP-geführten Bundesministerium für Digitales und Verkehr, kündigte an, dass die Digitalstrategie der neuen Bundesregierung das Thema der Nachhaltigkeit "prominent aufgreifen" werde. Er zeigte sich zuversichtlich, dass "smarte Lösungen" zu einer Verringerung des Energieverbrauchs beitragen werden.

Die auf der Tagung vorgestellte D21-Umfrage zum "Einfluss der Digitalisierung auf die Umwelt" fokussiert sich auf die Frage, wie Handlungen und Entscheidungen der BürgerInnen eine nachhaltige Digitalisierung beeinflussen können. 21 Prozent der 2.024 befragten Personen über 14 Jahre sehen darin nämlich "den größten Hebel". 20 Prozent erwarten von der Politik "Maßnahmen und Regulierungen", 18 Prozent "wirtschaftliche Maßnahmen". Immerhin 33 Prozent sehen die "wissenschaftliche Forschung zu neuen Technologien und Innovationen" als größten Hebel.

Die Studie hebt auf die Kluft zwischen Wissen und Handeln bei einzelnen Verbrauchern ab, dem sogenannten Action-Value-Gap: 32 Prozent der Befragten geben an, dass es ihnen "sehr schwerfallen" würde, "zur Schonung der Umwelt mein eigenes digitales Verhalten zu ändern." 47 Prozent geben an, dass ihnen bei Online-Käufen oft die Informationen dazu fehlen, welchen Einfluss der Kauf auf die Umwelt hat.

22 Prozent bewahren alte Smartphones und Computer zu Hause auf, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen. Das zeigte sich bereits in früheren Studien: Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom von 2021 sollen über 200 Millionen Handys unbenutzt in deutschen Schubladen liegen, 2018 waren es 124 Millionen. Nur 42 Prozent der Geräte werden nach Angaben des Europäischen Parlaments in der EU recycelt.

Müller liest daraus ab: "Das Problembewusstsein in der Bevölkerung ist durchaus vorhanden, aber es scheint einfach vielen Menschen schwer zu fallen, das auch in eine Handlung zu überführen." Man müsse daher "die Menschen und die Gesellschaft ein Stück weit auch mobilisieren und sie auf diesem Weg mitnehmen." Denn ihre Akzeptanz sei nötig für "die notwendigen politischen Maßnahmen oder vielleicht auch die Maßnahmen seitens der Wirtschaft". Als D21-Initiative-Geschäftsführerin ist für sie klar: "Wir brauchen zielgruppengerecht Kommunikationskampagnen über die Wechselwirkung von Digitalisierung und ökologischer Nachhaltigkeit." Man müsse "mehr und richtige Anreize setzen, die Verbraucherinnen selbst konkret etwas beitragen können". Die "positive Kommunikation" müsse "nicht nur auf die Kosten und auf den Verzicht abstellen", sondern "vor allem auch die Vorteile und die Notwendigkeit erklären".

Der Nachhaltigkeitsexperte Tilman Santarius betonte, "dass die Menschen eben im Moment des Kaufs, wo sie haben, wo sie online auch ein Produkt erwerben wollen, einfach die nachhaltige Alternative gar nicht kennen, nicht gezeigt bekommen oder wenn sie sie angezeigt bekommen, keine ausreichenden Informationen erhalten." Zusammen mit der Suchmaschine Ecosia arbeite man im Projekt "Green Consumption Assistant" daran, das zu ändern.

Die an der Diskussion teilnehmende Neurowissenschaftlerin Frederike Petzschner erinnerte hingegen daran, dass Menschen die meisten Entscheidungen unterbewusst fällten. Das Bedürfnis nach soziale Anerkennung sei dabei wichtiger als Geld. Die von Müller geforderte Aufklärungsarbeit sei daher zu begrüßen, reiche jedoch nicht aus. Dabei brachte Petzschner das sogenannte Nudging ins Spiel, also Anreize, die Emotionen oder Assoziationen der Verbraucher zu Nachhaltigkeit ändern. Es ginge darum, Entscheidungen zu mehr Nachhaltigkeit "automatisch in den Alltag zu integrieren".

Politiker Stefan Schnorr verwies in diesem Zusammenhang auf den Standby-Modus von Geräten: "Manche Geräte können sie gar nicht ausschalten, da können sie nur den Stecker ziehen. Da macht sich der Mensch wahrscheinlich darüber gar keine regulatorischen Gedanken, dass so ein Gerät einen Ausschaltknopf haben muss." Der Markt werde hier "vieles bereitstellen", glaubt Schnorr. Die Unternehmen würden mit Blick auf ein gutes Image nachhaltig sein wollen. Es gehe darum, "Investitionen in Innovation zu fördern" und den Verbrauchern mehr Informationen über den Ressourcenverbrauch von Digitalisierung bereitzustellen. Als Regierung müsse es darum gehen, "den Weg zu begradigen, um die Eigenverantwortung der Menschen zu beflügeln".

Die vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte und zahlreichen Digital-Unternehmen unterstützte D21-Studie geht nicht den wissenschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten nach, sondern stellt die "individuellen Handlungen" der Verbraucher in den Fokus. Anders als bei Digital-Umfragen üblich, so Müller, waren allerdings in den Antworten keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Generationen zu erkennen. Auf die im Rahmen der Debatte zur Bildungsgerechtigkeit, aber auch zur sozialen Klimagerechtigkeit adressierte Höhe der verfügbaren Einkommen, die maßgeblich auch über die Höhe des CO2-Konsums bestimmt, ging die Studie nicht ein.

Die Frage des Einkommens ist jedoch relevant: Mit Blick auf die unterschiedlichen Konsummöglichkeiten der Haushalte könnten nachhaltige Produkte gezielt subventioniert werden und damit automatische Nachhaltigkeit erreicht werden, so Frederike Petzschner von der Brown University in den USA in einem Diskussionsbeitrag. Müller sieht die Frage der Haushaltseinkommen als "ganz wichtigen Hinweis": "Wir müssen da noch mal in die Auswertung gehen." Sie betonte mit Blick auf die Ausrichtung der Studie auf die Verbraucher, dass eine "sehr große Verantwortung bei den politischen Entscheidungsträgern und bei den Entscheidungsträgern der Wirtschaft" liege. Digitale Nachhaltigkeit könne "nur mit einer Kreislaufwirtschaft funktionieren, gestützt durch digitale Prozesse."

Unterstützung erhielt Müller dabei von Tilman Santarius, der forderte: "Wir müssen die Unternehmen intensiv adressieren, Digitalisierung für Nachhaltigkeit möglich zu machen." Es sei ja schön, wenn Unternehmen durch Digitalisierung Energie- und Prozesskosten einsparen könnten, der Ökostrom aber noch immer teurer sei als Strom aus fossilen Quellen. Die Frage an die Politik sei daher, wie man Unternehmen zu Investitionen in Ökostrom bewegen könne.

Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer:innen darin, dass Nachhaltigkeitslabel weiterentwickelt werden müssten. Frederike Petzschner sagte, es gehe darum, "sich zu überlegen, wie viel Aufwand ist der Einzelne bereit zu betreiben, um herauszufinden, ob eine Handlung jetzt gerade nachhaltig ist oder nicht." Deswegen gebe es Nachhaltigkeitslabel wie den Blaue Engel. Man könne auch CO2-Kompensationen automatisiert in den Flugpreis integrieren, was die Politik regulatorisch unterstützen könnte. Dabei seien jedoch auch Rebound-Effekte zu berücksichtigen.

Schnorr verwies in diesem Zusammenhang auf den "Runden Tisch Nachhaltigkeit", der solche Vorschläge einsammele. Dazu gehöre auch eine Default-Funktion für Streamingdienste für eine niedrigere, energiesparendere Auflösung, die sich für das Handy eigne. Der Nutzer mit einem größeren Display könne dann bewusst entscheiden, ob er eine höhere Auflösung brauche. Für das Digitalministerium sagte Schnorr: "Der Wille, hier etwas zu machen, ist sehr, sehr ausgeprägt."

Das Nachhaltigkeits-Labeling sei "eine super Idee" - das Bio-Labeling bei Lebensmitteln habe ja bereits breite Akzeptanz gefunden: "Wir können hier mit freiwilligen Labeling, aber mit klaren Prinzipien, mit freiwilligen Dingen schon eine ganze Menge erreichen."

Tilman Santarius erinnerte daran, dass Öko-Labeling allein nicht helfen werde. Mögliche Einsparungen bei der Heizung etwa würden rasch durch neue Stromverbraucher wie digitale Gadgets kompensiert. "Diese Effekte bekommen wir nicht nur durch Aufklärung hin. Da brauchen wir viel stärkere politische Steuerung." Im Koalitionsvertrag habe die Bundesregierung zur Digitalisierung bereits einen kleinen Extraabschnitt formuliert, der aber noch nicht reiche. Zum einen müsse der CO2-Fußabdruck des digitalen Sektors verringert werden, zum anderen müsse man stärker in die Sektoren hinein und dort dann die Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende vorantreiben. Dort könnten digitale Lösungen transformative Effekte zeigen. Außerdem müssten Nachhaltigkeitsziele in digitale Digitalisierungspolitik eingebaut werden.

(bme)