Nachholbedarf für Blackout-Szenario – Notstrom und Sirenen gefragt
Ein größerer Blackout galt in Deutschland lange als abwegig. Jetzt wollen sich Länder und Kreise besser wappnen. Dabei geht es nicht nur um fehlende Technik.
Krisenstäbe arbeiten an einer Notfallplanung: Wo stehen Länder und Landkreise im Fall eines flächendeckenden Stromausfalls? Der Deutsche Städtetag schätzte einen Blackout angesichts der Energiekrise als realistisches Szenario ein, andere Experten halten einen längeren und flächendeckenden Stromausfall für unwahrscheinlich. "Wenn es kommt, sind wir ziemlich blank", meinte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), dessen Haus die Vorbereitungen für den schlimmsten anzunehmenden Fall vorantreibt. "Es fehlt noch an vielem, wir arbeiten intensiv daran", sagte Stübgen.
Zu wenig mobile Notstromaggregate
Eine erste Prüfung in den Kreisen ergab, dass die Zahl mobiler Notstromaggregate nicht ausreicht, wie der Präsident des Landkreistages, Siegurd Heinze (parteilos) mitteilte. Die Geräte sind unter anderem für die Treibstoffversorgung, also Tankstellen, wichtig. Auch bei modernen Sirenen soll weiter nachgearbeitet werden.
Züge können stehen bleiben, Supermärkte bleiben zu, Herd, Kühlschrank und Telefon funktionieren nicht – nur einige Beispiele, die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) für den Fall eines längeren Stromausfalls schildert. Dazu kommen Auswirkungen für Krankenhäuser, die besonders geschützt sein sollen.
"Mit unseren zwei großen Schiffsdiesel-Notstromaggregaten haben wir bei vollem Dieseltank eine Reichweite von etwa sieben bis zehn Tagen für die Notstromversorgung – je nach Energieabruf", sagte der Geschäftsführer des Klinikums Ernst von Bergmann in Potsdam, Hans-Ulrich Schmidt, der dpa. "Damit können wesentliche Bereiche des Klinikums mit Strom versorgt werden." Nach einer Erhebung des Deutschen Krankenhaus-Instituts (DKI) reicht die Überbrückung mit einer Notstromversorgung bei mehr als der Hälfte der Krankenhäuser (59 Prozent) nur für wenige Tage.
Probleme durch hohe Nachfrage
Auch Katastrophenschutz- und Hilfsorganisationen sollen im Krisenfall vor allem sogenannte Kritische Infrastruktur wie etwa die Trinkwasserversorgung aufrecht erhalten. Dem Technischen Hilfswerk stehen nach eigenen Angaben bundesweit 4900 Stromaggregate und mehr als 600 Netzersatzanlagen zur Verfügung. Brandenburg hält in einem zentralen Katastrophenschutzlager in Beeskow (Oder-Spree) zudem Ausrüstung bereit. Gegen einen Ausfall des Digitalfunks für Sicherheitsbehörden will sich das Land mit neuen Dieselaggregaten und Brennstoffzellen bis 2023 wappnen. Es kann laut Innenminister Stübgen wegen hoher Nachfrage aber auch Lieferengpässe geben.
Sicherheit und Ordnung könnten zusammenbrechen, wenn ein flächendeckender Blackout mehr als 30 Stunden dauere, meinte der Landrat des Landkreises Barnim, Daniel Kurth (SPD), der selber als Ehrenamtlicher die Katastrophenschutz-Arbeit kennt. "Ich kann nicht für 192.000 Einwohner in meinem Kreis die Stromversorgung sicherstellen." Kurth will seine Region jetzt besser auf einen möglichen Ernstfall vorbereiten. "Wir müssen unsere Jobs machen in den öffentlichen Verwaltungen. Dialyse-Patienten haben keine Zeit, dass wir uns 48 Stunden überlegen, was wir mit ihnen machen. Für die müssen wir Antworten haben, und zwar relativ zügig."
Auch Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) schafft neue Technik für einen bessern Katastrophenschutz an. "In Deutschland reden wir zwar viel drüber momentan. Wir machen aber eigentlich nur unsere Hausaufgaben, die wir in den letzten Jahren auf kommunaler Ebene ein Stück nach hinten geschoben haben", sagte Schubert, der unter anderem ein Katastrophenschutzzentrum entwickeln will.
Plädoyer für Solidarität im Ernstfall
Die Landkreise setzen aber auch auf die Selbsthilfe der Bevölkerung und raten, zu den Tipps des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zu greifen. Dabei geht es um einen Lebensmittel-Vorrat zu Hause und alternative Energiequellen. Das BBK berichtete bereits von einem breiten Interesse an privater Notfallvorsorge.
"Wenn alle ein Stück mitmachen, ist in der ersten Zeit das Chaos noch gar nicht so groß", sagte Landrat Kurth. "Die Leute dürften auch nicht in Panik geraten, nur weil die Bankautomaten nicht funktionieren." Im Ernstfall gehe es auch um Solidarität in der Gesellschaft, ein "Unterhaken", appellierte der Landrat. Sein Kollege im Oberspreewald-Lausitz, Siegurd Heinze, berichtete, die Kommunen könnten zentrale Anlaufpunkte für die Bevölkerung ausweisen. Aber auch jede Bürgerin und jeder Bürger solle sich einmal bewusst mit einem möglichen, länger andauernden Stromausfall auseinandersetzen.
Neuer Warntag geplant
Nach den Erfahrungen während der Flutkatastrophe in Westdeutschland 2021 und möglichen Risiken als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurden zur Warnung der Bürger auch mehr moderne Sirenen installiert. Laut Landrat Heinze sollen sie so ausgestattet sein, dass sie eben auch ohne Strom ertönen können. In Brandenburg wird die Fertigstellung aller Sirenen erst bis September 2023 umgesetzt sein, wie das Innenministerium mitteilte. Mit dem Förderprogramm des Bundes seien bisher 192 neue Sirenen dazu gekommen, 2600 solche Alarmgeräte gab es bereits vor der Flutkatastrophe. Der Innenminister forderte, die Bundesregierung solle auch 2023 Geld dafür bereitstellen.
Ob das Warnsystem im Krisenfall Schwachstellen hat, kann sich beim bundesweit geplanten Warntag am 8. Dezember zeigen. Dann wird nach einiger Verzögerung ein neues Katastrophen-Warnsystem per Cell Broadcast getestet, nachdem 2020 ein bundesweiter Probealarm schief gegangen war. Alle Handynutzer, die sich zu einer bestimmten Zeit im Bereich einer Funkzelle aufhalten, sollen am 8. Dezember um 11 Uhr eine Mitteilung, die wie eine SMS aussieht, erhalten. Aber auch Sirenen können zur Probe aufheulen – wenn sie einsatzfähig sind.
(mho)