zurück zum Artikel

Netzwerkdurchsetzungsgesetz vs. regulierte Selbstregulierung

Torsten Kleinz
Justizminister Heiko Maas

(Bild: dpa, Oliver Berg)

Kurz vor der geplanten Verabschiedung stößt das geplante NetzDG gegen Hassrede in sozialen Netzwerken auf wenig Zustimmung. In einer Diskussion in Köln bevorzugten Branchenvertreter stattdessen das Modell einer regulierten Selbstregulierung.

Beim Kölner Mediensymposium [1] an der Technischen Hochschule Köln zeichneten Branchenvertreter am Dienstag ein düsteres Bild, falls das Netzwerkdurchsetzungsgesetz [2] in der jetzigen Form Ende Juni vom Bundestag beschlossen werden sollte. Selbst Fürsprecher sehen schwere handwerkliche Mängel, die dazu führen könnten, dass Betreiber sozialer Netzwerke Inhalte präventiv löschten oder Diskussionsmöglichkeiten gar nicht erst zuließen.

Günter Krings, CDU-Bundestagsabgeordneter und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesinnenministerium verteidigte das Vorhaben der Bundesregierung. "Den gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu leugnen, ist schwierig", sagte Krings angesichts der Ergebnisse eines umstrittenen Monitoring-Berichts von jugendschutz.net [3], laut dem insbesondere Facebook und Twitter illegale Inhalte nur unzureichend löschten.

Mehr zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Gleichwohl sehe auch er viele Mängel an dem Gesetzentwurf aus dem Hause des Bundesjustizministers Heiko Maas (SPD). "Auch wenn die Kritik von mir geteilt wird, heißt das nicht, dass der Verzicht auf eine Regelung die bessere Regelung wäre", sagte Krings in Köln. Würde das Vorhaben in die nächste Legislaturperiode geschoben werden, würde das Gesetz wohl erst 2018 fertig. Ob die dann getroffenen Regeln wesentlich besser wären, sei zweifelhaft. Stattdessen plädierte Krings dafür, das Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden und anschließend angesichts der Praxiserfahrungen zu überarbeiten. "Dies wird ein Paradebeispiel für die Gesetzbeobachtungspflicht des Bundestags", erklärte Krings.

Mit dieser Haltung stand Krings alleine. Arnd Haller, Leiter der Rechtsabteilung von Google Nordeuropa, kritisierte die als Handlungsgrundlage zitierte Studie als irreführend. "Sobald jugendschutz.net sich direkt an das Unternehmen gewandt hat und nicht nur irgendwelche Fähnchen geklickt hat, wurde alles gelöscht", betonte Haller. So seien viele Betreiber sozialer Netzwerke schon heute sehr engagiert in Sachen Hassrede und Fake-News. Es handele sich nur um einen kleinen Promille-Bereich von Inhalten, der in Frage stehe. Und im Graubereich seien Unternehmen zuweilen überfordert: Ob zum Beispiel das Spottgedicht des Comedians Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten gelöscht werden müsse, sei nicht eindeutig.

Die vorgeschlagenen Regelungen mit Bußgeldern bis zu 50 Millionen Euro und einer extrem kurzen Handlungsfrist seien jedoch kontraproduktiv. "Wir werden uns den Luxus leisten, neue Prüfer einzustellen", erklärte Haller für seinen Arbeitgeber. Andere Unternehmen könnten jedoch den kostspieligen und dennoch höchst fehleranfälligen Prozess scheuen und stattdessen eine rigide Löschpolitik einführen, bei der Inhalte ohne nähere Prüfung auf Zuruf gelöscht werden. "Das Internet würde zwar eine 'bessere Welt', aber eine echte Kommunikation fände nicht mehr statt", erklärte Haller.

Dass die Bußgelder einen solchen Effekt haben müssten, bezweifelte Thomas von Danwitz, Kammerpräsident am Europäischen Gerichtshof. So sehe der aktuelle Gesetzentwurf hohe Strafen nur vor, wenn sich ein Unternehmen weigere, überhaupt die notwendigen Beschwerdeprozesse einzurichten. Auch werde von den Unternehmen nicht verlangt, dass die ähnlich kompetent und sorgfältig argumentieren müssten wie Gerichte, wenn sie über die Löschung von Inhalten entschieden. So genüge es dem Gesetz, wenn einige Mitarbeiter mehrheitlich entschieden, ob ein Inhalt eindeutig rechtswidrig sei.

Mehr Infos

Der Richter warnte auch davor, die vorhergehende EuGH-Entscheidung, die das so genannte Recht auf Vergessen [10] begründet hatte, zu verabsolutieren. So habe das Gericht keineswegs vorgehabt, unangenehme Äußerungen im Internet gänzlich zu unterbinden. Das durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union begründete Löschverbot sei eben nur auf Suchmaschinen bezogen gewesen. Gehe es hingegen um Beiträge in sozialen Netzwerken, sei auch das Recht eines Nutzers auf freie Meinungsäußerung abzuwägen. "Wir haben uns bemüht darauf hinzuweisen, dass es auf die spezielle Kollisionslage der Interessen ankommt", betonte der Richter.

Doch diese allgemeinen Erwägungen beruhigten Branchenvertreter nicht. Marie-Teresa Weber, die beim Branchenverband Bitkom für Medienpolitik verantwortlich ist, machte handwerkliche Fehler des Gesetzentwurfs geltend. So sei das Bußgeld in einem ersten Entwurf auch für falsche Einzelfallentscheidungen vorgesehen gewesen. Auch kurz vor der geplanten Abstimmung Ende Juni im Bundestag sei auch immer noch unklar, ob das Gesetz nur für eine Handvoll Plattformen oder für eine unüberschaubare Anzahl von Unternehmen gelten würde.

Auch Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, bezweifelte den dringenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers. So sei zum Beispiel überhaupt nicht klar, wie groß das Problem überhaupt sei. Eine Regelung, die zu einer schnellen Löschung zweifelhafter Beiträge führe, sei auch kontraproduktiv: "Der Täter versteht nicht, warum sein Beitrag gelöscht wird". Dies verfestige den Eindruck einer gesteuerten Zensur, die legitime Kritik unterdrücke. Die Täter würden nicht damit konfrontiert, dass sie eine Straftat begangen hätten. Deshalb plädierte Schmid dafür, die bestehenden Gesetze häufiger anzuwenden.

Als Alternative zum jetzt vorliegenden Netzwerkdurchsetzungsgesetz plädierte Schmid zudem für ein Modell regulierter Selbstregulierung, ähnlich dem System des Jugendschutzes. So könnten Anbieter unter staatlicher Aufsicht einen Kodex für ihre Plattformen entwickeln und gemeinsame Stellen schaffen, die in schwierigeren Fällen über die Zulässigkeit von Beiträgen entschieden. Die staatliche Medienaufsicht könne die Effektivität eines solchen Systems überprüfen. Ein solches Konzept wurde auch von mehreren anderen Teilnehmern des Kölner Mediensymposiums unterstützt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes Video (Kaltura Inc.) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Kaltura Inc.) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung [11].

(kbe [12])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3743152

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.th-koeln.de/hochschule/im-zweifel-auch-fuer-den-hass--koelner-mediensymposium_44647.php
[2] https://www.heise.de/news/Netz-DG-EU-Kommission-begruesst-deutsches-Vorgehen-gegen-Hate-Speech-3740069.html
[3] https://www.heise.de/news/Netzwerkdurchsetzungsgesetz-jugendschutz-net-verteidigt-seinen-Monitoring-Bericht-3732410.html
[4] https://www.heise.de/news/Netzwerkdurchsetzungsgesetz-Schwarzer-Tag-fuers-freie-Internet-3676315.html
[5] https://www.heise.de/news/Internetfreiheiten-im-Koma-Bundesregierung-befuerwortet-Netzwerkdurchsetzungsgesetz-3675569.html
[6] https://www.heise.de/news/Neuer-Entwurf-des-Netzwerkdurchsetzungsgesetzes-Frontalangriff-auf-das-Vertrauen-im-Internet-3668533.html
[7] https://www.heise.de/news/Maas-Gesetz-Kritik-auch-aus-der-Regierungskoalition-3678830.html
[8] https://www.heise.de/news/Ende-der-Anonymitaet-im-Netz-Maas-verschaerft-Gesetzesentwurf-gegen-Hate-Speech-3668265.html
[9] https://www.heise.de/news/Netz-DG-EU-Kommission-begruesst-deutsches-Vorgehen-gegen-Hate-Speech-3740069.html
[10] https://www.heise.de/news/Ein-Jahr-Recht-auf-Vergessen-Google-Eintraege-loeschen-2732371.html
[11] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html
[12] mailto:kbe@heise.de