Neues aus dem Make-Labor: Das unhörbare Vibrato

In unserer neuen Mittwochs-Rubrik berichten wir über spannende Erkenntnisse, neue Bauteile und Tools, raffinierte Schaltungskniffe und zukünftige Projekte.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Carsten Meyer

Das hat man nun davon: Kaum hatte ich die Idee einer ständigen Rubrik über unseren Labor-Alltag in unserer wöchentlichen Videokonferenz nebensätzlich erwähnt, war ich auch schon eingespannt. "Du hast doch die längste Erfahrung", war das Argument – ein euphemistischer Seitenhieb auf meinen gerontologisch fortgeschrittenen Zustand.

Nun gut – womit fangen wir an? Vielleicht gleich mit einer der oben versprochenen erstaunlichen Erkenntnisse. Tatsächlich habe ich kürzlich an meinem (zugegebenermaßen nicht mehr ganz taufrischen) Gehör zweifeln müssen, als ich ein wenig mit dem Nanosynth und der Baumarkt-Orgel, beides ältere Make-Projekte, herumgespielt habe.

Für das FPGA der Obi-Orgel wollte ich ein neues Vibrato programmieren, das den Scanner der emulierten Hammond B3 noch detallierter nachbildet. Weil es recht spät war und der nur durch eine Leichtbauwand von meiner Werkstatt getrennte Nachbar womöglich schon selig schlummerte, setzte ich zum Vergleichshören einen Kopfhörer auf. Mein schönes Vibrato war weg. Na ja, vielleicht hatte die FPGA-Entwicklungsumgebung ein Register im FPGA versehentlich wegoptimiert – also Neusynthese mit der Xilinx ISE, die dafür so lange braucht wie ich für die Zubereitung einer Tiefkühlpizza einschließlich Vorheizen des Backofens.

Keine Hammond: Unsere Baumarkt-Orgel hat im Laufe der Zeit auch einige kosmetische Updates erhalten.

Als ich den Teller auf der Orgel-Tastatur ablegte (die einzige waagerechte Fläche, die nicht von irgendwelchem Krempel bedeckt war), hörte ich aus dem achtlos auf dem Labortisch deponierten Kopfhörer einen kakophonischen Akkord, aber mit sattem Vibrato. Kaum hatte ich den zur Kontrolle aufgesetzt, war es wieder weg. Stimmte etwas mit der Pizza Funghi nicht, oder sollte man mit einem Kopfhörer tatsächlich kein Vibrato hören? Probe aufs Exempel: Sinuston auf meinem HP3325B-Funktionsgenerator stark mit 6Hz frequenzmoduliert: überdeutliches Leiern über Lautsprecher, über Kopfhörer nur ein stationärer Ton. Eine Amplitudenmodulation bleibt dagegen immer hörbar, auch eine Frequenzmodulation mit sehr niedriger Frequenz (bei mir maximal 3 bis 4Hz). Hier ein heftiges Vibrato zum Probehören – spielen Sie es einmal über Lautsprecher und einmal über Kopfhörer ab: fm-vibrato.mp3

Zum Glück war ich nicht der einzige, dem es so erging: Verschiedene Probanden hörten am nächsten Tag ebenfalls kein Frequenzvibrato über Kopfhörer. Hier die Erklärung: Was man an einem Frequenzvibrato hört, sind Amplitudenmodulationen, die durch frequenzabhängige Überlagerungen der stehenden Welle im Abhörraum entstehen. Beim Abhören über Kopfhörer gibt es keine Überlagerungen, ergo auch keinen Vibrato-Effekt. Übrigens hilft schon ein geringfügig zugemischter Nachhall, um den gleichen Effekt zu erreichen; auch mit einem Noise-Cancelling-Kopfhörer vernimmt man das Vibrato. Hier meine späte Erleuchtung: Der Mensch hört kein Frequenzvibrato. Und: Niemals Musikelektronik über Kopfhörer beurteilen.

(cm)