Notruf online: Die Internetwache der Polizei

Bei Delikten und Verdachtsmomenten soll die Polizeiwache im Internet die Wege zu einer Anzeige verkürzen und Hemmschwellen senken; in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen sind die Internetwachen mittlerweile rund um die Uhr besetzte Online-Präsenzen.

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Von
  • Sascha Reimann
  • dpa

Das Internet erfasst zunehmend mehr Lebensbereiche. Nun will die Polizei das Medium verstärkt zur Gefahrenabwehr nutzen. Waren bisher meist nur Online-Anzeigen möglich, die auf dem normalen – und nicht immer schnellen – Dienstweg bearbeitet werden, gehen Brandenburg und seit Anfang des Jahres auch Nordrhein-Westfalen (NRW) einen Schritt weiter. Wie beim bekannten Notruf 110 leisten dort die so genannten Internetwachen unter www1.polizei-nrw.de/internetwache beziehungsweise www.internetwache.brandenburg.de auch bei Notfällen schnelle Hilfe.

Bei Delikten und Verdachtsmomenten soll die Polizeiwache im Internet die Wege zu einer Anzeige verkürzen und Hemmschwellen senken. "Die Internetwache ist ein Angebot, das den veränderten Kommunikations- und Sozialverhalten gerade auch junger Menschen entgegenkommt", sagt Wolfgang Beus, Pressesprecher des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Die Menschen seien über das Internet eher bereit, Anzeige zu erstatten oder Hinweise zu geben. Anders als die in einigen Ländern zum Teil schon seit Jahren mögliche Online-Anzeige ist die Internetwache kein bloßes elektronisches Formular, sondern eine rund um die Uhr besetzte Online-Präsenz. Kriminalbeamte nehmen die per E-Mail eingehenden Anzeigen nicht nur entgegen, sondern bewerten sie auch und leiten sie an die zuständigen Polizeistellen weiter, die dann bei Bedarf auch sofort in Aktion treten können, erklärt Beus.

Wolf fordert eine "Kultur des Hinsehens", betont aber zugleich, dass er kein "Denunziantentum" fördern möchte. Genau das befürchten jedoch Kritiker, wenn für eine Anzeige nur noch ein Mausklick nötig ist. Zu nahe liegt die Vermutung, der missgünstige Nachbar könne jede unvorschriftsmäßig gebratene Wurst in Echtzeit den Ordnungshütern melden. Schlimmer noch ist es, wenn rufschädigende Vorwürfe frei erfunden werden. "Alle Anzeigen werden genau geprüft. Die zuständigen Beamten sind in der Lage, die eingehenden Anzeigen richtig einzuschätzen", beruhigt Beus.

Auch Geert Piorkowski vom brandenburgischen Innenministerium in Potsdam gibt Entwarnung. In Brandenburg, das schon seit 2003 eine Internetwache unterhält, gehe der Anteil der Missbrauchsfälle unter den 20.000 bisher gemachten Meldungen "gegen Null". Mittlerweile gingen drei Prozent aller Anzeigen auf elektronischem Wege ein. Genaue Zahlen liegen nicht vor, aber die brandenburgische Polizei geht davon aus, dass ein beträchtlicher Teil der Delikte sonst nicht zur Anzeige gekommen wäre. "Das Dunkelfeld wird erhellt", so Piorkowski.

Anders als in Brandenburg sind bei der Internetwache in NRW anonyme Anzeigen nicht vorgesehen. Bürger, die Verdächtiges melden, Gewalttaten anzeigen oder auf Gefahren hinweisen möchten, müssen Namen und Adresse angeben. Außerdem kann die Internetkennung (IP) des benutzten Computers derzeit bis zu sechs Wochen lang zurückverfolgt werden. Grundsätzlich ist dies aber so lange möglich, wie die Provider die IP speichern.

Aus Sicht von Datenschützern ergebe sich durch die Internetwache aber keine grundsätzlich neue Situation, sagt Bettina Gayk, Presse-Referentin bei der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit von Nordrehin-Westfalen. Auch im Fall von telefonischen Anzeigen würden die Rufnummern protokolliert. Laut Gayk ist Anonymität vor dem Hintergrund möglichen Missbrauchs ohnehin nicht unproblematisch. Die Datenspeicherung diene auch dem Schutz der angezeigten Personen. Eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und der Datenschutzbeauftragten habe jedoch nicht stattgefunden. "Wir haben von der Internetwache durch die Presse erfahren." Eine Überprüfung werde nun vorgenommen.

Beus betont, dass niemand, der eine Anzeige macht, mit Unannehmlichkeiten zu rechnen habe, auch wenn sich der Verdacht später als falsch herausstellt. Auch werde niemand belangt, der eine rechtsextremistische oder kinderpornographische Seite meldet, solange er selbst keine verbotenen Inhalte herunterlädt. Ob die mit persönlichen Daten eher zurückhaltende Internetgemeinde dafür gewonnen werden kann, eine online angekündigte Mord- oder Selbstmordabsicht oder illegale Webseiten anzuzeigen, bleibt abzuwarten. "Wer ernst zu nehmende Befürchtungen hat, dem empfehle ich, sie auch zu melden", sagt Beus. (Sascha Reimann, dpa) / (jk)