OS/2 bekommt aktuellen Otter-Webbrowser

Bitwise Works GmbH und die holländische OS/2 VOICE haben zum kommenden Monatswechsel eine öffentliche Beta für den Otter-Browser unter OS/2 angekündigt.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Michael Plura
Inhaltsverzeichnis

Seit fünf Jahren arbeiten die Bitwise Works GmbH und die Organisation OS/2 VOICE daran, OS/2 und dessen Weiterentwicklungen eComStation und ArcaOS mit einem aktuellen Webbrowser zu versorgen. Nun hat Roderick Klein, Präsident von OS/2 VOICE mitgeteilt, dass die OS/2-Gemeinde in Kürze mit einer öffentlich verfügbaren Beta des auf Chromium-Engine (Google Chrome, Microsoft Edge, Vivaldi etc.) basierenden Browsers rechnen kann. Die Schnittstelle zum Desktop bildet die QtWebEngine.

Der Otter-Browser ist ein quelloffener und freier, plattformübergreifender Webbrowser, der dem Opera 12.x-Browser nachempfunden ist und das Qt-Framework nutzt. Er steht unter der GPL-3.0-Lizenz und ist für Windows, Mac OS X, GNU/Linux, FreeBSD und OpenBSD, Haiku und RISC OS erhältlich.

Als Alternativen kann man unter OS/2 bislang allenfalls Browser wie Firefox bis Version 49ESR oder Seamonkey einsetzen. Spaß macht das nicht, und vor allem funktionieren viele Webseiten dank allerlei modernem Funktionen auch gar nicht mehr in diesen Browsern. In der Praxis surfen viele OS/2-Enthusiasten notgedrungen mit Windows, Mac OS X, GNU/Linux oder einem der BSDs durch das Internet.

Totgesagte leben bekanntlich länger, weiß der Volksmund. Das trifft offenbar auch auf das in den späten 80ern von IBM und Microsoft veröffentlichte OS/2 zu. Von der 1987 veröffentlichten reinen 16-Bit-Version von OS/2 (1.0 noch ohne GUI) über das 32-bittige OS/2 2.0 gab es für die letzte Inkarnation IBM OS/2 Warp 4 "Merlin" von 1996 immerhin noch im Januar 2002 ein offizielles Update (Convenience Package 2). Danach fand eine schleppende Weiterentwicklung bis zur eComStation 2.1 (2011) in Lizenz von XEU.com BV (vormals Serenity Systems und Mensys BV, heute PayGlobal) statt.

Seit 2017 bekommt man das aktuellste OS/2, vor allem auch mit einigen modernen Treibern, in Form von ArcaOS 5 "Blue Lion" bei ArcaNoae. IBMs OS/2, eComStation und auch ArcaOS sind kommerzielle Produkte und nicht kostenlos erhältlich, das aktuelle ArcaOS 5.0.7 kostet als "personal edition" 129 US-Dollar. OS/2 und damit auch die eComStation oder ArcaOS werden wegen des geringen Treiber- und Softwareangebots kaum noch eingesetzt. OS/2-Enthusiasten, aber auch einige Banken, Versicherungen und Fluggesellschaften nutzen noch bestehende Installationen.

Fünf Jahre Entwicklung klingen heute, wo Web-Apps durch (möglichst große) Frameworks quasi am Wochenende zusammengeschustert werden, nach übertrieben viel Zeit. Dass dem nicht so ist, zeigt ein Blick auf die Umstände, unter denen der OS/2 Otter Browser entwickelt wird.

Die Bitwise Works GmbH aus Österreich ist zunächst für plattformübergreifende Firewall-Lösungen, aber auch für Entwicklungen und vor allem Portierungen von Software auf die OS/2-Plattform bekannt. Bitwise Works hat beispielsweise die ODIN-Bibliotheken (für Windows-Software unter OS/2), ältere Firefox-Versionen, QT-Bibliotheken, Java und den GCC auf OS/2 portiert.

Das Entwicklerteam besteht aus drei Leuten: Silvan Scherrer, der zwei eigene Unternehmen leitet und die OS/2-Entwicklung "nebenbei" macht, Herwig Bauernfeind, der aktuell aus persönlichen Gründen nichts beitragen kann und Dmitry Kuminov, der damit den Löwenanteil der Arbeit erledigt. Auch Entwickler aus der OS/2-Community helfen sporadisch.

Roderick Klein ist die treibende Kraft hinter der holländischen OS/2 VOICE, einer unabhängigen Non-Profit-Organisation, die News und Infos zu OS/2, eComStation und ArcaOS veröffentlicht und sich als Bindeglied zwischen Unternehmen, Entwicklern und Anwendern sieht. Die gesamte Arbeit wird von der Bitwise Works GmbH und ArcaOS vorwiegend über Spenden finanziert, die jedoch im Herbst letzten Jahres die Kosten nicht mehr decken konnten. Wer helfen will, kann dies über OS/2 VOICE oder Patreon machen.

Die Codebasis, die portiert werden muss, ist riesig: Dmitriy Kuminov spricht von über 75.000 Dateien und 35 Millionen Zeilen Code für Chromium und in etwa dieselbe Größenordnung für Qt5. Dazu kommt, dass die Infrastruktur erst erschaffen werden musste, also der GCC 9.2 (Hilfe von Paul Smedley), Bibliotheken wie LIBCn/ffmpeg/icu/libxml/..., wide-character-support, der Watcom-Linker (Hilfe von Steve Levine) und viele Kleinigkeiten mehr. Im fast sechs Stunden langen Video der Warpstock Europe Conference 2020 erläutert Roderick Klein (ab 4h25m) ansatzweise die Probleme.

Wer als OS/2-Enthusiast die angekündigte Beta nicht abwarten kann, kann sich selbst am Code versuchen und einen Blick auf die qt5webtest5*-Archive unter https://rpm.netlabs.org/test/ werfen.

(axk)