Online-Datenschutz: Chelsea Manning will das bessere Tor bauen

US-Whistleblowerin Chelsea Manning arbeitet an einem Web-Dienst, der schwerer zu deanonymisieren sein soll als Tor. Leaks hält sie für obsolet.

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(Bild: TippaPatt/Shutterstock.com)

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Während des 2. Irak-Kriegs nutzte Chelsea Manning unter anderem den Anonymisierungsdienst Tor, um rund 750.000 sensible Regierungsdokumente an Wikileaks zu senden. 12 Jahre später will die US-Whistleblowerin mithelfen, ein modernes Tor zu entwickeln, das einfacher bedienbar ist und persönliche Spuren im Internet besser abschirmt. Ein "kryptografischer Schutzschild" schwebt der Aktivistin vor, der die Privatsphäre der Nutzer "maximal" absichert.

Manning arbeitet dazu seit Kurzem für Nym Technologies, ein in der Schweiz ansässiges Startup, als Beraterin für Hardware-Optimierung und IT-Sicherheit. Tor anonymisiere Nutzer durch mehrere Schichten und Sprünge, wobei im Netzwerk quasi Störgeräusche hinzugefügt würden, erläuterte die frühere Analystin der US Army am Montag bei einer Diskussionsrunde an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Nym sei ebenfalls als ein solches "Mixnet" und Virtual Private Network (VPN) angelegt, werde aber "schwerer zu deanonymisieren" sein.

"Kryptografie ist wie ein Safe", veranschaulichte die 34-Jährige die Initiative. Man könne sie aufbrechen, die dafür benötigte Zeit werde immer kürzer. "Wir müssen einen komplexeren Tresor bauen", folgerte sie. Die knapp vier Jahre alte Firma wolle dafür "die Technologie nutzen, die wir in den nächsten paar Jahren zur Verfügung haben". Es gehe darum, ein "datenschutzfreundliches Browsererlebnis" zu schaffen und die Verschlüsselungstechnik direkt in die Internetinfrastruktur einzubauen.

Der Mathematiker Harry Halpin, der zwischen 2013 und 2016 für den Web-Erfinder Tim Berners-Lee am MIT im Bereich der Standardisierung browserübergreifender Kryptografie-Lösungen forschte, gründete Nym 2018. Manning soll nun dafür sorgen, dass der bislang mit mehreren tausend Knoten im Netzwerk getestete Dienst "schneller, effizienter und sicherer" wird. Dazu werde etwa der Einsatz spezieller Hardware an verschiedenen wichtigen Rechnern in der Datenübertragungsarchitektur erprobt.

Ein Teil des vorgesehenen Mixnet nutze eine Blockchain ähnliche Datenbanktechnik in Form eines "Distributed Ledger", ließ die IT-Expertin durchblicken. Darauf beruhe das Token-basierte Belohnungssystem für Mitstreiter, die "große Mengen des Verkehrs im Netzwerk" schultern. Zugleich würden aber keine Anreize zum Schürfen digitaler Münzen wie bei Bitcoin gegeben: "Es handelt sich eher um einen öffentlichen Dienst als um eine Kryptowährung." Die Tokens könnten nur für ganz spezielle, netzwerkbezogene Zwecke eingesetzt werden. Sie würden "energieeffizient und auf ökologisch vernünftige Weise" generiert.

Nym soll laut Manning genauso einfach bedienbar sein wie ein VPN-Dienst. Der Nutzer müsse quasi nur eine App herunterladen, die direkt funktioniere. Es sollte nicht nötig sein, den technischen Hintergrund zu verstehen. Daran, dass Verschlüsselung derzeit als kompliziert gelte, "sind die Techniker schuld". Es sei deren Verantwortung, quasi auf Knopfdruck verwendbare Lösungen zu programmieren. Viele Entwickler folgten aber noch der Linie der Datenkraken, wonach persönliche Informationen eine Massenware seien und problemlos gesammelt werden dürften.

Maning bei der Vorstellung

"Nym will unabhängiger, dezentraler werden", lobte die EPFL-Professorin Carmela Troncoso den Ansatz, die das offene Tracing-Protokoll DP3T für Covid-Apps federführend mitentwickelt hat. Sie helfe auch hier auf der Protokollebene, um die Last möglichst gering zu halten. Im Gegensatz zu Tor solle die neue Infrastruktur einfach in andere Anwendungen integrierbar sein. Eine vollständige Anonymität werde sicher auch hier nicht erreichbar sein. Nutzer sollten Identitäten aber online genauso "aufteilen" können wie in der Offline-Welt: "Das macht uns frei."

Manning sorgt sich ebenfalls nicht darum, dass Nym die Verbrechensbekämpfung erheblich erschweren könnte. Anonymität ist ihr zufolge ein philosophisches Konzept. Keiner, der am Universum teilnehme, könne sie vollständig in Anspruch nehmen. Zudem gebe es mit der Digitalisierung und der damit verknüpften Datensammelei längst "immer mehr Überwachungsmöglichkeiten". Die Nym-Entwickler rechneten aber etwa mit den Fähigkeiten autokratischer Regime wie China und wappneten sich gegen Zensurbemühungen.

Als Ex-Militär kam Manning nicht umhin, auch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu kommentieren. Der vorher vielfach prophezeite "volle Cyberkrieg" findet ihr zufolge weiter nicht statt, aber Desinformation habe insbesondere im Vorfeld der Invasion eine gewaltige Rolle gespielt. Sie habe zudem jetzt im Hotelzimmer dank Open Source Intelligence (OSINT) über Social Media mehr Informationen von vor Ort zur Hand, "als damals, als ich im Irak-Krieg arbeitete". Die Welt ertrinke in Informationen, was Leaks wie den ihrigen obsolet mache. Es komme vor allem darauf an, die verfügbare Datenmenge zu analysieren und zu managen.

(mho)