Online-Enzyklopädie Wikipedia bekommt "Code of Conduct"

Mit einem Katalog von Verhaltensregeln will die Wikimedia Foundation die Arbeit inklusiver gestalten.

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(Bild: Allmy/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Das Board der Wikimedia Foundation hat einen neuen "Global Code Of Conduct" verabschiedet. Die neuen Regeln sollen einen Mindeststandard des Gemeinschaftslebens innerhalb der Wikipedia-Communities definieren, so dass sich neue Kreise an der Enzyklopädie aktiv beteiligen. Um die neuen Regeln effektiv umzusetzen, ist jedoch noch ein langer Diskussionsprozess nötig.

Die Struktur der Wikipedia ist community-basiert. Das heißt: Im Prinzip können die Autoren einer bestimmten Sprachausgabe oder eines Schwesterprojekts eigenständig über die Regeln innerhalb ihres Wikis entscheiden. Die Wikimedia Foundation als Betreiberin greift nur in Extremfällen ein.

In der deutschen Ausgabe wurden die Verhaltensregeln in der Wikiquette zusammengetragen, in der alle Autoren ermahnt werden, persönliche Angriffe zu vermeiden und bei anderen zunächst von guten Absichten auszugehen. Die eingefahrenen Regeln sorgten jedoch mitunter für ein schlechtes Betriebsklima. Während in manchen Fachgebieten ein durchweg konstruktiver Umgangston herrscht, werden die Diskussionen insbesondere in politisch umstrittenen Bereichen schnell hitzig. Viele Wikipedia-Autoren wollen auch nur unter Pseudonym auftreten, weil missliebige Autoren immer wieder von außen unter Druck gesetzt werden.

Die gelebte Kultur der Wikipedianer sorgte dafür, dass die Wikipedia insbesondere für bestimmte Kreise attraktiv ist. Im Interview mit heise online beschrieb die Wikimedia-Geschäftsführerin Katherine Maher im Jahr 2018 die weltweite Entwicklung so: "Bisher ist die Wikipedia-Community noch unausgewogen: überwiegend europäisch oder amerikanisch, überwiegend männlich, überwiegend weiß." Laut dem 2020 Community Insights Report von 2020 identifizierten sich bei Umfragen lediglich 11,6 Prozent der Befragten als weiblich.

Um den Nachschub an freiwilligen Autoren aufrechtzuerhalten, versucht die Wikimedia Foundation die Wikipedia willkommener zu gestalten. Zum Beispiel müssen Neulinge nicht mehr die komplexe Wiki-Syntax lernen und die Kommunikationskanäle wurden aufgebohrt, so dass sich Wikipedianer untereinander für konstruktive Beiträge bedanken können. Die Maßnahmen zeigen erste Erfolge: So habe sich der Anteil der Frauen in der neuesten Community-Umfrage deutlich gesteigert, erklärte Maher auf Twitter.

Die neuen globalen Regeln entsprechen in Grundzügen zwar der deutschen Wikiquette, setzen aber neue Schwerpunkte. Sie enthalten etwa einen ganzen Katalog, welche persönliche Merkmale als Ziel von unzulässigen Beleidigungen oder Herabsetzungen gesehen werden. Die reicht von Intelligenz und Aussehen über sexuelle Orientierung, biologisches und soziales Geschlecht bis hin zur politischen Orientierung. Positionsmissbrauch, die Drohung mit exzessiven Klagen oder "Gaslighting" werden ebenfalls untersagt.

Die neuen Regeln gelten nicht unmittelbar, sondern sollen von den einzelnen Communities in ihre eigenen Regelkataloge übersetzt werden. So können die einzelnen Communities durchaus eigene Regeln erlassen, die sich bei ihnen als erfolgversprechend erwiesen haben. So verbietet die deutsche Wikiquette etwa den Namen von Wikipedianern in Überschriften zu erwähnen, weil dies tendenziell zu persönlichen Diskussionen, aber nicht in Problemlösung münde.

Die Arbeit am Code Of Conduct ist aber auch auf Ebene der Wikimedia Foundation noch nicht abgeschlossen. In der nächsten Phase des Prozesses geht es darum, welche Sanktionen es für Verstöße geben soll. Wikipedia-Regeln kennen heute zum Beispiel den Ausschluss eines Autors von einem bestimmten Themengebiet, eine temporäre oder dauerhafte Sperre. Auch der Verlust von Privilegien wie dem Administratoren-Status kann verhängt werden.

Wichtiger aber noch sind die zu etablierenden Prozesse, mit denen ein Verstoß überhaupt festgestellt werden kann. Neulinge sollen davor geschützt werden, dass ihre ersten Schreibversuche direkt verworfen werden, so dass sie nicht aufgeben in Wikipedia mitzuarbeiten. Wo jedoch die Grenze zwischen anfänglicher Unkenntnis der Regeln einer Enzyklopädie und fortlaufendem Trollen ist, ist nicht immer einfach zu entscheiden oder zu begründen.

Zwar gibt es Gremien wie Redaktionen oder Schlichtungsstellen, die Unterstützung bei ungerechtfertigten Entscheidungen bieten sollen. Sich aber den wochenlangen oder gar monatelangen Diskussionen zu stellen, ist selbst für erfahrene Wikipedianer oft zu viel, so dass Konflikte immer weiter getragen werden und ständig neu entflammen. Die neuen Vorschläge zur Konfliktlösung und Regeldurchsetzung will die Wikimedia Foundation nach Konsultationen mit den Communities im Sommer vorlegen.

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