"Only three songs, no flash!" – Die Praxis der Konzertfotografie

Die Konzertfotografie ist ein Knochenjob. Wie die Realität vor der Bühne aussieht und worauf es beim Fotografieren ankommt, zeigt Musikjournalistin und Fotografin Isabelle Hannemann am Beispiel zweier Besuche bei Fury in the Slaughterhouse.

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„Only three songs, no flash!“ – Die Praxis der Konzertfotografie

Fury in the Slaughterhouse- Frontmann Kai Wingenfelder singt beim Auftritt der Band in der TUI Arena in Hannover.

(Bild: Isabelle Hannemann)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Isabelle Hannemann
Inhaltsverzeichnis

Der Weg zum Konzertbild ist ein Adrenalinschub, ein undurchsichtiger Höllenparcours, gesäumt von Missgunst und gepflastert mit Enttäuschungen. Ein Weg, der mitunter jede Menge Zeit, Geld und Nerven kostet und an dessen Ende schnell Rechtsverletzungen und Dreistigkeiten warten. Das muss man lieben. Hier blühen grüngelbe Hämatome, welche einem durch die Ellenbogen und Objektive der Mitbewerberinnen und Mitbewerber in die Rippen gepflanzt werden, an den Schläfen klebt das Bier, welches dir von hinten in den Kragen gekippt wird.

Die Größe einer Veranstaltung sagt nichts über das aus, was passieren wird und schon gar nichts über die Qualität der Bilder, die sich einfangen lassen. 300 Fans können genauso schwitzen wie 30.000. Und um es vorwegzunehmen: Ohne die Liebe zur Musik, zum Live-Erlebnis, ohne eine Passion fürs Flüchtige nutzt weder die Kenntnis des Sujets noch die hochwertigste Ausrüstung. Leidenschaft ist nicht lernbar, nicht käuflich und vor allem zerbrechlich. Man muss im besten Sinne ein bisschen bekloppt sein, um sich mit einem Kamerarucksack durch Schweiß, Bier und Scherben oder Matsch zu robben.

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Die Autorin

Isabelle Hannemann ist promovierende Sozialpsychologin, Musikjournalistin und Fotografin für das Online-Musikmagazin be subjective! Sie unterrichtet an Hochschulen und Universitäten, hält Vorträge und arbeitet seit fünf Jahren als selbstständige Fotografin vor allem im Bereich Künstlerportrait und Bandfotografie für Plattencover, Events und Musikmagazine.

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Ob Arenen-Konzert oder Kneipen-Gig: Die Konzertfotografie gleicht einer Odyssee, die sich an einigen Hürden festmachen lässt, die zwischen einem selbst und einer guten Konzert-Reportage stehen – sei es in einem Stadion oder einem Salon.

Für den direkten Vergleich hat sich der beste Freund der Fotografin, der Zufall, eingestellt und Tür und Tor für zwei ganz besondere Musik-Abende geöffnet. So bestand die Möglichkeit, nicht nur die Eröffnungsshow zu Fury In The Slaughterhouse – 30 Jahre Live in der an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit je 14.000 Menschen ausverkauften TUI Arena, sondern auch den intimen Warm-Up-Gig im Café Glocksee in Hannover zu begleiten, zu dem die Band einen ausgewählten Kreis an Freunden eingeladen hatte. Eine halb private, halb öffentliche Probe. Nah, familiär und auf Augenhöhe.

Konzertfotografie: Fury in The Slaughterhouse live im Café Glocksee (18 Bilder)

Fury in the Slaughterhouse live am 5. März 2017 im Café Glocksee in Hannover (Bild: Isabelle Hannemann)

Augenhöhe ist ein wichtiges Schlüsselwort. Man wird weder durch ein Studium noch durch einen Presseausweis oder Titel Teil einer Musik-Familie. Das Vertrauen muss man sich verdienen: Man begleitet Bands, manchmal über Jahre, ist Teil, nimmt Anteil. So lange, bis die Scheu vor der Kamera schwindet und Tatsächliches zulässt. In guten wie in schlechten Zeiten.

Wie aber kommt man in den Genuss, auf Mega-Festivals und in ausverkauften Arenen und Stadien zu fotografieren? Akkreditieren kann sich theoretisch zwar jeder Hans und Franz, besser beraten ist der Fotograf oder die Fotografin aber damit, eine Akkreditierungsanfrage über ein Musikmagazin zu stellen, respektive in der Anfrage das Medium, für das er oder sie fotografiert und schreibt inklusive eines Links zum Vorbericht anzugeben. Ob man herausfindet, an wen diese Anfrage zu stellen ist, steht auf einem anderen Blatt.

Das kann mitunter schwierig sein. Fakt ist: Eine Akkreditierung zu ergattern ist – gerade für Musik-Webzines – so gut wie unmöglich. Es zählen weder redaktionelle oder künstlerische Qualität noch die Begeisterung für Sujet, Band und Event. So erhält neben Fotografen der Presse-, Nachrichten- und großen Bildagenturen, größerer Rundfunkanstalten und Printmagazine eher die Praktikantin einer lokalen Tageszeitung mit ihrem iPhone Zugang zum Fotograben als Mrs. Nobody – auch wenn sie professionelle Konzertfotografin eines überregionalen Non-Profit-Musikmagazins ist. Ergattert man doch einen Pitpass (Grabenpass), der gerade beim Tourauftakt einer Band besonders begehrt zu sein scheint, so gilt nach wie vor: Schief geht, was schief gehen kann.

Ein Konzertabend hält für herkömmlich Akkreditierte unzählige Fallen und Fettnäpfchen bereit. Keine Absage bekommen zu haben, bedeutet noch lange keine Zusage und eine Zusage noch lange nicht, erwünscht zu sein. Die Akkreditierungsbestätigung sollte immer griffbereit in der Tasche sein. Das kann etwaige Diskussionen am Presse-Counter erheblich abkürzen. Es ist mehr als ärgerlich, aber keine Seltenheit, 200 Kilometer Wegstrecke zu fahren und plötzlich nur den Support- oder nur den Main-Act, nur für einen Song oder gar nicht mehr fotografieren zu dürfen.

Sei es, weil sich der Veranstalter beim Verhältnis aus Saalgröße und Publikumsandrang verschätzt hat oder der Tourmanager, der soeben noch geschworen hat, sich um dich zu kümmern, nie wieder gesehen ward. Es verblüfft zudem, wie häufig bürstenschnittige Security-Chefs davon überrascht sind, dass Stagediving bei einem Hardcore-Event vorkommen kann und infolge dessen die Fotografen ihrem ohnehin zeitlich limitierten Tun des Grabens verwiesen werden. Dem Heimvorteil sei Dank passiert dies bei besagten Abenden mit Fury in the Slaughterhouse weder beim Abgleich mit der Gästeliste, die die Pforte zum Wohnzimmerclub öffnet, noch am Presseschalter von Hannover Concerts an der TUI Arena. Man scherzt, man kennt und schätzt sich.

Gesetzt den Fall, alle Hürden sind genommen und ein Pulk von 20 bis 50 Fotografen scharrt im Pressebereich mit den Füßen, so ist man in Versuchung, sich von der Spannung, die 14.000 Fans gebannt auf einen Live-Countdown blicken lässt, mitreißen zu lassen. Und genau das sollte man tun. Nur keine Scheu.

Schließlich kochen die Kolleginnen und Kollegen auch alle nur mit Wasser. Und ganz egal wer hier die fetteste Ausrüstung am Holster hat: Magie und der richtige Augenblick für ein Foto lassen sich nicht erzwingen. So kann es sein, dass Profis der Studio-Fotografie, die grandiose Bilder arrangieren und Highclass-Models perfekt ausgeleuchtet inszenieren, bei Musikern oder Musikerinnen, die in ihrem eigenen Schatten baden, sich wie Kolibris bewegen, sich dynamisch oder gar nicht im Posing üben, auch mit der hochwertigsten Ausrüstung versagen.

Vergegenwärtigt man sich diese Bedingungen: wenig Licht, viel Bewegung, schneller Fokuswechsel, keine Zeit, so lassen sich die Einstellungen der Kamera zumindest in gewissem Maße darauf anpassen. Eine geringe Belichtungszeit, ein lichtstarkes Objektiv (beispielsweise 1/160s bei f/2.8) und ein guter Autofokus sind wichtig, ein Teleobjektiv (70-200mm) keine schlechte Idee. Und dennoch: Es gibt Fotografen, die zaubern aus einer Einwegkamera, einem Joghurtbecher und einer Handy-App größere Kunst, als so mancher vollvergoldete Vollformatvollhorst. Kurz: Gute Kameratechnik und Erfahrung sind nicht alles, sie schaden aber auch nicht.

Eigentlich gilt im Pit eine gewisse Etikette, die auf gegenseitiger Rücksichtname basiert. Tatsächlich aber kennt die nicht jeder, ignoriert sie geflissentlich oder tauscht sie für die folgenden zehn Minuten gegen das Recht des Stärkeren ein. Dieser Stärkere schiebt mit Vorliebe sein Objektiv in deinen Bildausschnitt, lässt dich einfach nicht vorbei oder blockiert in ganzer Leibesfülle den Pit, der wie ein Nadelöhr funktioniert.

Die Herausforderung: Auf den Knien durch die Riesen huschen, konzentrieren und auf den Zehenspitzen in einem Balanceakt mit beweglichem Ziel einen Bildausschnitt komponieren, der den Moment einfängt, den abgebildeten Künstlern zum Vorteil gereicht und im Idealfall auch den Bombast, die Größe der Arena und des Bühnenbildes ablichtet. Unmöglich bleibt es, bei diesem Winkel und dem Missverhältnis von Körpergröße zu Bühnenhöhe Fury-Drummer Rainer Schumann zu erwischen. "Hätte der aufs Foto gewollt, hätte er Triangel gespielt", sagen manche, andere wollen nach dem zweiten Song noch mal das Objektiv wechseln – die Größe macht’s auf diese Distanz eben doch – und scheitern grandios an der Vorgabe "Three songs, no flash". Die gilt eben auch, wenn 50 Prozent dieser drei Songs als Vorspiel hinter einem Vorhang präsentiert wurden. Auf dem Weg aus dem Graben dann ein Augenzwinkern von Gitarrist Christof Stein-Schneider auf der Bühne.

Konzertfotografie: Fury in The Slaughterhouse live in der TUI Arena (18 Bilder)

Fury in the Slaughterhouse live am 10. März 2017 in der TUI Arena Hannover
(Bild: Isabelle Hannemann)

Das Fazit: Zufrieden vorangescheitert, genossen und gut geschlagen, obgleich die Bühne unspektakulär beleuchtet, durch einen Steg unendlich lang und durch Monitore zerklüftet ist. Tatsächlich ist man weit Schlimmeres gewohnt, denn es gibt Bands, die verzichten in den ersten drei Songs komplett auf jede Lichtstimmung, baden in Strobo, rotem Licht und Nebelschwaden als seien Kontraste der Feind jeder Passion. Fakt ist: Es gibt keine perfekten Bedingungen. Jedes Konzert, jede Band, jede Location ist eine neue Herausforderung, ein neuer Kick. Kurzum: unendliche Möglichkeiten. Und maximal drei Songs, um komplett zu versagen.

Der Kontrast zum Kneipengig könnte größer nicht sein. Fury in the Slaughterhouse im Café Glocksee – einem alternativen Schuppen, in dem man an Klobrillen und -türen spart, um sie nicht putzen zu müssen. Hier purzeln die üblichen Verdächtigen ins Dunkel und die lichtstarke Kamera ist herausgefordert. Kein Licht, kein Graben, kein Anstehen, keine Regeln – mit Ausnahme jener der Physik.

Vermutlich hätte ein richtiges Pferd kaum auf die Bühne gepasst, die sechs furyosen Musiker jedenfalls scheinen gestapelt im Schatten ihrer selbst. Band und Publikum sind sich nahe. So nahe, dass man nicht weiß wo die eigenen Gliedmaßen aufhören und der Spaß des Nachbarn beginnt. Genau das gilt es einzufangen: Intimität, Nähe und familiären Charme. Es geht um das Mitschwingen im Takt einer Band, die hier sein kann wie sie ist. Nahbar, ohne Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll gibt es hier Momente, die die perfekt ausgeleuchtetste Megashow nie bieten könnte: Unperfektes, Intimes und Liebliches vom Familienvater, der im Videotelefonat das Neugeborene live teilhaben lässt bis hin zum Gruppenbild mit Discokugel, auf dem mehr Fans als Musiker zu sehen sind. Schafft man es Emotionen einzufangen, die den Graben zwischen Bühne und Publikum verschwinden lassen, so erzählt ein solches Foto mehr als jede Starschnittserie in perfekter Pose.

Was also braucht es, um in der Konzertfotografie voranzuscheitern? Allem voran eine Leidenschaft fürs Liveerlebnis, der sich kein Preisschild anheften lässt. Wichtiger als die Kameratechnik sind Übung, Experimentierfreude und ein Gespür für den richtigen Moment. Was zählt sind Präsenz, Zuverlässigkeit und Professionalität. Anfänger sollten die Bands in ihrem Freundeskreis, jedes "Umsonst und Draußen"-Event, jede Karaoke-Show auf dem Straßenfest vor der eigenen Tür fotografieren, um die schlechtmöglichsten Bedingungen und ihre Ausrüstung kennenzulernen.

In einem zweiten Schritt sollte man die offenen Türen von Musik- oder Stadtmagazinen nutzen, die auf den lokalen Konzerten präsent sind und das Genre bedienen, das dem eigenen Geschmack Raum gibt. Nur durch die Akkreditierung über ein Musikmagazin besteht eine realistische Chance, tatsächlich irgendwann im Bühnengraben einer Band zu stehen, die man verehrt. Ist dies gelungen, gilt es die Ansagen der Verantwortlichen vor Ort unbedingt einzuhalten, schließlich geht mit der Akkreditierung eine Verantwortung gegenüber Band, Veranstalter und dem Magazin, das man vertritt einher. Und los geht’s.

Reviews zu beiden Fury In The Slaughterhouse-Konzerten (05. + 10.03.2017 in Hannover) gibt es bei be subjective!. (msi)