Ostalgie im Web

Im Internet lebt die DDR weiter: Zahlreiche Anwender frönen in virtuellen Ausstellungen augenzwinkernd der Ostalgie und erinnern mit Quizfragen an das Leben in der DDR.

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Von
  • Tobias Schormann
  • dpa

15 Jahre Deutsche Einheit feiern die Menschen in Ost und West in diesem Jahr -- doch gänzlich verschwunden ist die DDR auch heute noch nicht. Im Internet lebt der Arbeiter-und-Bauern-Staat weiter: Zahlreiche Anwender frönen in virtuellen Ausstellungen augenzwinkernd der Ostalgie und erinnern mit Quizfragen an das Leben in der DDR. Ostalgiker finden zudem in Online-Shops etliche DDR-Fanartikel -- die Palette reicht von Klassikern wie dem Sandmännchen bis hin zu Trabi-Duft in Dosen.

"Viele der kleinen Alltagsdinge aus der DDR sind heute einfach Kult", sagt Hartmut Göhler aus Dresden, der auf der Seite Ostalgie-Museum.de eine Ausstellung über die DDR-Alltagskultur zeigt. Für etliche Ostdeutsche sind DDR-Relikte wie die Ente Schnatterinchen ein Stück ihrer Kindheit. Zudem seien viele Produkte nach dem Mauerfall schlagartig aus den Regalen verbannt worden und in Vergessenheit geraten. Heute erinnerten sich viele wieder schmunzelnd an Mitropa-Tassen und Hühner-Eierbecher. "40 Jahre Plaste und Elaste haben eben ihre Spuren hinterlassen", sagt Göhler.

Inzwischen kann man viele Ost-Artikel im Netz auch bestellen. Neben Rotkäppchensekt und Spreewaldgurken bieten Online-Shops Neuauflagen von längst verloren geglaubten DDR-Klassikern im Einheitsdesign. "Ein reiner Gag ist das nicht -- viele Ostprodukte waren besser als ihr Ruf", sagt Thorsten Jahn aus Eisenhüttenstadt, der unter Osthits.de über 2500 Produkte für Ostalgiker anbietet. Besonders Ostdeutsche, die im Westen leben, würden heute die alten Produkte wiederentdecken. Auch die Musik und Filme der DDR seien beliebt: Neben dem Sandmännchen seien besonders alte DEFA-Märchenfilme gefragt, sagt Jahn.

Aber auch zahlreiche Fan- und Scherzartikel finden Ost-Fans in den Online-Kaufhallen. So bietet Osthits.de neben DDR-Ampelmännchen auch Trabi-Abgase in Dosen -- Ostdeutsche könnten so wieder den typischen Geruch der früheren Heimat schnuppern, sagt Jahn. Mehrere tausend Büchsen habe er schon verkauft, die weiteste Lieferung ging nach Neuseeland. Als Geschenk eigne sich auch ein DDR-Care-Paket, mit dem man Verwandte im Westen versorgen könne, wenn diese sich nach heimischen Spezialitäten sehnen.

Selbst Slogans aus der Zeit des Sozialismus wie "Held der Arbeit" finden sich heute auf T-Shirts und Schnapsflaschen wieder. Anstoß habe daran noch niemand genommen -- die Leute nähmen solche postsozialistischen Parodien in der Regel mit Humor, so Jahn.

Wer sein Wissen über die DDR auffrischen will, findet ein Quiz unter Ossi-Test.de: Hier hat Uwe Jähnig aus Schwepnitz bei Hoyerswerda mehr als 5000 Fragen zusammengetragen. "Wer die DDR nicht miterlebt hat, kann dabei eine Menge lernen", sagt Jähnig. Dass zum Beispiel ein Trabi nur zwei Türen hat oder sich hinter dem Kürzel "Frösi" die DDR-Kinderzeitung "Fröhlich sein und singen" verbirgt, dürften wohl nur wenige Westdeutsche wissen.

Um sich mit der ostdeutschen Wortwahl vertraut zu machen, finden Surfer auch Sprachführer, die das Verlassen der westdeutschen Internet-Sektoren erleichtern sollen. Hier lernen Nutzer neben Ausdrücken wie Untertrikotagen auch Ost-Slangwörter wie "urst", was soviel heißt wie "super". Wer mit solchem Vokabular ausgestattet Grüße im Zonenstil versenden will, findet im Web passende E-Cards mit Ampelmännchen, Broiler oder Trabi als Motiv.

Surfer können sich zudem in Online-Spielen in die DDR zurückversetzen. So schlüpfen Nutzer im Spiel zum Film "Goodbye Lenin" in die Rolle von Schauspieler Daniel Brühl und müssen für die kranke Mutter die DDR auf virtuellen 79 Quadratmetern Plattenbau wieder aufleben lassen. Auch der Chemnitzer Thomas Schenk hat unter Sultan-Zonk.de ein Online-Abenteuer kreiert. Die Spieler bekommen den Auftrag, Erich Honecker im Palast der Republik zum Geburtstag zu gratulieren. Wer dabei die richtigen Beziehungen nutzt, kann sich am Ende als vorbildlicher Arbeiter in die Straße der Besten eintragen -- alle anderen werden von der Staatssicherheit vor die Tür gesetzt.

Die ehemaligen DDR-Oberen nimmt auch der gebürtige Ostdeutsche Ingolf Franke in Forchheim bei Erlangen aufs Korn: Er hat unter DDR-Witz.de mehr als tausend Witze über die Zeit vor der Wende gesammelt. "Satire war im Osten schon immer sehr beliebt -- der DDR-Witz war die Opposition des kleinen Mannes", sagt Franke, allerdings habe der Spaß auch seine Grenzen. Scherzhafte Aktionen im Internet, die den Wiederaufbau der Mauer forderten, finde er einfach geschmacklos.

Auch bedeute der Retro-Kult im Netz nicht, dass sich die Menschen die DDR zurückwünschten oder die Leiden vieler Menschen unter dem SED-Regime verharmlosen wollten, sagt Webseitenbetreiber Göhler. Ein bisschen Humor habe aber noch nie geschadet -- und vielleicht könne das wachsende Interesse am DDR-Alltag die Menschen aus West und Ost sogar gegenseitig näher bringen. Einen Überblick über Web-Angebote erhalten Nutzer unter DDR-im-www.de, ein Diskussionsforum bietet die Seite Zonentalk.de. (Tobias Schormann, dpa) / (anw)