Pakistan vor der IT-Bildungsrevolution

Die boomende IT-Branche des Landes verlangt immer mehr Computerfachleute, die gut sind in Mathematik, Informatik und Englisch. Aber die Realität in der pakistanischen Bildungslandschaft ist ernüchternd.

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Von
  • Günther Keiffenheim

"Bildung, Bildung, Bildung" doziert Pakistans Premierminister Shaukat Aziz am Rande der IT-Messe ITCN Asia auf die Frage von heise online, was der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg des westlichen Nachbarn Indiens sei. "Wenn fast 50 Prozent der Pakistaner weder lesen noch schreiben kann, dann ist die Situation unbefriedigend und ich werde weiter dafür kämpfen, dass jedes Kind im Lande die Chance auf eine Schulbildung wahrnehmen kann."

Aziz, ein Technokrat, der aus der Wirtschaft Pakistans in die Politik gewechselt ist, hat die Zeichen der Zeit längst erkannt. Die boomende IT-Branche des Landes verlangt immer mehr Computerfachleute, die gut sind in Mathematik, Informatik und Englisch. Aber die Realität in der pakistanischen Bildungslandschaft ist ernüchternd bis bedrückend: Fast 80 Prozent der Frauen im Lande können nicht lesen und schreiben, weniger als ein Drittel konnte oder kann eine Schule besuchen. Besonders in ländlichen Regionen haben viele der 220.000 Schulen des Landes kein Haus, keine Elektrizität, kein Trinkwasser, keine Toilette. Viele haben nichts von der Grundausstattung, die erfolgreiches Lernen ermöglicht. Pakistan hat in Südasien die meisten Analphabeten.

"Wir arbeiten daran, allen Schulen im Lande die Möglichkeit zu geben, einen Internetzugang zu schalten." IT-Minister Awais Ahmad Khan Leghari, konfrontiert mit den Zuständen an Pakistans Schulen, zeigt Optimismus auf der ganzen Linie. "Wir werden aus Kostengründen nicht alle Schulen mit ausreichend Computern ausstatten können. Bis wir soweit sind, vergeht noch einige Zeit." Doch auch UNESCO-Programme und umfangreiche Geldspenden aus den USA und Europa können die prekäre Finanzlage des Bildungsministeriums kurzfristig nicht beheben.

Pakistan investiert nur 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung. Die UN fordern aber einen Budgetanteil von 4 Prozent. Indien erfüllt inzwischen diese Forderung. In Pakistan sind solche Zahlen noch Zukunftsmusik. Aber wenn eine Schule private Sponsoren zur Anschaffung von IT- Hardware finde, dann solle sie auch online gehen können, so Leghari gegenüber heise online. Es gibt in Pakistan ein enormes Qualitätsgefälle zwischen staatlichen Schulen und den häufig kostenintensiven Privatschulen. Der Ruf der staatlichen Schulen ist mangels Lehrerqualifikation miserabel – und die Privatschulen, die auch über Computer und Informatik-Fachlehrer verfügen, sind für die Mehrzahl der Pakistaner unerschwinglich. Eine gut ausgestattete Privatschule in der Hauptstadt Islamabad kostet monatlich 5000 bis 8000 Rupien, umgerechnet bis zu 100 Euro. Ein Taxifahrer der Hauptstadt kommt auf täglich 150 Rupien, weniger als zwei Euro.

"Stimmt schon, das Bildungssystem Pakistans ist marode und krank", erklärt Naeem Zafar. Der Hightech-Spezialist weiß, wovon er redet, ist in Pakistan geboren und aufgewachsen, hat Colleges in der Türkei besucht, seinen Elektrotechnik-Abschluss in den USA gemacht, war Geschäftsführer verschiedener IT-Firmen in Silicon Valley und ist heute Dozent an der Berkley-Universität in Kalifornien. Er stellt kategorisch fest: "Pakistan hat in den vergangenen zehn Jahren enorme Fortschritte gemacht. Heute kommen von den Hochschulen und Universitäten des Landes exzellent ausgebildete Computerspezialisten und Softwareentwickler. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann kann Pakistan schon in wenigen Jahren mit Indien durchaus konkurrieren."

Zafars Unternehmen Concordia Ventures ist entscheidend an der Entwicklung der ersten virtuellen Hochschule Pakistans beteiligt. Er investiert in Lehrerfortbildung in Pakistan und war begeistert von der Aufbruchstimmung, die während der siebten ITCN Asia bis gestern in Pakistans Hafenstadt Karachi zu spüren war. Während das Computerwesen in Indien längst unter Abnutzungs- und Schwächeperioden der Ebenen nach dem Boom leide, sei Pakistan ein klassisches Start-Up-Land mit den entsprechenden geschäftlichen Möglichkeiten: 200.000 Schulen brauchen Rechner für Lehrer und Schüler, brauchen Fortbildung in Englisch und IT, brauchen Hardware und Software, brauchen Breitband-Kabel oder Satellitengesteuerte Internetzugänge.

"100 Millionen der 160 Millionen Bürger Pakistans sind jünger als 25 Jahre – und dieses Potential an bildungsfähigen jungen Menschen ist ein enormer Reichtum des Landes", schätzt Zafar. Jede Rupie, die in IT-Ausbildung und Computer für Schulen investiert wird, so der Fachmann, zahlt sich schon in Kürze durch wachsende Staatseinnahmen aus. Was unter Nawaz Sharif begonnen wurde, nämlich die Computerisierung der Gesellschaft, was unter dem Präsidenten, General Pervez Musharraf, mit der Begründung Asiens größter IT-Messe fortgesetzt wurde, dürfe nicht an fehlenden Finanzen scheitern. Für ihn wäre es Zeit- und mittelfristig auch Geldverschwendung, keine zusätzlichen Geldmittel in die Ausbildung der künftigen Generation Computerkids zu investieren und stattdessen weiter mindestens zwei Drittel des Staatsbudgets für militärische Zwecke zu entfremden. Gestiegene Kosten für IT-Fachkräfte in Indien bedeuten für viele Pakistaner Job-Aussichten für die Zukunft. Der Schlüssel zum Erfolg ist einfach, wie Premier Aziz sagt, "Bildung, Bildung, Bildung." (Günther Keiffenheim) / (anw)