Peng! Die Physik der fliegenden Sektkorken
Französische Wissenschaftler haben das Entkorken von Sektflaschen mit Hochgeschwindigkeits-Infrarotkameras verfolgt. Dabei zeigt sich: Mehr Energie geht in den Knall als in die Fluggeschwindigkeit.
Silvester, das ist die Nacht, in der die Raketen hoch und die Sektkorken niedrig fliegen. Vorsicht ist bei beiden angeraten, die scheinbar harmlosen Korken gelten als Hauptursache für Augenverletzungen während der Festtage. Warum die Flaschenverschlüsse ein Tempo von rund 50 km/h entwickeln können, haben französische Forscher bereits vor einiger Zeit näher untersucht. Dabei zeigte sich zwar wie erwartet, dass wärmere Flaschen für schnellere Korken sorgen – doch überraschenderweise, so berichteten die Physiker im "Journal of Food Engineering", geht beim Öffnen nur ein sehr kleiner Teil der gespeicherten Energie in den Flug. Beinahe 95 Prozent wandeln sich hingegen zu akustischer Energie, zum lauten Knall.
"Der Großteil der Gesamtenergie scheint in Form der Schallwelle abzufließen, als sehr charakteristisches 'Peng'", schreibt das Team um Gérard Liger-Belair und Guillaume Polidori von der Université de Reims Champagne-Ardenne. In der Heimat des Schaumweins, der nur dort den Namen Champagner tragen darf, warfen die Physiker mehrerer Fachrichtungen ihre Expertise zusammen. Zunächst nahmen sie das Entkorkungsverhalten bei unterschiedlichen Flaschentemperaturen unter die Lupe, eine Studie dazu existierte noch nicht. Zahlreiche Dreiviertelliter-Flaschen bei 4, 12 und 18 Grad Celsius entkorkten sie vor einer Infrarot-Hochgeschwindigkeitskamera, um sowohl die hohe Fluggeschwindigkeit der Korken als auch die Dynamik des ausströmenden Kohlendioxids vermessen zu können. Das CO2 entsteht während der Gärung in der Flasche und sorgt für den steigenden Innendruck, der den Korken vorantreibt, sobald das schützende Drahtgeflecht – die Agraffe – gelöst ist. Das Gas ist allerdings für das Auge unsichtbar, es zeigt sich nur im Infrarotbereich. Nur indirekt ist es zu erkennen, weil es die Umgebungsluft beim schnellen Ausströmen abkühlt und leichten, wabernden Nebel an der Flaschenöffnung entstehen lässt.
Dank ihrer Kamera konnten die Forscher bestätigen: Je wärmer das Getränk in der Flasche, desto schneller und weiter flog der Korken – und desto größer wurde die entweichende Kohlendioxid-Wolke. Bei 4 Grad Celsius blieb sie klein und entfernte sich mit dem Korken schnell von der Öffnung, während sie sich bei 18 Grad groß und um den Flaschenhals herum entwickelte. Das Gas entwickelt sich erst im zweiten Teil der Sekt- und Champagner-Gärung: Dabei wird der Rohwein aus Fässern in die Flaschen umgefüllt und durch die "Prise de Mousse", einen Zusatz von Zucker und Hefe, in die zweite Gärphase gebracht. Rund 18 Gramm Zucker pro Dreiviertelliter-Flasche sorgen so im Laufe von anderthalb Jahren Reifezeit für rund 9 Gramm CO2-Moleküle, die dann für das typische Schäumen und Perlen des Getränks sorgen. Vor dem Öffnen liegen sie gelöst in der Flüssigkeit und gasförmig im Flaschenhals vor, im Gleichgewicht nach dem Henry-Gesetz der Physik. Dabei kann sich ein Druck von knapp 5 Bar aufbauen: Je wärmer der Sekt, desto weniger Gas kann die Flüssigkeit in Lösung halten und desto mehr entweicht in den Hohlraum unter dem Korken. Schütteln verstärkt den Vorgang noch.
Überrascht war das Team, als es zum Abschluss herausfinden wollte, wie viel der Energie im System den Korken zum Geschoss macht. Die Experimente hatten das Lehrbuchwissen schließlich eindrucksvoll bestätigt: Höherer Druck vor dem Öffnen sorgt für schnelleres Flugtempo. Und für den Nebel am Flaschenhals, denn die Gasmoleküle breiten sich schnell aus – das Gas expandiert adiabatisch, so der Fachausdruck. Das wiederum lässt die nahe Umgebungsluft rapide abkühlen, sodass die Luftfeuchte zum Nebel kondensiert. Auf dieser Basis erstellten die Forscher ein thermodynamisches Modell und fassten die wichtigsten physikalischen Faktoren vor und nach dem Öffnen zusammen: Temperaturen und Volumina, Druck und Geschwindigkeit, Löslichkeit des CO2 und gespeicherte Energie. Das Ergebnis zeigte klar: Nur knapp 5 Prozent der potenziellen Energie im System, die beim Öffnen freigesetzt wird, wird zur kinetischen Energie des Korkenflugs. Der Rest, so vermuten Liger-Belair und Kollegen, verpufft als akustische Schockwelle im Öffnungsknall. Das ruft natürlich nach Überprüfung: Um die Schallamplituden und -frequenzen zu messen, sind weitere Champagner-Experimente geplant. (pmz)