PerIS: Polizei hat Datenschützerin bei Echtzeitgesichtserkennung umgangen

Die sächsische Polizei hat ihr Überwachungssystem PerIS ohne Einbezug der sächsischen Datenschutzbeauftragten entwickelt. Diese hält es für verfassungswidrig.

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Gesichtserkennungssoftware

(Bild: dpa, Sven Hoppe/dpa)

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Die sächsische Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert ist nach eigenen Angaben davon ausgegangen, dass ein biometrischer Abgleich von Gesichtsbildern in Echtzeit "ohne Vorsortierung und Beschränkung im Verantwortungsbereich sächsischer Strafverfolgungsbehörden nicht stattgefunden hat". Das geht aus einem heise online vorliegenden Schreiben des zuständigen Referatsleiters, Thomas Mauersberger, an die sächsische Spitzenkandidatin der Piratenpartei zur Europawahl, Anne Herpertz, hervor. Diese hatte sich Anfang Mai bei Hundert über die biometrische Videoüberwachung beschwert, da solche Systeme "unglaublich fehleranfällig" seien und einen "unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitsrechte aller" darstellten.

Wenige Tage vor der Beschwerde war publik geworden, dass die sächsische Polizei zur heimlichen Observation ein Personenidentifikationssystem (PerIS) entwickeln ließ. Das System nimmt Nummernschilder von vorbeikommenden Kfz sowie Gesichtsbilder von Fahrern und Beifahrern auf. Es ist mittlerweile auf Amtshilfebasis auch in Berlin eingesetzt worden und kann nach dortigen offiziellen Angaben Gesichtsbilder "mit der zeitlichen Verzögerung von wenigen Sekunden" verarbeiten. Alle im Umkreis erfassten Personen werden demnach mit Bildern von Tatverdächtigen aus einem konkreten Ermittlungsverfahren abgeglichen. Treffer sollen dann durch Polizeibeamte überprüft werden.

Für Mauersberger steht der Antwort an Herpertz zufolge fest: "Angesichts der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu präventiven Maßnahmen der automatisierten Kennzeichenerfassung dürfte es keinen Zweifel daran geben, dass die biometrische Echtzeitverarbeitung und ein Liveabgleich der Gesichtsbilder von Personen, die eine Überwachungskamera im öffentlichen Raum passieren, gegen die Verfassung verstößt." Umso erstaunlicher ist, dass die Landesdatenschutzbeauftragte von PerIS bislang wenig mitbekommen hat und die zuständige Polizeistelle in Görlitz der Kontrollinstanz offenbar auch keine Datenschutzfolgenabschätzung vorlegte.

Bei der Polizeidirektion (PD) Dresden lief es 2021 anders. Diese nutzte damals zur nachträglichen Aufklärung einer großen Zahl von zum Teil erheblichen Straftaten im Zusammenhang mit den Krawallen um ein Fußballspiel der Sportgemeinschaft Dynamo Dresden am 16. Mai 2021 ein Programm mit Gesichtserkennungsfunktion. Die dazu aufgeworfenen datenschutzrechtlichen Fragen beantwortete die PD laut dem Tätigkeitsbericht von Hunderts Vorgänger Andreas Schurig für dieses Jahr "im Rahmen eines Gesprächs und der Vorführung des Programms". Ferner sei auch eine Folgenabschätzung übergeben worden.

Schurig bewertete die automatisierte Gesichtserkennung im Rahmen der polizeilichen Aufgabenerfüllung zwar "grundsätzlich als kritisch und riskant". In dem hier vorliegenden "eng begrenzten" Anwendungsfall hatte er gegen die biometrische Fahndung aber "keine durchgreifenden Bedenken". 2018 hatte der damalige hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar den Einsatz automatisierter Gesichtserkennung bei der Fahndung nach Randalierern während des G20-Gipfels im Juli 2017 dagegen als rechtswidrig eingestuft.

Die sächsische Datenschutzbeauftragte will nun zweifelsfrei feststellen lassen, "welche Maßnahmen mit welcher Eingriffstiefe" die PD Görlitz mit PerIS durchgeführt und ob es dafür ausdrückliche Richtergenehmigung gegeben hat. Für deren Kontrolle sei sie freilich nicht zuständig. Herpertz verweist darauf, dass Paragraf 59 des Sächsischen Polizeivollzugsdienstgesetzes, der die biometrische Videoüberwachung zur Verhütung grenzüberschreitender Kriminalität ermöglicht habe, Ende 2023 außer Kraft getreten sei. Sie begrüßt daher, dass Hundert ihre Einschätzung der Verfassungswidrigkeit von PerIS-Nutzungen teile und sich der Sache nun annehme. Die Vertreterin der Piratenpartei hält es zugleich für "erschreckend, dass erst meine Anfrage dazu geführt hat, dass die Praxis der Gesichtserkennung in Echtzeit überhaupt thematisiert und untersucht wird".

(nb)