Petition: Bündnis warnt EU-Staaten nachdrücklich vor Annahme der Chatkontrolle

Die Global Encryption Coalition schlägt Alarm, weil die EU-Ratsspitze weiter verschlüsselte Messaging-Dienste scannen will. Die Nutzersicherheit sei gefährdet.

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Mann textet eine Nachricht auf einem Smartphone

(Bild: Tero Vesalainen/Shutterstock.com)

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Ein Bündnis aus verschiedenen Organisationen, Sicherheitsexperten und IT-Unternehmen macht in einer von der Global Encryption Coalition lancierten Petition gegen den jüngsten "Kompromissvorschlag" der belgischen EU-Ratspräsidentschaft zur Chatkontrolle mobil. Der Kompromiss stehe "weiterhin für den Einsatz von Scan-Technologien für verschlüsselte Messaging-Dienste sowie für andere unverhältnismäßige Einschränkungen digitaler Rechte", heißt es in dem offenen Brief. Das sei mit dem Prinzip der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nicht vereinbar und gefährde die Nutzer. Auch ein Client-Side-Scanning (CSS) – das Durchsuchen und Ausleiten privater Kommunikation direkt auf Endgeräten der Anwender – dürfe nicht vorgeschrieben werden.

Die Inhalte-Erkennung sei für eine Reihe von Mitgliedsstaaten ein rotes Tuch, hebt das Steuerkomitee der Global Encryption Coalition hervor, dem etwa die Internet Society, das Center for Democracy & Technology (CDT) und Mozilla angehören. Sie hätten sich daher bislang gegen CSS und damit gegen eine allgemeine Überwachung ausgesprochen. Belgien habe diesen Ansatz nun in "Upload-Moderation" umbenannt. Das sei aber "eine rein kosmetische Änderung, da die von Experten geäußerten Sicherheits- und Rechtsbedenken hinsichtlich des Client-Side-Scannings damit noch immer nicht ausgeräumt werden". Das Problem der Online-Verbreitung von Material mit sexuellem Kindesmissbrauch lasse sich dadurch nicht lösen. Vielmehr würden "erhebliche Sicherheitsrisiken für alle Bürger, Unternehmen und Regierungen geschaffen".

Die Petition haben neben zahlreichen Mitglieder der Verschlüsselungsallianz auch andere Organisationen wie Access Now, die Electronic Frontier Foundation (EFF), European Digital Rights (EDRi), Privacy International und Messaging-Anbieter wie Signal unterzeichnet. Sie steht offen für weitere Unterschriften auch von Individuen. Nach den jüngsten Entwürfen der Präsidentschaft soll CSS nur noch angewendet werden auf visuelle Inhalte wie Fotos und Videos sowie URLs. Nutzer müssten in diese Form der Überwachung zudem einwilligen. Andernfalls könnten sie zwar weiter chatten – aber dabei keine Bilder und Videos mehr versenden.

In der heutigen digitalen Gesellschaft sei der Austausch von Bildern und Clips eine Alltagsaktivität, unterstreichen die Petenten. Wenn der Nutzer keine echte Wahl habe, sich zur Zustimmung gezwungen fühle oder de facto von dem Dienst ausgeschlossen wäre, könne von der eigentlich nötigen freiwilligen Einwilligung keine Rede sein. Ferner sei der Vorschlag nicht zielführend und könne leicht umgangen werden. So ließen sich Fotos oder Videos einfach in einen anderen Dateityp einbetten, etwa in ein Textdokument oder eine Präsentation. Durchgängig verschlüsselte Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal und Threema sollen laut der Ratsspitze prioritär gescannt werden.

Ein Grund zur erhöhten Sorge der Unterzeichner: Bei der ersten Präsentation des überarbeiteten belgischen Papiers am 8. Mai nahmen dieses mehrere bisher kritische Regierungen wohlwollend auf. Frankreich unterstützte den Vorschlag des Vorsitzes grundsätzlich, heißt es in einer geleakten Depesche der Bundesregierung. Die Initiative scheine "in die richtige Richtung zu gehen". Polen sprach von einem "Pfad für einen Kompromiss". Beide Länder waren bisher Teil der Sperrminorität gegen die geplante Verordnung zur Chatkontrolle. Mit ihrer Unterstützung könnte sich der Rat schon in den nächsten Tagen doch noch auf eine gemeinsame Position einigen und nach der Europawahl die Verhandlungen mit dem EU-Parlament über eine gemeinsame Linie starten. Die Abgeordneten haben ihren Kurs – mit einem Nein zu CSS – bereits abgesteckt.

(olb)