Phil Toledano: Jedes Foto ein Liebesbrief an den Vater

Der britische Fotokünstler Phil Toledano hat die letzten Jahre seines Vaters mit der Kamera festgehalten. "Days with my Father" ist eine berührende Foto-Geschichte über Demenz und Erinnerung, Abschied und Nähe, Liebe und Tod.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Daniela Zinser

Dad

(Bild: © Phillip Toledano)

Der britische Fotokünstler Phil Toledano hat die letzten Jahre seines Vaters mit der Kamera festgehalten. "Days with my Father" ist eine berührende Foto-Geschichte über Demenz und Erinnerung, Abschied und Nähe, Liebe und Tod. Von Phil Toledanos Familie handelt auch die gerade veröffentlichte Filmdokumentation "A shadow remains".

Unsere Kollegin Daniela Zinser von seen.by hat mit Phil Toledano gesprochen.

Frage: Herr Toledano, Sie haben ihren demenzkranken Vater porträtiert, zwei Jahre lang bis zu seinem Tod. War es ein Versuch, die Zeit aufzuhalten?

Toledano: Ich wollte vor allem die Erinnerung festhalten. Ich wollte festhalten, wie er aussah, wenn ich ihm sagte, dass ich ihn liebe. Wie er mich ansah, wenn wir uns versprachen, die Dinge, die wir zueinander sagten, nie zu vergessen. Also begann ich, Fotos zu machen. Meine Mutter ist sehr plötzlich an einer Hirnblutung gestorben. Bei ihr habe ich die Möglichkeit zu alledem versäumt.

Nach dem Tod Ihrer Mutter waren Sie allein mit Ihren Vater, der bereits 96 Jahre alt war, dessen Kurzzeitgedächtnis nicht mehr funktionierte und der rund um die Uhr Pflege brauchte. War es ein Schock?

Toledano: Ich war völlig überfordert mit allem. Ihn in ein Heim zu geben, wo ihm alles fremd war, das brachte ich nicht übers Herz. Also organisierte ich ihm eine 24-Stunden-Betreuung in seinem alten Zuhause und sah selbst so oft es ging nach ihm. Das ist der Vorteil, wenn man als freier Fotograf arbeitet.

Ihr Vater war Künstler und in den dreißiger Jahren sogar Schauspieler in Hollywood. Als Sie zur Welt kamen, war er schon Ende 50. Haben Sie ihn durch seine Krankheit neu kennengelernt?

(Bild: © Phillip Toledano)

Toledano: Es mag seltsam klingen, aber nach dem Tod meiner Mutter war mein Vater irgendwie nicht mehr mein Vater im früheren Sinne. Plötzlich kümmerte ich mich um ihn. Er wurde mehr die Person, die er war, als er jünger war. Witziger, er sang viel, machte Wortspiele. Er war in allem viel verletzlicher. Mein Vater erzählte mir Sachen, die er mir davor nie erzählt hatte. Wir hatten immer eine enge Beziehung. Aber nun war er immer so dankbar für meine Gegenwart.

Wie gingen Sie mit seiner Demenzerkrankung um?

Toledano: Die ersten drei, vier Monate nach dem Tod meiner Mutter habe ich versucht, meinen Vater in die Realität zu zerren. Doch immer, wenn er fragte: Wo ist deine Mutter? und ich ihm antwortete, dass sie gestorben ist, dann war er so voller Schock und Schmerz. Es war so entsetzlich für ihn, diese Gefühle wieder und wieder zu durchleben und entsetzlich für mich, diese Unterhaltung immer wieder zu führen. Irgendwann hat mir sein Arzt geraten, zu lügen. Ich sagte ihm, seine Frau sei in Paris, um ihren kranken Bruder zu pflegen. Man muss einfach kapitulieren. Aufgeben. Und zwar nicht die Freude, die Schönheit oder die Liebe, sondern die Realität. Hauptsache, es macht ihn glücklich.

Gab es auch Momente, wo er die Wahrheit wusste?

(Bild: © Phillip Toledano)

Toledano: Ich glaube, tief drinnen wusste er immer, dass seine Frau tot war. Wir spielten dieses Spiel, ein Theaterstück, mit dem wir uns gegenseitig beschützten. Manchmal sah er mich auf diese Weise an, dann bin ich ins Badezimmer, habe mich eingeschlossen und geweint. Ich konnte nicht vor ihm weinen, das hätte das Stück ruiniert. Mein Vater hat oft davon gesprochen, sterben zu wollen. Manchmal habe ich darüber nachgedacht, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Ihn zu töten. Es ist sehr seltsam, das zu sagen, ich weiß. Auf der einen Seite wollte ich, dass er für immer da ist, aber ich sah auch, wie traurig und leer sein Leben nun war.

Auf manchen Fotos scheint Ihr Vater mit der Kamera zu kokettieren. Er gibt den gestenreichen Erzähler oder den verschmitzten Clown. Hat er gerne mitgemacht?

Toledano: Mein Vater hat es zwar immer wieder vergessen, aber ich habe ihm erzählt, dass ich Fotos mache, um unser Leben zusammen festzuhalten, mich daran zu erinnern. Die Idee mochte er. Aber nach vier, fünf Aufnahmen hatte er auch immer genug. Ich habe in den zwei Jahren auch nur rund 200 Fotos gemacht. Die Fotografie sollte nicht zu viel Raum einnehmen. Es war ohnehin seltsam, vom kümmernden Sohn zu jemandem zu werden, der über Aufbau, Licht, Komposition nachdenkt.

War es für Sie von Anfang an eine künstlerische Arbeit?

Toledano: Ich wollte vor allem die Zeit mit meinem Vater dokumentieren. Dann habe ich alles ins Internet gestellt, weil ich irgendwie Abstand brauchte. Und plötzlich wurde die Seite mehr als zwei Millionen Mal aufgerufen und ich bekam zehntausende Mails. Viele Teenager haben mir geschrieben, über die Liebe zu ihrem Vater. Manche Menschen erzählten, sie hätten seit 15 Jahren nicht mit ihren Eltern gesprochen, aber nachdem sie meine Fotos gesehen hätten, griffen sie zum Telefon. Als Künstler macht man, so pauschal gesagt, nicht oft Dinge, die wirklich nützlich sind. Doch etwas über die Welt auszusagen, Menschen anzurühren, das ist für mich der Sinn von Kunst. „Days with my Father“ ist das Beste, was ich je tun werde.

Wie erklären Sie sich diese Resonanz?

Toledano: Die Fotografien zeigen eine Vielfalt von Emotionen. Es geht nicht nur um Abschied und Tod, sondern es gibt auch viele witzige Momente. Für mich sind die es Liebesbriefe an meinen Vater. Ich weiß, dass ich in gewisser Weise Glück hatte. Mein Vater konnte es sich leisten, zuhause gepflegt zu werden. Er hatte keine schlimme Form von Demenz, er wusste immer, wer ich war. Aber man muss das Beste aus dem drohenden Abschied machen und sich dessen bewusst sein. Du kannst dir die Zeit nehmen, dich kümmern – oder nicht. Du kannst dich damit auseinandersetzen – oder nicht. Ich schätze mich glücklich, dass ich so von meinem Vater Abschied nehmen konnte. Und er von mir.

Leben Sie seitdem bewusster?

Toledano: Menschen sind nicht immer um einen herum, sie verschwinden manchmal, und deshalb solltest du sie wissen lassen, dass du sie liebst. Sei aufmerksam! Wir sorgen uns darum, dass der jenes gesagt hat, oder dass an unserer Jacke ein Knopf fehlt oder uns der Nacken schmerzt. Dabei vergessen wir all die wichtigen Dinge. Ich habe eine Tochter, Loulou, sie ist fast Drei und ich denke so oft: Diese Minute, dieser eine Moment mit Loulou, wird nie wiederkommen. Also bin ich besonders aufmerksam ihr gegenüber in genau diesem Moment.

„Days with my Father“ gibt es nicht nur online, sondern auch als Buch und seit dieser Woche ist die Geschichte Ihrer Eltern zudem in der Filmdokumentation „A shadow remains“ zu sehen. „Ein Schatten bleibt“ – wieso dieser Titel?

Toledano: Eltern sind wie ein sehr helles Licht. Wenn sie sterben, ist das Licht aus, aber du siehst ihre Schatten in dir. Seit meine Eltern tot sind, sehe ich, worin ich meiner Mutter ähnle, worin meinem Vater. Und dann sehe ich Dinge in Loulou, die so gerne malt. Bilder liebt. Vielleicht tut das jedes Kleinkind, aber vielleicht hat sie das auch von meinem Vater. Vielleicht ist da ein kleiner Funke von ihm in ihr. Das macht mich glücklich. Sie spielt auch eine Rolle in der halbstündigen Dokumentation. Es geht um Liebe, ums Elternsein, um Abschied.

  • - Homepage des Künstlers: www.mrtoledano.com
    - Das Buch "Letzte Tage mit meinem Vater. Ein Bildband zuDemenz im Alter" gibt es für 19,95
    Euro, etwa bei Amazon.
    - Der Film "A shadow remains" ist hier zu sehen
    - Die Fotoserie "A new kind of Beauty" wird noch bis zum 2. Juli in der Kopeikin Gallery in Los
    Angeles ausgestellt.

(keh)