Politik, Wissensallmende und "Ideologie des geistigen Eigentums"

Eine Verbraucherschutzkonferenz sucht nach neuen Wegen, den Zugang zum Wissen in der vernetzten Gesellschaft zu sichern und das Lobbying für eine ständige Erweiterung von Monopolrechten zu hinterfragen.

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Der Kampf um den Zugang zum Wissen gehört zu einem der wichtigsten juristischen Schlachtfelder der vernetzten Informationsgesellschaft. Eine Konferenz im Rahmen des Trans Atlantic Consumer Dialogue (TACD) über die "Politik und die Ideologie" des geistigen Eigentums versucht daher momentan in Brüssel, die Hintergründe der heftigen Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern einer offenen Wissensallmende und den Protagonisten der Aufrechterhaltung und Ausweitung etwa von Patent- oder Verwerterrechten zu beleuchten. Dabei sollen auch die philosophischen Aspekte, die Rhetorik und die Verpackung des oft ideologisch verbrämten Streits deutlich gemacht werden. Unparteiisch geben sich die Veranstalter selbst nicht: Es geht ihnen um die Suche nach Wegen, um die sich vor allem über das Internet entwickelnde Wissensallmende zu stärken.

Der französische Autor und Open-Source-Aktivist Philippe Aigrain ließ in der Eröffnungsrunde keinen Zweifel daran, dass die Suche nach einer "ausgeglichenen Form geistiger Eigentumsrechte" vergeblich sei. Seiner Ansicht nach ist der Begriff "rückwärtsgewandt" und schädlich. Vielmehr müsse man über "neue Gesellschaftsverträge nachdenken, in denen der Austausch von Ideen und Werken berücksichtigt wird". Die hauptsächliche Auseinandersetzung drehe sich nicht ums Kopieren oder um die Digitalisierung. Vielmehr gehe es darum, die Produktion und die Verbreitung von Dingen neu wahrzunehmen. Dafür brauche es auch neue rechtliche Konzepte, in denen Allmendeformen nicht als Abfall, sondern als Essenz der Gesellschaftsordnung gelten. Die Aufklärung darüber müsse in der Grundschule starten, damit die Schüler nicht weiter einer "Gehirnwäsche" in Bezug auf geistiges Eigentum unterzogen würden.

Wichtig für die Zivilgesellschaft sei auch, Behinderungen der von vielen kollektiv entwickelten und Nutzer auch zu Produzenten machenden Informationsallmende klar zurückzuweisen, betonte Aigrain. Er zählt dazu vor allem die Verbreitung von Systemen zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) sowie die Patentierbarkeit von Gensequenzen oder Software. Das Problem mit diesen Vorstößen sei, dass sie die Bedingungen blockieren, welche den freiwilligen Beitrag zur Wissensallmende möglich machen. Denn entweder gäbe einem der Computer selbst sonst den Zugang zu Werken nicht mehr frei, oder man könne angesichts undurchdringlicher Patentdickichte nichts mehr zur allgemeinen Verwertung freigeben. Der Pfad für das Experimentieren mit Ideen und Wissen müsse offen gehalten werden.

Ein Problem mit dem religiösen Anspruch, "geistiges Eigentum über alles zu stellen", hat auch Jim Murray, Chef der europäischen Verbraucherschutzorganisation BEUC und Mitglied im TACD-Leitungskomitee. Es sei zu einfach, eine Ausweitung gewerblicher Schutzrechte mit der Förderung von Innovation und "einem besseren Leben für uns alle" gleichzusetzen. Geistiges Eigentum habe einen Wert, aber keinen absoluten und müsse etwa mit Grundrechten wie dem Schutz der Privatsphäre zusammengebracht werden. Murray begrüßte daher, dass verstärkt selbst in traditionellen Wirtschaftsblättern aus der Sicht einer möglichen Blockade des Wettbewerbs Fragen zum geistigen Eigentum aufgeworfen würden. Rückendeckung erhielt er etwa von Susan Sell, Politikwissenschaftlerin an der University of California in Berkeley. Ihr zufolge wurden "geistige Eigentumsrechte von einem Diener zu einem Herren umgewandelt". Dabei seien sie ursprünglich nur als Mittel zum Zweck der gesellschaftlichen Entwicklung angelegt gewesen.

Den wissenschaftlichen Segen erteilte dem Konzept der Wissensallmende Peter Drahos, Rechtsprofessor an der Australian National University. Er unterschied zwischen der positiven und negativen Beschreibung von Sphären allgemeiner Ressourcen. Letztere sei vor allem vom Philosoph Samuel Pufendorf geprägt worden, indem dieser Eigentumsrechte an allen Dinge postulierte. So ermöglichte er, dass Teile der Allmende auch dieser herausgenommen und privatisiert werden konnten. Nichtsdestoweniger habe es in der Geschichte der Menschheit aber immer frei zugänglich Domänen wie Wälder oder Weiden gegeben, die von den Leuten erfolgreich und nachhaltig genutzt und aufrecht erhalten worden seien.

Heute verhalte es sich mit virtuellen Gemeinschaften im Internet und insbesondere mit der Welt der freien Software nicht anders, führte Drahos aus. Entwickler würden sich dabei bewusst einverstanden erklären mit rechtlichen Arrangements wie der GNU General Public License (GPL), über die eine gemeinsame Eigentümerschaft an Code gewährleistet werde. Die Gegenseite müsse daher verstärkt auf "rhetorische Schachzüge" zurückgreifen und bei Informationen sowie Wissen überhaupt von Eigentum reden, ihre "Privilegien" zur Sicherung von Rechten betonen oder eine allgemeine Innovationsförderung reklamieren. Damit würden aber "tiefe Mängel" in der freien Marktwirtschaft verkleidet. Die Forschwelt sei sich einig, dass eines lineare Beziehung zwischen dem Ausbau gewerblicher Schutzrechte und der Innovation nicht nachweisbar sei.

Jamie Love, Leiter des Consumer Project on Technology und langjähriger Vorkämpfer der Wissensallmende, konnte sich den Seitenhieb nicht verkneifen, dass der Rhetorik des geistigen Eigentums teilweise eine Art "Stinktiergeruch" anhafte: Man könne sie nicht mehr loswerden und müsse dabei auch verstärkt an die Enteignung der öffentlichen Güter der Gesellschaft gerade in Entwicklungsländern denken. Ohne Zweifel stehe mehr auf dem Spiel als nur "Rock'n Roll", konstatierte Love im Hinblick auf die Sorgen der Musikindustrie. Angesichts eines tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandels und der Frage nach der Zukunft der Werkzeuge zum Erzeugen von Wissen müssten Anreize für die Innovation durchaus auch mit marktwirtschaftlichen Mitteln geschaffen werden, die aber Erfindungen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Einen ersten dafür könnten die Entwicklung einer Vereinbarung auf Ebene der Welthandelsorganisation (WTO) zum Verfügbarmachen öffentlicher Güter (GAPPG) darstellen.

Zu den Diskussionen um das Konzept des geistigen Eigentums, zu den juristischen Streitigkeiten um das Urheberrecht und zur Novellierung des deutschen Urheberrechtsgesetzes siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den Gesetzesentwürfen und -texten):

(Stefan Krempl) / (jk)