Preis für Vorreiter: Österreich anonymisiert Justizentscheidungen mit KI-Einsatz

Österreichs Bundesrechenzentrum gewinnt einen Preis für eine KI zur automatisierten Anonymisierung von Gerichtsdaten.

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(Bild: Shutterstock/Phonlamai Photo)

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Von
  • Silke Hahn
Inhaltsverzeichnis

Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) und das Bundesrechenzentrum (BRZ) der Republik Österreich haben gemeinsam ein Verfahren entwickelt, um Gerichtsentscheidungen automatisiert zu anonymisieren. Der KI-Einsatz soll nicht nur die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter von repetitiven Anwendungen entlasten, sondern insbesondere auch einer rascheren Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen dienen. Für die gemeinsam entwickelte KI-Anwendung sind BMJ und BRZ am 10. Oktober 2022 in Wien mit dem eAward in der Kategorie "Machine Learning und Künstliche Intelligenz" ausgezeichnet worden.

Die Jury hob in der Entscheidung hervor, dass hier KI perfekt eingesetzt werde, um repetitive Aufgaben beschleunigt abzuwickeln, was dem in der Justiz beschäftigten Personal beim Bewältigen der Arbeit helfe. Zudem habe die Anwendung "Exportqualität in viele andere Bereiche". Die österreichische Justizministerin Alma Zadić lobt in ihrer Stellungnahme zur Preisverleihung den Digitalisierungskurs ihres Ressorts und spricht davon, dass Österreich in dem Gebiet "eine Vorreiterrolle in Europa" einnehme. Die Anwendung sei ein Beispiel für den verantwortungsvollen Einsatz von KI-Technologie.

Das Bundesrechenzentrum der Alpenrepublik stand dem Bundesjustizministerium bei der Umsetzung als technischer Partner zur Seite. Seine Aufgabe sei, "Kompetenzzentrum für die Digitalisierung in der Bundesverwaltung" zu sein und die Anwendung zeige das große Potenzial von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning für den öffentlichen Sektor. Für das Bundesrechenzentrum stand die Entlastung der Beschäftigten im Vordergrund und dass die fertige Anwendung für die Bürgerinnen und Bürger einen greifbaren Mehrwert bietet, wie der Geschäftsführer des BRZ Roland Ledinger gegenüber der Presse mitteilte. Das Bundesrechenzentrum war bei den eAwareds mit mehreren Projekten für den Preis nominiert, so auch mit einem Projekt zu vertrauenswürdiger KI.

Das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) veröffentlicht fast ausschließlich Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs. Die ordentlichen Gerichte, zu denen auch etwa Landesgerichte und Oberlandesgerichte zählen, treffen in Österreich Entscheidungen, die für alle Rechtssuchenden von Bedeutung sind. Vor einer Publikation sind alle personenbezogenen Daten sowie Informationen, die Rückschluss auf die Sache und die Betroffenen zulassen, zu entfernen. Die Anonymisierung nimmt bei manueller Durchführung viel Zeit in Anspruch – mithilfe von Machine Learning und unter Einsatz von KI sei es dem BRZ gelungen, den Prozess wesentlich zu beschleunigen.

BMJ und BRZ gewinnen eAward für Einsatz von KI zur Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen. Die Preisträger beim eAward 2022: Christian Rupp (Jury), SC Dr. Alexander Pirker (BMJ), Mag. Christian Gesek (BMJ), Mag. Christian Adorjan (BRZ), Mag. David Steinbauer (BMJ)

(Bild: Report Verlag/ Richard Pohl)

So ermögliche die mit dem eAward ausgezeichnete Anwendung es, Personen, Organisationen, Orte "sowie weitere relevante Metadaten zu identifizieren, zu extrahieren und basierend auf festen Regeln zu anonymisieren", stets unter Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Anwendung soll zudem vorhandene Registerdaten berücksichtigen und enthält offenbar eine regelbasierte Suchfunktion. Wie das Bundesrechenzentrum angibt, sind die eingesetzten Machine-Learning-Modelle auf Basis manuell markierter Gerichtsentscheidungen trainiert. Sie kommen beim Erkennen enthaltener Informationen zum Einsatz, aber auch beim Entscheiden, welche Textpassagen zu anonymisieren sind. Die technische Herausforderung besteht dabei wohl im Erkennen der unterschiedlichen Rollen der Personen im Text. So soll etwa der Name von Richterinnen und Richtern nicht anonymisiert werden, und auch die anwaltlichen Vertreter und Vertreterinnen der Streitparteien sollen im Klartext erhalten bleiben.

Mittlerweile sollen bereits andere EU-Länder Anfragen an die österreichische Justiz und das Bundesrechenzentrum gestellt haben, die Anwendung und das technische Verfahren stoßen im europäischen Umfeld gemäß einem Sprecher des Bundesrechenzentrums auf erhebliches Interesse. Die Anfragen beziehen sich auf einen Know-how-Transfer, um ähnliche Anwendungen und Konzepte in anderen EU-Ländern zu implementieren. Aber auch in Österreich selbst sind dem Bundesrechenzentrum zufolge weitere Einsatzmöglichkeiten für die Technik vorstellbar.

So sei der Bedarf auch außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben, seitens Verwaltungsgerichten und weiterer Behörden seien bereits Anfragen eingegangen, wie der Leitende Staatsanwalt im Justizministerium Mag. Christian Gesek in einer Pressemitteilung kundtat. Ob aus Deutschland bereits Anfragen eingegangen sind, geht aus der Meldung nicht hervor.

Weitere Informationen lassen sich der Internetpräsenz des Bundesministeriums für Justiz und der Website des Bundesrechenzentrums entnehmen. Das BRZ feiert 2022 sein 25-jähriges Bestehen und ist seither mit der Entwicklung sicherer IT-Lösungen befasst, "um Österreichs Public Sector fit für die Zukunft zu machen", wie es auf der Website heißt. Es gilt als E-Government-Partner der österreichischen Verwaltung und verfügt über eines der größten Rechenzentren der Alpenrepublik.

Ein Bericht zur Verleihung des eAward 2022 ist im Digitalmagazin Report.at erschienen. Die im Bereich KI und Machine Learning nominierten Projekte sind auf einer Unterseite aufgelistet. Zum Thema liegt ein ausführlicher Artikel im Magazin des Bundesrechenzentrums read_IT vor, die Ausgabe 02/2022 steht Interessierten zum freien Download zur Verfügung.

(sih)