Psychologisch verheerend

Der Bundesnachrichtendienst (BND) darf auch künftig Fernmeldeverkehr mit dem Ausland über Satellit, Richtfunk oder Kurzwelle ohne Verdacht abhören und Informationen über Straftaten an die Ermittlungsbehörden weitergeben.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Norbert Luckhardt
  • Christiane Schulzki-Haddouti

Grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht Mitte Juli die Abhörbefugnisse des BND bestätigt. Es forderte jedoch Einschränkungen des 1994 verschärften Verbrechensbekämpfungsgesetzes. So muss der Umgang mit Daten künftig einer effizienteren Kontrolle unterworfen werden. Abhöropfer sollen informiert werden und die Datenübermittlung an Strafverfolgungsbehörden darf nur noch unter bestimmten Voraussetzungen erfolgen.

Die Reaktionen auf das Urteil waren geteilt: BND-Präsident August Hanning, die Bundesregierung und Oppositionspolitiker begrüßten das Urteil. Der schleswig-holsteinische Landesbeauftragte für den Datenschutz Helmut Bäumler ist allerdings enttäuscht:

c't: Der BND lauscht zu strategischen Zwecken. Weitergeben darf er Daten an die Polizei nur dann, wenn Verbindung zu schweren Straftaten besteht. Was kritisieren Sie an diesem Prinzip?

Bäumler: Die Stichwörter, nach denen die Telekommunikation ausgewertet werden soll, stammen aus dem Bereich der Strafverfolgung. So wie der Vorgang der Gesetzgebung gewesen ist, habe ich die Vermutung, dass im Vordergrund die Unterstützung der Strafverfolgung steht. Der eigentliche Zweck des BND, nämlich Aufklärungsarbeit im Bereich der auswärtigen Belange zu leisten, ist eher der Nebeneffekt. Das Gericht hat die Sache aber genau umgekehrt dargestellt, um seine Prämisse zu retten, die Einschaltung des BND sei für Strafverfolgungszwecke nicht zulässig.

c't: Hätte es der Polizei geschadet, wenn sie keine Daten vom BND erhielte?

Bäumler: Man könnte auf Grund der Gesetzesbegründung oder dieses Urteils den Eindruck gewinnen, die Bundesrepublik sei gegenüber der organisierten Kriminalität nahezu hilflos. Das ist nicht der Fall. Die internationale polizeiliche Zusammenarbeit ist deutlich vorangeschritten. Wir sind längst nicht mehr im Stadium des guten alten Interpol. Wir haben das Schengen-Informationssystem, wir haben Europol und eine Menge bilateraler Austauschabkommen - zuletzt das strittige Abkommen mit Russland -, die die Polizei in die Lage versetzen international zu agieren und zu reagieren.

c't: Ist die BND-Aussage plausibel, weniger als 0,01 Promille des Materials seien wertvoll?

Bäumler: Ja. Die geringe Anzahl der tatsächlich überprüften und in die Relevanz einbezogenen Gespräche beruht auf den zurzeit bestehenden technischen Engpässen. Die Technik verändert sich allerdings rapide. Schon im nächsten Jahr steht vielleicht eine Methode zur Verfügung, die die Anzahl der tatsächlich ausgewerteten Gespräche rapide in die Höhe schnellen lässt. Aber selbst wenn es auf absehbare Zeit nur wenige Gespräche wären, die ausgewertet oder an die Polizei weitergegeben werden, ist die psychologische Wirkung entscheidend: Nach diesem Urteil werden wir alle, wenn wir ein auslandsbezogenes Telefongespräch führen, damit rechnen müssen, erfasst zu werden. Damit ist die Unbefangenheit und die angstfreie Grundrechtausübung gefährdet.

c't: Hätte das Gericht die Möglichkeit, bei einer weiteren Verfassungsklage anders zu entscheiden?

Bäumler: Das Gericht könnte sich bei einer erneuten Verfassungsbeschwerde, die sich auf neues Faktenmaterial wie der Zahl der überwachten und an die Polizei weitergegebenen Telekommunikationsvorgänge stützt, noch einmal mit der Sache beschäftigen. Aber wer erfährt denn schon davon, dass der BND neue Überwachungscomputer hat? Das spielt sich im Geheimen ab und es bedarf vieler Zufälle und Schritte, dass dies öffentlich bekannt würde. (nl) (ole)