Robotik-Konferenz ICRA: Der Trend zum Dritt-Arm

Ein Extraarm als Helfer in verschiedenen Situationen: Daran arbeiten Forscher, aber bis zur Praxistauglichkeit ist es noch weit.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 20 Kommentare lesen
Robotik-Konferenz ICRA: Der Trend zum Dritt-Arm
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Die Entwicklung künstlicher Gliedmaßen mithilfe von Robotiktechnologie ist in erster Linie dadurch motiviert, Menschen, die Arme oder Beine verloren haben, ihre Beweglichkeit wiederzugeben. Daneben gibt es aber auch den Forschungsansatz, gesunde Menschen mit zusätzlichen Gliedern auszustatten, um ihren Handlungsspielraum zu erweitern.

Bei der Robotikkonferenz ICRA finden sich solche Forschungen unter dem Stichwort "Wearable Robotics" (Tragbare Roboter). Dort präsentiert etwa Catherine Veronneau von der kanadischen Université de Sherbrooke einen Roboterarm, der an der Hüfte getragen werden kann. Mit einer Masse von 4,2 kg sei er ungefähr so schwer wie ein menschlicher Arm, sagt sie. Über die Länge macht sie keine Angaben, auf Bildern erscheint der über 3 Freiheitsgrade verfügende Arm jedoch deutlich länger als das biologische Vorbild. Am Ende ist ein 3-Finger-Greifer befestigt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Lesen Sie zur ICRA auch:

Bewegt wird der Arm hydraulisch mittels magnetorheologischer Flüssigkeit, deren Viskosität durch Magnetfelder verändert werden kann. Er kann Lasten bis zu 12 kg stemmen, bei ausgestrecktem Arm immerhin noch 5 kg. Die dafür erforderlich Energie wird ihm von außen zugeführt. Das schränke die Bewegungsfreiheit des Nutzers etwas ein, so Veronneau. Gleichwohl sieht sie auch für eine solche Konfiguration sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten und vergleicht die Energiebasis mit einem Staubsauger, den man ja auch hinter sich herziehen könnte. Auf diese Weise ließe sich der dritte Arm etwa beim Obstpflücken, bei Malerarbeiten oder beim Fensterputzen einsetzen. An der Werkbank könnte er Werkzeuge bereithalten. In einer Videoaufnahme ist zu sehen, wie er mit einem Badmintonschläger Bälle schlägt.

Ein Sportler hätte durch die Nutzung des zusätzlichen Arms aber wohl eher Nachteile als Vorteile. Denn was nützt ein dritter Arm, wenn man die beiden anderen braucht, um ihn zu steuern? Derzeit wird der Arm denn auch von einer zweiten Person ferngesteuert. Um autonom zu agieren, müsste er in der Lage sein, die Intentionen des Nutzers zu verstehen. Für klar definierte Anwendungen sei das durchaus machbar, sagt Veronneau im Interview mit IEEE Spectrum: "Wenn die Aufgabe zum Beispiel darin besteht, die Tür zu öffnen, während der Nutzer etwas in seinen Händen trägt, sollte der Controller selbstständig den richtigen Moment erkennen, um die Tür zu öffnen." Für einen multifunktionalen Arm, der bei verschiedenen Aufgaben helfen kann, brauche es aber mehr Künstliche Intelligenz. "In dem weiten Feld menschlicher Intentionen gibt es noch viel zu erforschen", erklärt sie.

Bei der Entwicklung des tragbaren Arms kam der Spaß für die Forscher offenbar nicht zu kurz. "That‘s just for fun", kommentiert Veronneau in ihrer Präsentation Videoaufnahmen, die zeigen, wie der Roboterarm zur Demonstration seiner Kraft eine Gipswand zertrümmert. Und aktuell arbeitet ihr Forschungsteam am "beer stunt", inspiriert durch ein Internet-Video: Das zeigt einen Tänzer, der sein Bierglas auf einem an seinem Körper befestigten Tablett abstellt. Während er sich bewegt, bleibt dieses Tablett völlig ruhig stehen. "Tatsächlich ist dieses Video kompletter Schwindel", sagt Veronneau. "Wir wollen es Wirklichkeit werden lassen."

Natürlich sind die Kanadier nicht die einzigen, die an solchen Körperergänzungen arbeiten. So haben Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Lösung für das von Veronneau erwähnte Türöffnungs-Szenario entwickelt. Das Konzept, das Jacob W. Guggenheim auf der ICRA vorstellt, nutzt die vielfältigen Freiheitsgrade des menschlichen Körpers: So könne ein Mensch, der mit beiden Händen ein Paket trägt, immer noch die Finger bewegen. Im Experiment werden diese Bewegungen mit Sensoren an den Fingern erfasst und können durch vorab kodierte Zeichenfolgen dem Roboterarm Befehle übermitteln. Guggenheim zeigt Videoaufnahmen, in denen die Versuchsperson zunächst durch eigene Körperbewegungen den Arm in die richtige Position bringt und dann mithilfe seiner Finger den Befehl gibt, den Türgriff zu greifen und zu drehen. Um die Tür aufzuziehen, tritt der Mensch einen Schritt zurück und befiehlt dem Arm dann wieder mit Fingerbewegungen, den Türgriff loszulassen. Damit ist der Weg frei.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externes YouTube-Video (Google Ireland Limited) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Google Ireland Limited) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wahrscheinlich würde es schneller gehen, die Tür mit dem Ellbogen zu öffnen oder das Paket kurz auf dem Boden abzustellen. Auf den ersten Blick könnten die tragbaren Arme denn auch den Eindruck vermitteln, als hätte sich auf diesem Gebiet wenig getan, seit der Performance-Künstler Stelarc vor 40 Jahren erstmals mit seiner Third Hand aufgetreten ist. Wie in anderen Bereichen der Robotik zeigt sich aber auch hier, dass die großen Herausforderungen weniger bei der Hardware liegen als bei der Software. Bis tragbare Robotiktechnologie dem Menschen wirklich Nutzen bringt oder sogar so etwas wie Superkräfte verleiht, könnte es daher noch ein weiter Weg sein. Aber die Tür ist schon mal offen.

(mho)