Rückschlag für Ausbau des Schweizer Mobilfunknetzes

Eine gewichtige und emotionale Debatte über eine Erhöhung der zulässigen Strahlungswerte bei Mobilfunkanlagen endete in der kleinen Kammer des Schweizer Parlaments mit einer Ablehnung von höheren Grenzwerten.

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Antennenmast

Mehr Masten und Antennen oder höhere Grenzwerte – die Schweizer Parlamentarier sind sich nicht einig.

(Bild: dpa)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Tom Sperlich

Am Donnerstag stimmte der Schweizer Ständerat als zweitberatende parlamentarische Kammer der Schweiz darüber ab, ob die Strahlungsgrenzwerte für Mobilfunkanlagen heraufgesetzt werden sollten. Es endete knapp, aber eindeutig: Mit 20 zu 19 Stimmen bei 3 Enthaltungen wurde die parlamentarische Eingabe (Motion) abgelehnt. Damit ist das Thema erstmal vom Tapet des Parlaments. Die Kolleginnen und Kollegen der grossen Kammer, dem Nationalrat, stimmten hingegen bereits im Frühsommer 2016 für eine Erhöhung der Grenzwerte für Mobilfunkantennen.

Laut in den Medien zitierten Providern liefen bereits jetzt 6.000 der insgesamt rund 15.000 Mobilfunkanlagen an der Grenze der zulässigen Strahlungswerte. Die Eingabe eines ICT-Lobbyisten an den grossen Rat verlangte, dass das Mobilfunknetz modernisiert und ausgebaut werden solle. Der sah das auch so, sprach sich aber dagegen aus – auch aus obigem Grund – deshalb überall neue Handymasten aufzustellen. Die verbleibende Option: eine Erhöhung der Grenzwerte.

Der Bundesrat wurde beauftragt, die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) zu revidieren. Deren Grenzwerte sind in der Schweizer NISV deutlich geringer definiert, als in EU-Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland. Bis zu einem Zehntel weniger Strahlung sende ein Schweizer Handymast aus, sagen einige Experten. Verschiedene Ständeräte hatten in der Debatte argumentiert, wenn die Grenzwerte nicht erhöht würden, müssten "Tausende von Antennen" neu gebaut werden.

Auch die Swisscom als ein betroffener Mobilfunk-Provider glaubt, dass auf Basis der jetzigen Bedingungen in Zukunft "bedeutend mehr Antennen" nötig seien, um die Entwicklung mobiler Datennutzung stemmen zu können. Selbst dann werde es "sehr anspruchsvoll", mit dem Datenwachstum mitzuhalten, sagte ein Swisscom-Sprecher zur NZZ. Es sei zu befürchten, dass die Schweiz ihre Mobilfunknetze nicht so weiterentwickeln könne, "wie es die Digitalisierung der Gesellschaft erfordert".

Viele der Damen und Herren Ständeräte liessen sich von solchen Szenarien nicht beirren. Noch nie hätten sie derart viele Zuschriften aus der Bevölkerung wegen möglicher gesundheitlicher Auswirkungen erhalten, sagte eine Reihe von Ratsmitgliedern. Ein Rat verwies jedoch darauf, dass ihn eine Reihe von Zuschriften via iPhones und iPads erreicht hätte. Das zeige die "Schizophrenie". Den Komfort der mobilen Kommunikation schätzten alle, die Folgen aber wolle man nicht.

Die verantwortliche Ministerin, Bundesrätin Doris Leuthard, mahnte, die Sorgen über die Strahlung zwar immer ernst zu nehmen, gleichzeitig wäre es aber ein Fakt, dass sich das Volumen der Datenübertragung jedes Jahr verdoppelt. In den Haushalten lägen rekordmässig viele Smartphones, zu Weihnachten erhielten wahrscheinlich viele Kinder solche Geräte. Alle wollten unbeschränkten Zugang zum Internet bis hinauf in die letzte Berghütte.

Doch der Ständerat fand, dass die Bedenken der vielen Besorgten und Aufgebrachten ernst zu nehmen seien und die Menschen, die wegen der Strahlung bereits gesundheitliche Probleme hätten, nicht alles eingebildete Kranke sein könnten. Ein Rat verwies auf den Grundsatz "im Zweifel, verzichte". Hier gebe es Zweifel. Ja, und der Ständerat verzichtete deshalb auch am Ende. (ps)