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SCO v. IBM: Unendlicher Rechtsstreit zieht nach New York​

Daniel AJ Sokolov
Blick vom Wasser auf The Battery an der Südspitze Manhattans, im Vordergrund die Fähre

Blick auf The Battery, Manhattan - hierher können die Zeugen leichter reisen als auf die Jungferininseln.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Xinuos hat den Geist der SCO-Klage gegen IBM wiederbelebt. Ein Gericht auf den US Virgin Islands wäre zwar zuständig, schickt den Fall aber nach New York.

2003 hat die SCO Group wegen Linux IBM verklagt [1]: IBM hätte im Rahmen geistiges Eigentum von SCO übernommen und lizenzwidrig in Linux eingebaut und solle dafür eine Milliarde Dollar zahlen. SCOs Erfolg bei Gericht war enden wollend. Dennoch wurde 18 Jahre prozessiert. Der Geist des Verfahrens lebt in einem neuen Prozess weiter. Das neuste Kapitel der unendlichen Geschichte ist die Verlagerung des jüngsten Verfahrens von den Amerikanischen Jungferninseln nach New York. Weil das bequemer sei.

Eigentlich ist SCO längst pleite und das berühmte Verfahren SCO v. IBM abgeschlossen. Der epische Rechtsstreit hat bislang hunderte Berichte auf heise online und in den Zeitschriften c't und iX gezeitigt, davon rund 300 von heise-Autor Detlef Borchers. SCO [2] verklagte alle möglichen Firmen, darunter Red Hat, Novell und DaimlerChrysler. Zeitweise waren 17 Verfahren im Themenkreis SCO v IBM gleichzeitig anhängig.

Nachhaltig war dieses Geschäftsmodell nicht. Nach einer schweren Schlappe für SCO [3] im Streit mit Novell im Jahr 2007 musste SCO 2008 Konkurs anmelden. 2011 wurden die von der Firma gehaltenen Rechte sowie bestehende Wartungsverträge mit Kunden in 82 Ländern versteigert. Es gab zwei Bieter: Ein Unix-Fan bot achtzehn Dollar, eine eigens gegründete Firma namens Unxis bot 600.000 Dollar und erhielt den Zuschlag.

Unxis versprach, die müden Vorwürfe der SCO-Group gegen IBM nicht neu aufzuwärmen. "Unxis hat keine Absichten, Klagen in Verbindung mit den Assets der SCO Group anzustrengen", sagte CEO Richard Bolandz damals zu Zdnet [4], "Bei uns geht es um Weltführerschaft bei Technik, nicht um Gerichtsprozesse." Tatsächlich hat Unxis nur bestimmte Rechte, Verträge und einen winzigen Rest Mitarbeiter übernommen. Der Gerichtsprozess SCO v. IBM wurde noch viele Jahre vom SCO-Masseverwalter in Schwebe gehalten.

Das mit der Weltführerschaft bei Technik hat für Unxis noch nicht so recht geklappt. Auch eine Umbenennung in Xinuos, Managementwechsel und mehrere Umzüge haben den entscheidenden Durchbruch bislang nicht gebracht. Inzwischen residiert Xinuos in einem Technikpark auf den Amerikanischen Jungferninseln und hat ein neues Geschäftsmodell entdeckt: das der SCO Group. Zum 1. April 2021 (!) verklagte Xinuos IBM und deren Tochterfirma Red Hat.

Die Begründung liest sich ebenso abenteuerlich wie die Anstrengungen der SCO Group: Xinuos habe mit Openserver und Unixware bis zum Jahre 2008 (!) den Markt der Unix- und Linux-Server dominiert, während IBMs Servergeschäft zurückging. Durch "ungesetzliche Schritte" hätten beide Firmen Xinuos vom Markt verdrängt und geistiges Eigentum gestohlen. Schließlich habe IBM Red Hat übernommen [5], um weiter Verbraucher und innovative Konkurrenten "schikanieren" zu können.

Erhoben hat Xinuos die Klage beim US-Bundesbezirksgericht der Jungferninseln (Xinuos v. International Business Machines & Red Hat, Az. 3:21-cv-0031, US District Court of the Virgin Islands). Xinuos fuhr sechs Anwälte auf, IBM und Red Hat fünf. Nach neunzehneinhalb Monaten kam jüngst die erste bedeutsame Entscheidung des Inselgerichts: Das Verfahren wird an das US-Bundesbezirksgericht für das südliche New York übertragen.

IBM und Red Hat wollten lieber dort verhandeln, zumal IBM seinen Sitz in dem US-Staat hat. Xinuos bevorzugte ein Heimspiel auf den Jungferninseln. Das dortige Gericht erkannte zwar seine eigene Zuständigkeit an, doch sei auch der Bundesgerichtsbezirk des südlichen New York ein passendes Forum. US-Bundesrecht sieht vor, dass Zivilverfahren an andere, passende Bundesgerichte übertragen werden können, wenn es das für Parteien und Zeugen bequemer macht und im Interesse der Justiz ist.

Vor so einer Übertragung muss das angerufene Gericht laut Rechtsprechung nicht weniger als zwölf Faktoren bewerten und gegen einander abwiegen. Die Argumente sind in der Entscheidung vom 14. November auf über 20 Seiten nachzulesen. Sogar die Frequenz, Dauer und Kosten von Flugverbindungen aus jenen Städten außerhalb New York Citys, in denen die meisten vorgesehenen Zeugen leben, hält das Gericht fest.

Das Ergebnis: Nur einer der zwölf Faktoren spricht für einen Prozess auf den Jungferninseln – nämlich der, dass sich Xinuos dieses Gericht ausgesucht hat. Also genehmigt der Richter IBMs Antrag, das Verfahren an das US-Bundesbezirksgericht für das südliche New York zu übertragen. Dort erhält das Verfahren Xinuos v. International Business Machines & Red Hat ein neues Aktenzeichen: 22-cv-09777.

Selbstredend könnte Xinuos gegen die Entscheidung Rechtsmittel ergreifen. Selbst wenn nicht, wird das wiederauferstandene SCO-Verfahren noch geraume Zeit weiterlaufen. Höchstwahrscheinlich in New York.

Vor gut einem Jahr hat sich der SCO-Masseverwalter mit IBM gerichtlich verglichen. Nicht die 2003 von SCO geforderte Milliarde US-Dollar, aber immerhin 14,25 Millionen Dollar bot IBM. Im Gegenzug lässt der Konkursverwalter alle Ansprüche gegen IBM fallen. Die Zahlung deckt große Teile der Kosten des Konkursverfahrens. Die SCO-Gläubiger, denen theoretisch über 100 Millionen Dollar zustehen, haben davon nichts mehr.

In letzter Sekunde zögerten zwei Altbekannte den Vergleich noch ein bisschen hinaus: Xinuos und ein gewisser Darl McBride. Xinuos beeinspruchte den gerichtlichen Vergleich mit dem Argument, dass die SCO-Masse darin Ansprüche fallen lasse, die eigentlich Xinuos zustünden und im eigenen Prozess gegen IBM relevant seien. Darüber zu entscheiden, ist aber nicht Aufgabe des Konkursgerichts.

Darl McBride war jener CEO der SCO Group [7], der das unendliche Verfahren begonnen und die Firma in Konkurs geführt hat. Der Mann ist heute selbst bankrott, sein 2020 eingeleiteter Privatkonkurs ist in Nevada anhängig. Er ist aber auch einer der SCO-Gläubiger. McBride gab gegenüber dem Gericht in Delaware an, einen Prozessfinanzierer gefunden zu haben, der 14,5 Millionen Dollar für die behaupteten Ansprüche SCOs gegen IBM zahlen würde - eine Viertelmillion mehr als IBM.

Anschließend würde der Prozessfinanzierer gemeinsam mit McBride das Verfahren SCO v. IBM auf eigene Rechnung weiterführen. Ausständig sei allerdings noch eine Due Diligence durch den Prozessfinanzierer. Damit war das Angebot nicht verbindlich und das Gericht nicht überzeugt. Justizia hatte ein Einsehen. Man stelle sich vor, das Ganze ginge dank Prozessfinanzierung von vorne los...

PS: Wer es genau wissen möchte, folge dem Link zur Unendlichen Geschichte SCO v. IBM von der Klage bis zum Konkursantrag [8] bei c't online.

(ds [9])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7359586

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/news/SCO-verklagt-IBM-wegen-Linux-75735.html
[2] https://www.heise.de/news/Von-unendlichen-Geschichten-an-endlichen-Freitagen-3220740.html
[3] https://www.heise.de/news/SCO-vs-Linux-Schwere-Schlappe-fuer-SCO-im-Streit-um-Unix-Rechte-162237.html
[4] https://www.zdnet.com/article/sco-is-dead-sco-unix-lives-on/
[5] https://www.heise.de/news/Mega-Deal-IBM-uebernimmt-Red-Hat-4205582.html
[6] https://www.heise.de/downloads/18/3/6/5/4/8/7/1/0.pdf
[7] https://www.heise.de/news/SCO-vs-Linux-SCO-Konkursverwalter-entlaesst-SCO-Chef-Darl-McBride-833034.html
[8] https://www.heise.de/hintergrund/SCO-vs-Linux-Die-unendliche-Geschichte-302076.html
[9] mailto:ds@heise.de