SPD-Chef Beck signalisiert Gesprächsbereitschaft bei Online-Razzien

Kurt Beck hat erneut Bedingungen für die umstrittenen Netzbespitzelungen aus SPD-Sicht genannt und ist sich mit Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) einig, dass die Freiheit nicht zu Tode geschützt werden dürfe.

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Nach den hitzigen Wortgefechten rund um die Befugnis für heimliche Online-Durchsuchungen für das Bundeskriminalamt (BKA) in den vergangenen Tagen bemühen sich Spitzenpolitiker der großen Koalition nun um versöhnlichere Töne in der festgefahrenen Sicherheitsdebatte. Zu den Plänen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zur Novelle des BKA-Gesetzes und weiteren Überlegungen des CDU-Politikers zur Terrorismusbekämpfung erklärte SPD-Chef Kurt Beck in der Bild am Sonntag: "Wir sind gesprächsbereit." Aber es gebe auch klare Grenzen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident warnte zugleich: "Wir dürfen nicht die Freiheit, die wir schützen wollen, selber aufgeben – nach dem Motto: Selbstmord aus Angst vor dem Tod." Deshalb sei ein "falscher Sicherheitswettbewerb" fehl am Platz. Die terroristische Bedrohung sei zwar größer geworden. "Aber wir haben schon eine Menge zu unserem Schutz getan."

Für die verdeckte Durchforstung von Festplatten und Speicherplattformen im Netz stellte Beck aus SPD-Sicht erneut eine Reihe Bedingungen auf. "Wir müssen sorgfältig abwägen, ob es nötig und ob es juristisch überhaupt möglich ist", führte der Ministerpräsident aus. "Es geht um einen ganz sensiblen Bereich der Privatsphäre." Daher müssten die Prinzipien des Rechtsstaates gewahrt bleiben und die Betroffenen etwa die Möglichkeit haben, sich gegen die Durchsuchung privater Daten juristisch zur Wehr zu setzen. Dies könnte naturgemäß aber erst nach einer entsprechenden Benachrichtigung über eine durchgeführte Spitzelmaßnahme der Fall sein.

Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung optimistisch, dass es bei der Reform des BKA-Gesetzes bis Ende August zu einer Einigung mit der SPD kommen werde. "Wir brauchen die Online-Durchsuchung", machte er sich erneut für eine entsprechende Lizenz für das BKA stark. Allgemein mahnte de Maizière zur Besonnenheit bei neuen Vorschlägen zur Terrorabwehr, ohne Schäuble direkt beim Namen zu nennen: "Der Tonfall ist dabei sehr wichtig". Zwar müsse man alles tun, um mögliche Anschläge zu vermeiden. "Vor lauter Angst dürfen wir aber unsere freiheitliche Ordnung nicht aufgeben", ging der Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel mit Beck konform.

Umstrittenste Frage innerhalb der Koalition und unter Wissenschaftlern ist bei den verdeckten Online-Durchsuchungen nach wie vor, wie der laut dem richtungweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff absolut geschützte Kernbereich der privaten Lebensgestaltung außen vor bleiben könnte. Mit Spannung wird daher das voraussichtlich Ende des Jahres anstehende Urteil aus Karlsruhe zur Befugnis für Netzbespitzelungen im nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz erwartet. Im Gericht wird laut dpa mit Hochdruck an dem Verfahren gearbeitet, nicht nur, weil der dafür zuständige Richter Wolfgang Hoffmann-Riem nächstes Frühjahr in Pension geht. Der Erste Senat soll dabei auch die Pläne Schäubles zur BKA-Novelle im Blick haben.

Experten spekulieren, dass sich die roten Roben bei der Behandlung der heimlichen Online-Durchsuchung stark an ihrer Entscheidung zur akustischen Wohnraumüberwachung orientieren dürften. Karlsruhe hatte im März 2004 das Verwanzen von Wohnungen zwar grundsätzlich gebilligt, aber mit derart strikten verfassungsrechtlichen Einschränkungen versehen, dass die Maßnahme aus der polizeilichen Praxis nahezu verschwunden ist. Die Union pocht daher auf die Einführung eines "Richterbandes". Dabei sollen alle zu erhaltenden Kommunikationsinhalte aufgezeichnet werden und ein Richter dann über ihre Verwertbarkeit entscheiden. Dieses Verfahren schwebt der Union auch bei der Online-Durchsuchung vor.

Nach Einschätzung des Deutschen Richterbundes (DRB) ist die Umsetzung dieses Ansatzes in der Praxis aber nur sehr schwer vorstellbar. Das wäre ein "gigantischer Arbeitsaufwand" und würde ein "deutliches Nachrüsten" der personellen Kapazitäten beim zuständigen Bundesgerichtshof (BGH) erfordern, erklärte der DRB-Vorsitzende Christoph Frank jüngst. Für die zuständigen Ermittlungsrichter wäre eine solche Aufgabe ein "Vollzeitjob". Der Staatsanwalt gab auch zu bedenken, dass neben neuen Richtern viele Übersetzer benötigt werden dürften. Die Abwägung der Interessen von Strafverfolgern, der Justiz und den Grundrechten dürfte den roten Roben daher nicht einfach fallen.

Das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz könnte aber auch bereits daran scheitern, dass seine Vorschriften zu vage sind. Entsprechende Kritik klang aus Karlsruhe bereits durch. Vor zwei Jahren kippten die Verfassungsrichter ganz in diesem Sinne das niedersächsische Gesetz zur vorbeugenden Telefonüberwachung. Die damit bezweckte Verhinderung von "Straftaten von erheblicher Bedeutung" war ihnen zu unbestimmt.

Die heimliche Online-Durchsuchung von Computern stößt bei vielen Datenschützern und Juristen auf Skepsis. Sie melden grundsätzliche Bedenken an und warnen vor eventuell angestrebten Grundgesetzänderungen. Siehe dazu:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (hos)