SPD weist neue Forderungen der Union in der Sicherheitsdebatte zurück

CDU-Minister wollen Computer aus Angst vor atomaren Anschlägen stärker überwachen und Flugzeuge abschießen ­ SPD-Innenpolitiker warnen "einigermaßen fassungslos" vor Verfassungsbruch.

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Neue Forderungen und Szenarien aus der Union in der angespannten Debatte um die innere Sicherheit haben die SPD verärgert. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte am Wochenende vor terroristischen Anschlägen mit nuklearem Material gewarnt und sich gleichzeitig vehement erneut für heimliche Online-Durchsuchungen ausgesprochen. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), zeigte sich daraufhin "einigermaßen fassungslos". Wenn Schäuble konkrete Hinweise habe, sollte er intern tätig werden. "Es würde einem für die Sicherheit verantwortlichen Minister in dieser Situation gut anstehen, sich verantwortungsbewusst zu zeigen und nicht noch zur Verunsicherung beizutragen", mahnte der Innenpolitiker. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil betonte, wenn Schäuble meine, "die Gefahr von atomaren Terroranschlägen an die Wand malen zu müssen, sollte er sich dafür einsetzen, dass Atomkraftwerke so schnell wie möglich abgeschaltet werden".

Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Dieter Wiefelspütz, kritisierte die Äußerung Schäubles scharf. "Der Innenminister sollte weniger Interviews geben und sich mehr um die praktische alltägliche Sicherheitsarbeit kümmern", riet der SPD-Politiker. Schäubles immer neue Gefahrenszenarien würden bei der praktischen Arbeit nicht weiter helfen. Den Unionsforderungen nach einer raschen gesetzlichen Regelung zum Einsatz des so genannten Bundestrojaners erteilte Wiefelspütz zudem erneut eine Absage. "Wir warten das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ab", unterstrich er die SPD-Position. Zugleich deutete er grundsätzlich die Möglichkeit einer Einigung mit dem Koalitionspartner nach der Entscheidung in Karlsruhe an: "Es wird noch geraume Zeit dauern, bis die Online-Durchsuchung kommt."

Für Unmut bei den Sozialdemokraten sorgen auch andere Vorstöße aus der Union zum Umbau der Sicherheitsarchitektur, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und zur akuten Gefahrenabwehr. Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hatte angekündigt, er würde notfalls den Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeugs auch ohne gesetzliche Grundlage befehlen, wenn diese Andere bedrohten. Wiefelspütz bezeichnete diese klare Ansage gegenüber der Passauer Neuen Presse als "grenzwertig und hoch problematisch" und warf dem Minister "Aufruf zum Verfassungsbruch" vor. Jung bekräftigte seine Ansichten indes. Der Staat müsse bei einer bestimmten Gefahrenlage handlungsfähig sein, sagte er in den ARD-Tagesthemen. Die Sicherheitskräfte, einschließlich der Bundeswehr, müssten sich "darauf einstellen, Gefahrenlagen von den Bürgern abzuwenden". Dazu bedürfe es prinzipiell einer Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht. Solange es aber noch keine verfassungsrechtliche Grundlage gebe, gelte im Extremfall das Recht des übergesetzlichen Notstands.

Der Vorstoß ist Jung zufolge zwischen seinem Ministerium und dem Bundesinnenministerium abgestimmt. "Ich bin mir völlig einig mit dem Bundesinnenminister", sagte der Verteidigungsminister. Innerhalb der Regierung gebe es aber noch keinen Konsens. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach nahm Jung und Schäuble gegen Kritik in Schutz. "Hier gibt es Schutzlücken, die wir solange nicht schließen können, bis sich die SPD endlich bewegt", beklagte der CDU-Politiker. Er forderte die Genossen auf, einer Grundgesetzänderung beim Thema Luftsicherheit ebenso zuzustimmen wie rechtlichen Änderungen für Online-Razzien im Anti-Terror-Kampf.

Auch der designierte neue Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, hat im Vorfeld des Bundeskongresses seiner Organisation in dieser Woche in Berlin mehr Befugnisse für die Ermittler angemahnt. Der Hauptkommissar sagte MDR Info, es müsse alles getan werden, um die Möglichkeit von Anschlägen auszuschließen. Und zwar unabhängig davon, ob Islamisten bereits über Atomwaffen verfügen würden oder nicht. Wendt sicherte Schäuble bei dessen Plänen zu Online-Durchsuchungen volle Unterstützung zu. Die verdeckte Online-Durchsuchung sei die zeitgemäße Antwort auf die aktuelle Bedrohungslage. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte sich zuvor dagegen deutlich zurückhaltender zu dem Prestigeprojekt des Innenministers geäußert.

FDP-Chef Guido Westerwelle warnte im Flensburger Tageblatt vor einer weiteren Aushöhlung der Privatsphäre bei der Terrorabwehr und darüber hinaus. "Den gläsernen Bankkunden haben wir schon, der gläserne Patient ist in Planung, der gläserne Steuerbürger soll nach dem Wunsch der so genannten großen Koalition jetzt kommen." Mit der neuen einheitlichen Steuernummer, die seit Juli an die Bürger ausgegeben wird, seien die entsprechenden Daten bis 20 Jahre nach dem Tod des Steuerzahlers aufzubewahren.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

Siehe dazu auch die Anmerkungen zur Online-Durchsuchung von BKA-Chef Jörg Ziercke und von Datenschützern auf der Datenschutz-Sommerakademie des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz:

Einen ausführlichen Einblick in die jüngsten Ausführungen des Bundesinnenministeriums zu den Plänen für Online-Razzien und in die Antworten Schäubles auf den Fragenkatalog des Bundesjustizminsteriums sowie der SPD-Fraktion zur Online-Durchsuchung bieten Meldungen im heise-Newsticker und ein Bericht in c't – Hintergrund:

(Stefan Krempl)/ (jk)