Schärfere Wahrnehmung und langsameres Denken durch neue Medien

Hintergrund: Surfen im Internet, Spielen am Computer, Zappen durch die Fernsehprogramme und Telefonieren in allen Lebenslagen - die bildliche Wahrnehmung wird schärfer, aber kompliziertes Denken kann länger dauern.

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Von
  • Rudolf Grimm
  • dpa

Sie surfen im Internet, spielen am Computer, zappen durch die Fernsehprogramme und telefonieren in allen Lebenslagen: Vor allem Jugendliche sind einer ständig wachsenden Informationsflut ausgesetzt. Sind diese andauernden Sinnesreizungen förderlich oder schädlich für die Intelligenz des Menschen? Psychologen geben darauf differenzierende Antworten: Die bildliche Wahrnehmung werde schärfer, aber kompliziertes Denken könne länger dauern.

Für den amerikanischen Intelligenzforscher Ulric Neisser resultiert aus dem verstärkten Umgang mit visuellen Medien der "wohl wichtigste Wandel im 20. Jahrhundert für die menschliche Intelligenz". "Von Wandpostern über Filme, Fernsehen und Videospiele bis zu Computern wurde jede Generation mit mehr optischen Darstellungen konfrontiert als die vorherige, zitiert ihn die Zeitschrift Psychologie heute in ihrer neuen Ausgabe. Daraus erkläre sich auch der so genannte Flynn-Effekt. Der neuseeländische Politikwissenschaftler James Flynn hatte in den achtziger Jahren entdeckt, dass die Intelligenzquotienten in den Industrieländern seit Anfang des 20. Jahrhunderts kontinuierlich zugenommen hatten.

Die US-Forscherin Patricia Greenfield führt besonders den steilen Intelligenzanstieg der vergangenen 25 Jahre auf den Siegeszug des Computers und der visuellen Medien zurück. Dies werde aber vor allem bei nicht-sprachlichen Tests deutlich. Ein viel geringeres Intelligenzwachstum zeige sich bei sprachlichen Tests. Kinder sind offenbar in Folge der zunehmenden "Bildhaftigkeit" unserer Kultur mit Figuren, Mustern und Bildern besser vertraut als mit Buchstaben.

Nach Meinung der amerikanischen Psychologin Francis Heylighen stellt die Gesellschaft heute insgesamt höhere intellektuelle Anforderungen und bietet "neugierigen Kindern mehr Informationen und komplexere Denkperspektiven". Computer könnten beim Spielen und Lernen das allgemeine Wissen, geistige Beweglichkeit und abstraktes Denken von klein auf fördern.

Der Psychologieprofessor Hugo Schmale von der Universität Hamburg hat bei Berufseignungs-Tests festgestellt, dass Jugendliche heute eine um 30 Prozent höhere Wahrnehmungs-Geschwindigkeit als vor zwanzig Jahren haben, und zwar visuell wie auch akustisch. Sie könnten sich in einer immer schneller werdenden Welt also rascher orientieren, sagte Schmale der dpa. Aus den Tests ergab sich aber ein Rückgang bei anderen Intelligenz-Fähigkeiten wie dem Abstraktionsvermögen. Dies zeige sich auch bei Problemen, die Denkprozesse erfordern und längere Zeit beanspruchen – etwa beim Ausrechnen oder dort, wo es zu definieren gilt, wodurch sich zwei Begriffe unterscheiden. "Das dauert den Leuten zu lange. Sie werden ungeduldig und unzufrieden." Die verbreitete Gewohnheit, nebenbei Radiomusik zu hören, könne die Aufmerksamkeit erhöhen, sagte Schmale. "Es hält das Gehirn wach." Bedingung für diesen Effekt sei aber, dass die Musik nicht bewusst wahrgenommen wird und möglichst rhythmisch ist. Melodisches lenke hingegen leichter ab und habe zudem einen Entspannungs-Effekt. Bei Beschäftigungen, die große Genauigkeit über längere Zeit erfordern, funktioniere der Wachhalte-Mechanismus allerdings nicht mehr.

Freizeitforscher Horst W. Opaschowski hat erhebliche negative Auswirkungen der neuen Medien ausgemacht. Eine mit Informationsflut und Sinnesüberreizung aufwachsende Generation neige immer mehr dazu, alles auszublenden, was für die persönlichen Ziele nicht von Bedeutung sei, ergab die Studie "Generation@. Die Medienrevolution entlässt ihre Kinder" des Hamburger B.A.T.-Freizeit-Forschungs- Instituts. Auch die Kommunikationsfähigkeit der Jugendlichen drohe nachzulassen. (Rudolf Grimm, dpa) / (jk)