Schichten aus Zeit

Der Fotograf Dirk Brömmel spielt vieldeutig mit Perspektive, Form und Farbe. Kopfüber von Brücken oder aus dem Untergrund fotografiert er Schiffe und Straßenzüge. Wir haben mit ihm gesprochen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Sabine Tropp

Der Fotograf Dirk Brömmel spielt vieldeutig mit Perspektive, Form und Farbe. Kopfüber von Brücken oder aus dem Untergrund fotografiert er Schiffe und Straßenzüge. Und auch in seiner Arbeit über die von Bauhaus-Architekt Ludwig Mies van der Rohe entworfene Villa Tugendhat in Tschechien nimmt der Fotograf einen besonderen Blickwinkel ein.

Unsere Kollegin Sabine Tropp von Seen.by sprach mit dem Fotografen, der in Wiesbaden lebt und arbeitet, über seine Leidenschaft für Perspektiven und sein Bild von Vergänglichkeit und Erinnerung.

Herr Brömmel, was bedeutet Ihnen Fotografie?

Ich glaube, es ist die Sehnsucht, etwas festhalten zu wollen, gedanklich nicht loslassen zu können. Für mich ist die Fotografie das Mittel zum Zweck, dieses Gedankliche greifbar zu machen in Form eines Bildes.

Ist das auch die Idee hinter Ihrer Arbeit über die Villa Tugendhat?

Gondola quattrodici bianca, 2006

(Bild: © Dirk Brömmel, www.dirk-broemmel.de)

Es sind Räume, die irgendwann von Menschen belebt wurden, die physisch nicht mehr da sind, aber etwas von ihnen ist zurückgeblieben. Ich vergleiche das gern mit einer Wärmebildkamera. Als ob man die Restwärme eines Körpers, der sich vor zehn, zwanzig Jahren in dem Raum befand, heute noch einmal fotografisch sichtbar machen könnte. Gleichzeitig sollen die Aufnahmen Vergänglichkeit bewusst machen. Ich kann die Personen auf den Bildern nicht mehr kennen lernen. Aber es geht auch nicht um sie, sondern um die Situation, in der sie sich damals beim Fotografieren befanden: Kinder beim Spielen oder Essen, Erwachsene, die gerade entspannt auf einem Stuhl sitzen und lesen. Diese Alltagsfotografie findet sich als Erinnerung in jedem Familienalbum. Ich sehe die Serie stellvertretend für das eigene, persönliche Familienleben des Betrachters. Deshalb funktionieren diese Fotos so gut, trotz der fremden Menschen, die darauf zu sehen sind.

Warum fiel Ihre Wahl auf diesen geschichtsträchtigen Ort, der inzwischen als architektonisches Denkmal zum Weltkulturerbe der Unesco gehört?

Die Arbeit ist in meiner Studienzeit an der Akademie für Bildende Künste in Mainz entstanden. Mein damaliger Professor Vladimir Spacek, der aus Tschechien stammt, hatte uns den Aufenthalt und das Arbeiten in der Villa in Brünn ermöglicht. Man muss wissen, die Villa Tugendhat ist in der Vergangenheit schon von vielen Fotografen fotografiert worden. Für mich stand fest, ich möchte von dieser Art Bilder nicht noch mehr produzieren. Ich bin in den ersten zwei, drei Tagen durch diese Räume gestreift, auf der Suche nach einer Idee. Auf meinen Wegen dachte ich plötzlich, es wirkt wie ein riesiges, leeres Puppenhaus. Das eigentliche Leben, das hier einst stattfand, ist für mich nicht mehr greifbar. Ich wollte, dass man es noch einmal zu Gesicht bekommt und spürt. Anhand alter Fotos habe ich mich dann auf die Suche nach den Originalplätzen ihrer Entstehung in dem Haus begeben.

Woher stammten die alten Fotos?

Schiff Nr. 4, 2003

(Bild: © Dirk Brömmel, www.dirk-broemmel.de)

Aus Katalogen und Büchern in denen Familienfotos des Hausherrn, dem Industriellen Fritz Tugendhat, abgebildet waren. Ich habe die Möbel und Accessoires, die rekonstruiert worden waren, wieder an ihren alten Platz verschoben und sozusagen 80 Jahre später aus der gleichen Perspektive, mit dem gleichen Objektiv, wann immer möglich auch zur gleichen Tageszeit noch einmal fotografiert.

Ihre Bilder wirken wie Abzüge eines alten, doppelt belichteten Films. Wodurch entsteht dieser Eindruck?

Die alten Schwarzweiß-Fotos aus Katalogen und Büchern, die ich verwendet habe, und meine eigenen Fotos wurden eingescannt. Die beiden Bilder wurden am Computer übereinander gelegt. Früher musste man diesen Prozess unter dem Vergrößerungsglas machen, und nannte ihn Sandwich-Verfahren, weil die Bilder wie die Zutaten bei einem Sandwich geschichtet wurden.

Viele Ihrer Bilder, wie die aus der Serie „Kopfüber“ oder „Venedig“, zeichnen sich durch extreme Perspektiven aus. Warum wählten Sie gerade diese Ausschnitte?

Ich wollte etwas fotografieren, was im ersten Moment nicht fotografierbar schien – ein extremer Blickwinkel wie in "Kopfüber" von einer Brücke auf Schiffe oder eine Straßenansicht von unten wie bei "Venedig". Damals begann gerade die Zeit von Google Earth, wo man alles von oben sah. Mein Ansatz war, das Ganze mal von unten zu betrachten. Ich bin diesen Straßenzug in Venedig abgelaufen und habe jeden Meter ein Foto gemacht, immer mit dem Blick steil nach oben. Der Arbeitsaufwand war immens.

Die Personen auf den Arbeiten zur "Villa Tugendhat" sind nur als Schemen sichtbar. Dienen die Menschen in Ihrer Fotografie generell nur als Staffage?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt wohl Bilder, bei denen die Architektur, Struktur, Form und Farbe im Vordergrund stehen. Dann gibt es wieder Arbeiten, da steht mehr der Mensch im Fokus. Zum Beispiel bei den Schiffen auf denen Menschen zu sehen sind, gehen die Betrachter in meinen Ausstellungen interessanter Weise ganz nah an die Fotografie, sobald Menschengruppen auf meinen Objekten zu sehen sind, und schauen sich genau an, was diese Leute auf dem Bild so machen. Da kommt wohl der voyeuristische Charakter des Betrachters ins Spiel. Ich vermute, wo Menschen abgebildet sind, verändert sich die Lesbarkeit des Bildes.

Gab oder gibt es für Sie fotografische Helden?

Nicht direkt. Da waren immer Fotografen, die mich fasziniert haben. In meiner Lehrzeit war es Ansel Adams, sein Umgang mit Schwarzweiß-Fotografie und seine Verfahren bei der Entwicklung von Negativen, um das perfekte Bild herauszuschälen. Später während des Studiums waren es dann eher Fotokünstler wie William Eggleston oder Hilla und Bernd Becher mit ihrer sachlichen Bildsprache.

Was macht deren Fotografie für Sie in Ihrer eigenen Arbeit interessant?

Es sind die Ansätze ihrer Bildideen, weniger wie sie letztendlich fotografisch umgesetzt wurden. Ich selbst kann nicht mit der Kamera auf die Straße gehen und mal eben ein Foto machen. Ich arbeite nicht aus dem Bauch heraus, sondern kopflastig mit einem klaren, vorab entwickelten Konzept. Wenn man meine Arbeiten anschaut, wirken sie sehr architektonisch. Ich träumte in meiner Schulzeit davon, später unbedingt etwas mit Architektur zu machen. Ich machte schließlich eine Lehre als Fotograf in einem Werbestudio, studierte zunächst Kommunikationsdesign und anschließend Kunst mit der Fachrichtung Fotografie um inhaltlich ein möglichst breites Spektrum zu haben. Schon während meiner Ausbildung wurde mir klar, dass ich nicht in einer Porträtklitsche enden wollte.

Was bewegt Sie dazu, in Ihren Bildern diese klare, strukturelle Bildsprache zu verwenden?

Es fasziniert mich, die Dinge in ihrer Einfachheit zu präsentieren. Meine Bildwelten sollen ohne störendes Umfeld auskommen, damit der Betrachter sich ausschließlich auf das Wesentliche konzentrieren kann.

Das Interview führte unsere Kollegin Sabine Tropp für seen.by. Dort finden Sie auch mehr Fotografien zum Thema Dokumentation. Den Katalog zur Ausstellung gibt es im Kerber Verlag, er enthält 47 farbige und/oder s/w Abbildungen im Format 27 cm × 25 cm.

Weitere Informationen zu Dirk Brömmel:

  • Homepage: www.dirk-broemmel.de
  • Ausstellung: „Villa Tugendhat“ – Fotografien von Dirk Brömmel
    01.03. 2012 – 06.04.2012
    f75 fotogalerie, Filderstraße 75, 70180 Stuttgart
    www.f-75.de

(keh)