Schiff, Show und DVD: Mathematik-Jahr überall

Im Mathe-Jahr wird auf allerlei Wegen versucht, der deutschen Öffentlichkeit die Bedeutung der Mathematik für viele Bereiche des Lebens näher zu bringen: Impressionen unter anderem vom "Mathe-Schiff" und einem Experimentalvortrag.

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Von
  • Daniel K. Fischer

Zünftig von einem Staatssekretär des Bundesforschungsministeriums mit einer Sektflasche getauft, ist das Frachtschiff "Jenny" nun wieder vier Monate als "MS Wissenschaft 2008" auf deutschen Flüssen unterwegs: Schon im siebten Jahr in Folge ist der Laderaum, den sonst über 100 Container oder auch tonnenweise Kohle füllen, zu einem schwimmenden Science-Center geworden. An rund 30 Liegeplätzen quer durch's Land lässt sich bis zum 4. September bestaunen, welche Exponate führende deutsche Forschungsinstitute für geeignet hielten, die Mathematik populärer zu machen. Denn dies ist das Konzept hinter der MS Wissenschaft: Die Gestaltung eigener museumsdidaktischer Ausstellungsstücke würde den finanziellen Rahmen selbst der mit jeweils mehreren Millionen Euro öffentlicher und Sponsoren-Gelder geförderten Wissenschaftsjahre bei weitem sprengen. Und auch die Kompetenz dafür wäre gar nicht vorhanden, wie man auf der Pressekonferenz zum Start freimütig bekannte. Stattdessen erging einerseits eine Einladung an namhafte Forschungseinrichtungen des Landes, etwas Passendes beizusteuern – woraufhin dann Ausstellungsspezialisten versuchen mussten, aus dem Angebotenen ein überzeugendes Gesamtbild zu entwickeln.

Schiff, Show und DVD: Mathematik-Jahr überall (5 Bilder)

Das Mathe-Schiff im Mathe-Jahr

Ein schwimmendes Science Center - der große Ballon ist nur ein Blickfang, die gesamte Ausstellung befindet sich unter Deck. (Bild: Daniel Fischer)

In der Ausschreibung für diese Agentur war anlässlich des Jahres der Mathematik 2008 von einer "interaktiven, auf Mitmachen und Ausprobieren ausgelegten Ausstellung" die Rede gewesen, um "die Komplexität der Mathematik einerseits zu erschließen" – und sie sollte andererseits "die zahlreichen Anwendungen in unserem Alltag und die Bedeutung für unser Leben darstellen." Die Ausstellung sollte dabei "für ein breites Publikum verstehbar" sein, gleichzeitig Grundlagen vermitteln (explizit soll jeder Besucher nach Verlassen des Schiffs die Dreisatzrechnung beherrschen!) und Beispiele aus der aktuellen Forschung bringen. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, "dass die Ausstellungsstruktur – beispielsweise mit thematischen Inseln – eine übergreifende Dramaturgie bzw. den roten Faden behält": eine große Herausforderung angesichts der Diversität der quasi zufällig eingetroffenen Exponate. Im Gegensatz zum verbreiteten Museumsstil mit düsteren Räumen und gesetzten Spots begrüßt das "Mathe-Schiff" den Besucher in hellen Farben, die die 32 Stationen auch – ein wenig – thematisch gliedern. Und auf die eine oder andere Weise interaktiv geht es tatsächlich fast immer zu: Wir zählten nur vier statische Exponate, aber 15 Experimente zum Anpacken ("Hands On", wie man heute sagt) sowie 17 Computer, die auf Eingaben warten.

Manchmal gibt es dabei wenig mehr zu tun, als von einer Bildseite zur nächsten weiterzuklicken oder Videoclips zu starten, aber dann wieder lassen sich bei Simulationen die Parameter verändern, oder der Besucher kann – gegen den Computer – versuchen, ein vertracktes Problem zu lösen. Mit zuweilen einigem Aha-Erlebnis, etwa wenn es um eine ideale Routenplanung geht. Mit welchen mathematischen Methoden freilich der Rechner zu deutlich besseren Ergebnissen gelangt, bleibt im Dunkeln: Gelernt werden kann hier nur, dass es funktioniert. Auch bei den Hands-On-Experimenten, z. B. zur Erzeugung von Tsunamis in einem großen Wasserbecken, wird das "Warum" kaum angesprochen – aber wie auch? Erfahrungsgemäß werden selbst kurze Museumstexte von der Mehrheit der Besucher schlicht ignoriert, alles muss möglichst aus sich heraus wirken. Manche der handfesten Experimente erschließen sich tatsächlich sofort, andere bleiben verwirrend und ohne Möglichkeit, allein zum Ziel zu kommen. Die konkrete Rolle der Mathematik bei den diversen Phänomenen wird auch nur selten thematisiert. Und über das, was ein moderner Mathematiker eigentlich macht, erfährt der Besucher allenfalls in einer Bildershow von Ozeanographen etwas, die selbst vor dem Zeigen gekoppelter Systeme von Differentialgleichungen nicht zurückschreckt – Wenn man sich klickenderweise so weit vorgewagt hat. Den einen oder anderen Denkanstoß wird der Besucher aber gewiss mitnehmen, wenn er nach typischerweise zwei Stunden wieder von Bord geht.

Zu den Fachberatern des Mathe-Schiffs gehörte auch der preisgekrönte Didaktiker Albrecht Beutelspacher, der in Gießen mit dem Mathematikum das "erste mathematische Mitmachmuseum der Welt" geschaffen hat – ein gänzlich anderer Ansatz mit scheinbar simplen und durchschaubaren, aber dann doch trickreichen Exponaten, von denen ein Teil noch bis zum 15. Juni auch im Deutschen Museum Bonn zu sehen – und natürlich auszuprobieren – ist. Noch einfachere Hilfsmittel setzt Beutelspacher bei seinen populären öffentlichen Vorträgen ein: Papier, Schere und Klebstoff oder einfache Klötzchen genügen, um auf der Bühne spektakuläre Effekte zu erzielen. Aber auch hier hapert es wieder spürbar beim Übergang vom Staunen über kuriose Tatsachen (klebt man zwei Möbiusbänder rechtwinklig zusammen und schneidet sie in der Mitte durch, entstehen zwei verschlungene Herzen ...) zum tieferen Verstehen – wenn so etwas denn jenseits einer Mathe-Vorlesung und Lehrbuchlektüre überhaupt erreicht werden kann.

Wer sich lieber in den eigenen vier Wänden an die Mathematik herantasten mag, auch dem bietet das Jahr der Mathematik etwas: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verteilt (u. a. auf dem Schiff) und verschickt kostenlos die DVD "ZahlenWissen". Sie offeriert zwar auch keinen systematischen Zugang zur modernen Mathematik, hält aber eine Fülle an Texten, Bildern, Filmen, Vorträgen und Interaktivem bereit.

Was kann danach noch kommen? Das Bundesforschungsministerium bricht mit dem Jahr der Mathematik die Reihe der Wissenschaftsjahre ab, die seit 2000 einen bestimmten Forschungsschwerpunkt nach dem anderen "unters Volk" gebracht hatten. Was an ihre Stelle treten wird, ist bisher nur vage bekannt geworden: eine "Gesamtschau auf die Vielfalt und die Leistungsfähigkeit der Wissenschaft in Deutschland generell", anlässlich 60 Jahren Bundesrepublik und 20 Jahren Mauerfall. Dass das Jahr 2009 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen zum "International Year of Astronomy" ausgerufen wurde, womit ein deutsches Jahr der Astronomie perfekt harmoniert hätte, hat man in Berlin nicht wahrnehmen wollen: So wird das Astrojahr hierzulande nun als Graswurzel-Initiative auch ohne Bundesunterstützung realisiert.

Zum Jahr der Mathematik siehe auch:

(Daniel Fischer) / (jk)