Schweizer Bundesverwaltung nach IT-Projektabbruch in der Kritik

Ein interner Prüfungsbericht stellt der Schweizer Finanzverwaltung nach dem Abbruch eines IT-Großprojekts denkbar schlechte Noten aus.

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Von
  • Tom Sperlich

Nach eineinhalb Jahren sind im August die Vertragsverhandlungen des Eidgenössischen Finanzdepartments (EFD) mit der Schweizer Niederlassung des US-Konzerns Unisys über eine Neuausstattung der Steuerverwaltung gescheitert. Mit dem auf rund 115 Millionen Franken (rund 69 Millionen Euro) bezifferten IT-Projekt sollte die IT-Infrastruktur der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) vollständig erneuert werden. Daneben will die ESTV im Rahmen von E-Government den einfachen und transparenten elektronischen Direktzugriff auf die Dossiers der Steuerzahlenden ermöglichen. Das Projekt namens "Insieme" wurde laut einer Veröffentlichung im Schweizer Handelsamtsblatt (SHAB) unter anderem abgebrochen, weil seit der Ausschreibung im April 2005 mehr als zwei Jahre vergangen waren, und die damals ausgeschriebenen Leistungen nicht mehr in allen Teilen "den heutigen Anforderungen und den auf dem Markt verfügbaren Lösungsmöglichkeiten" entsprächen.

Nun schreibt die Schweizer Sonntagszeitung über einen internen Untersuchungsbericht der Beratungsgesellschaft Capgemini, in dem die ESTV harsch kritisiert und der Bundesverwaltung ein schlechtes Zeugnis ausgestellt werde. In dem vertraulichen Auditing-Report, der bereits vor Abbruch der Verhandlungen durchgeführt wurde, untersuchte und bewertete Capgemini verschiedene Kriterien, wobei der Durchschnitt der Bewertungen bei 2,8 liegt (das Schweizer Notensystem verläuft umgekehrt: "1" ist die schlechteste, "6" die beste Note). In dem Bericht soll Capgemini beanstandet haben, dass bei der Verhandlungsdelegation des Bundes "keine eindeutige Verhandlungsführung", "keine Verhandlungserfahrung in IT-Grossprojekten" und auch "keine stringente, einfache und nachvollziehbare Verhandlungsstrategie" vorhanden war. Insgesamt, so die Sonntagszeitung, erhielt die Bundesdelegation für die Qualität ihrer Verhandlungsvorbereitungen von Capgemini die Tiefstnote "1".

Unisys hat derweil beim Bundesverwaltungsgericht in Bern zwei Beschwerden gegen den Abbruch der Verhandlungen und den Widerruf der Auftragserteilung eingereicht. Laut Sonntagszeitung drohe Unisys darüberhinaus mit einer Millionenklage. Die Beschwerden hätten eine aufschiebende Wirkung erreicht, was bedeutet, dass das Projekt Insieme bis auf weiteres blockiert sei. (Tom Sperlich) / (vbr)