Schweizer Datenschutzbeauftragter beklagt "Sisyphos-Arbeit"

"Kaum glaubt man ein Datenschutzproblem gelöst, taucht es in etwas anderer Form gleich wieder auf", leitet der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte Hanspeter Thür seinen Tätigkeitsbericht für das Arbeitsjahr 2006/07 ein.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter-Michael Ziegler

Was in Deutschland der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist, heißt in der Schweiz "Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter" (EDÖB) – und dieser hatte in der jüngsten Vergangenheit reichlich zu tun. Für die Beschreibung seiner Anstrengungen zum Schutz der Bürger auf Privatsphäre in der Schweiz bemüht Hanspeter Thür in seinem am gestrigen Montag in Bern vorgestellten 14. EDÖB-Tätigkeitsbericht (PDF-Datei) sogar den Vergleich mit Sisyphos, der tragischen Gestalt aus der griechischen Mythologie, deren Aufgabe in der Unterwelt es ist, einen Felsblock einen steilen Hang hinauf zu rollen. Weil Sisyphos der Stein aber kurz vor Ende des Hangs regelmäßig entgleitet, muss er immer wieder von vorne anfangen.

Einer "Sisyphos-Arbeit" gleich kommt Thür zufolge die Auseinandersetzung mit dem Bundesrat, der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, über fehlende gesetzliche Grundlagen beim Einsatz von Aufklärungsdrohnen im Dienste des Schweizer Grenzwachtkorps. Bereits im Jahr 2004 hatte die Schweizer Luftwaffe für ihre neue Aufklärungswaffe, die wahllos Zivilpersonen aus der Luft filmt, den Big Brother Award erhalten. Inzwischen, so heißt es im 14. EDÖB-Tätigkeitsbericht, scheine der Bundesrat trotz anfänglicher Weigerung aber bereit zu sein, "den Mangel im Rahmen einer Teilrevision der Militärgesetzgebung zu beheben". Die Entwicklung in Richtung Miniaturisierung der Überwachungstechnologie stelle für den Schutz der Privatsphäre aber generell eine große Herausforderung für die Zukunft dar.

Dies trifft auch auf die Erfassung und Speicherung von biometrischen Merkmalen wie Fingerabdrücke, Irismuster oder DNA zu. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte weist darauf hin, dass es nicht ausreiche, dass der Bundesrat einfach festlegt, welche biometrischen Daten zur Feststellung der Identität von Personen an den Schweizer Grenzen bearbeitet werden dürfen, vielmehr müsse dies in der Zollverordnung genau umschrieben und festgelegt werden. Allerdings überrascht es schon ein wenig, dass Thür zwar dem "Sammeln auf Vorrat des Irismusters durch die Zollbehörden" eine Absage erteilt, das Abnehmen von DNA-Profilen von Ausländern dem Datenschützer offenbar aber keine schlaflosen Nächte bereitet.

Im Gegenteil: Im Tätigkeitsbericht heißt es, dass man sich nach längeren Diskussionen mit der Zollverwaltung darauf geeinigt habe, dass "Finger- und Handballenabdrücke, das DNA-Profil und Gesichtsbilder" als biometrische Daten "zur Feststellung der Identität von Personen an der Grenze" bearbeitet werden dürfen. Kritischer beäugt werden hingegen biometrische Anwendungen im Inland. So wurden etwa die Betreiber der KSS Sport- und Freizeitanlagen Schaffhausen aufgefordert, das installierte Fingerabdruck-Zutrittskontrollsystem dahingehend zu modifizieren, dass biometrische Daten nicht mehr zentralisiert, sondern lediglich auf einer an den Kunden ausgegebenen Smartcard gespeichert werden. Die Firma Aldi Suisse AG wurde aufgefordert, ihre Videoüberwachung im Kassenbereich so zu ändern, dass Aufnahmen von Mitarbeitern nicht mehr möglich sind.

Datenschutzrechtlich überarbeitet werden müssen laut Thür die neuen Bestimmungen zur Bekämpfung des Hooliganismus, die auch im Hinblick auf die Austragung der Fußball-Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich Anfang des Jahres in Kraft traten. Im Rahmen des Bundesgesetzes über Maßnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) und der dazugehörigen Verordnung (VWIS) wird unter anderem eine Hooligan-Datenbank aufgebaut. Laut Thür gibt es zum einen Unklarheiten bei den Voraussetzungen für eine Aufnahme in diese Datenbank. So könnten etwa Personen, die nie gewalttätig aufgefallen seien, in dieser Datenbank landen, nur weil ein Mitarbeiter eines Sportvereins ein willkürliches Stadionverbot ausgesprochen habe. Dagegen stünden auch keine Rechtsmittel zur Verfügung.

Ein weiterer datenschutzrechtlich heikler Punkt liege in der Unbestimmtheit der Regelungen hinsichtlich der Datenweitergabe an private Institutionen wie zum Beispiel die Betreiber von Sportstätten. Allein schon die Tatsache, dass Daten aus einer staatlichen Datenbank regelmäßig und in beträchtlichem Umfang auch an Private weitergegeben werden, sei "nicht unproblematisch", heißt es in dem Bericht. Hinzu komme, dass es keine klaren Vorschriften gebe, wie die Privaten diese Daten bearbeiten sollen oder dürfen. "Es ist bis heute nicht absehbar, wie die beschriebenen offenen Fragen geklärt werden können und wann dies geschehen wird", fasst der oberste Schweizer Datenschützer zusammen.

Als wichtigen Arbeitsbereich der Datenschützer für das kommende Jahr sieht Thür insbesondere den Gesundheitssektor. So sollen Krankenhausaufenthalte in der Schweiz beispielsweise künftig über diagnosebezogene Fallkostenpauschalen auf der Grundlage so genannter Diagnosis Related Groups (DRG) abgerechnet werden. Dabei komme es zu einer systematischen Weitergabe sehr detaillierter medizinischer Daten vom Leistungserbringer an den Versicherer. Dies sei nach der geltenden gesetzlichen Regelung aber nicht zulässig, verdeutlicht Thür. Die gesetzlichen Grundlagen für solche Vorgänge müssten erst noch geschaffen werden. Auch bei der Einführung der geplanten Versichertenkarte müssten die grundsätzlichen Anforderungen des Datenschutzes strikt eingehalten werden.

Für die zahlreichen aktuellen und anstehenden Aufgaben mangelt es dem Datenschutzbeauftragten allerdings an Personal. Verschärft habe sich die Situation durch die neuen Aufgaben des EDÖB als Beratungs- und Schlichtungsstelle für das Öffentlichkeitsprinzip in der Bundesverwaltung. So bestehe bei den Schlichtungsgesuchen zur Einsicht in amtliche Dokumente derzeit bereits ein Rückstau von fünf Monaten. Obwohl von einem Zusatzaufwand von drei bis 3,5 Stellen die Rede gewesen sei, habe der Bundesrat bislang noch keine neuen Stellen bewilligt. Nach dem Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ) kann eine Person einen Schlichtungsantrag beim Beauftragten einreichen, wenn die Behörde den Zugang zu amtlichen Dokumenten einschränkt, aufschiebt oder verweigert, oder wenn die Behörde im Rahmen der vom Gesetz vorgeschriebenen Frist keine Stellungnahme abgibt. (pmz)