Showdown zwischen Befürwortern und Gegnern von Websperren in Brüssel
Beim Abschluss der zweitägigen Anhörung im EU-Parlament zum Richtlinienentwurf der EU-Kommission zur besseren Bekämpfung der Kinderpornographie prallten Verfechter und Widersacher zentraler Filter aufeinander.
Zum Abschluss der zweitägigen Anhörung im EU-Parlament zum Richtlinienentwurf der EU-Kommission zur besseren Bekämpfung der Kinderpornographie prallten am heutigen Mittwoch Verfechter und Widersacher von Websperren aufeinander. Bei der Verbreitung von Abbildungen sexuellen Kindesmissbrauchs handle es sich um eine "massive Verletzung der Privatsphäre der Betroffenen", erklärte John Carr von der European NGO Alliance for Child Safety Online (ENACSO) in Brüssel. Daher sollte "jede Maßnahme" zur Zugangserschwerung einschließlich der Blockade kinderpornographischer Webseiten "mit beiden Händen ergriffen werden". Christian Bahls vom Verein Missbrauchsopfer gegen Internetsperren (MOGiS) hielt dagegen, dass Sperren "keine Lösung" und vom Großteil der direkt Betroffenen nicht gewünscht würden.
Missbrauchsopfern geht es laut Bahls weniger um die Darstellung der Bilder, als vielmehr um die Tatsache, "dass es sie überhaupt gibt". Das zeige, dass die internationale polizeiliche Zusammenarbeit nicht funktioniere und vergleichbare Anstrengungen zum Löschen der Seiten wie bei Phishing-Angeboten nicht unternommen würden. Sperren brächten letztlich die Macht zur Zensur mit sich und bedrohten so das demokratische Potenzial des Internets. Auf bereits bestehenden europäischen Filterlisten seien oft legale Seiten enthalten, erklärte Bahls. Das belgische Sperrverzeichnis etwa umfasse ausschließlich das Angebot stopkinderporno.com, auf dem sich ein Niederländer kritisch mit der Strafverfolgung der sexuellen Kinderausbeutung beschäftige und dabei auch auf konkrete Verdächtige verweise. Bahls forderte die Abgeordneten in einem offenen Brief daher auf, vor allem auf die von der Kommission vorgeschlagene Einrichtung einer allgemeinen Sperrinfrastruktur zu verzichten.
Joe McNamee von der "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) nannte Blockaden eine "echte Gefahr für den Kinderschutz und die Gesellschaft". So würden wertvolle Ermittlungsressourcen für die Erstellung und Bearbeitung der Listen abgezogen, während die Verfolgung der Täter vernachlässigt werde. Politik und Polizei würden zum Nichtstun verführt. Ferner starte ein Wettbewerb um die effektivsten Technologien zur Kontrolle des Netzzugangs, zumal sich die Kommission nicht für eine spezielle Filtermethode ausgesprochen habe. Am Ende stünde voraussichtlich die Durchleuchtung des gesamten Internetverkehrs.
Schon jetzt fordert die Brüsseler Behörde laut dem Bürgerrechtler auch Projekte, in denen es etwa um die Blockade von Online-Gaming und um den "Schutz breiter wirtschaftlicher Interessen" gehe. Sei eine entsprechende Kontrollarchitektur erst einmal aufgebaut, könne das Rad kaum mehr zurückgedreht werden. Es würde dann auch lächerlich wirken, wenn sich die EU weiter für Internet- und Meinungsfreiheit in Diktaturen stark mache. Generell seien keine "symbolischen Maßnahmen", sondern "durchsetzbare Regeln zur Missbrauchsbekämpfung" nötig. In diesem Sinne rief auch Paul Durrant von der Providervereinigung EuroISPA nach einem "klaren Rechtsrahmen". Seiner Ansicht nach ist das Löschen das "einzige und beste Mittel", da sonst die illegalen Quellen online blieben, leicht kopiert und auf andere Server verlagert werden könnten. Die Zugangsanbieter hätten zudem bereits "viele praktischen Erfahrungen in der Kooperation mit Strafverfolgern" beim Entfernen rechtswidriger Inhalte.
Peter Robbins von der Internet Watch Foundation betonte, dass sich die Zusammenarbeit der Provider untereinander und das anschließende Löschen bereits stark auf die Verfügbarkeit einschlägigen Materials insgesamt ausgewirkt habe. Statt "Tausenden" habe die britische Meldestelle inzwischen nur noch ein paar Hundert Webadressen auf ihrer Filterliste, die 60 Provider freiwillig einsetzen. Er verwies ebenfalls darauf, dass Sperren prinzipiell auch legitime Inhalte nicht verfügbar machen und missbraucht werden könnten. Man müsse daher auf die Verhältnismäßigkeit und Transparenz dieser Maßnahme achten.
Für Carr, der die britische Filterlösung 2004 maßgeblich mit vorantrieb, sind die Argumente der Gegner der Blockaden kinderpornographischer Webseiten haltlos. Sperren seien eine "sehr wertvolle Maßnahme", die Demokratie und freie Meinungsäußerung in westlichen Ländern, die bereits darauf setzten, nicht zum Verdorren gebracht hätten. Auch Waffen könnten missbraucht werden, weswegen trotzdem kaum jemand einen generellen Bann dafür verlange. Es müssten "alle Wege" genutzt werden, um den Kinderschutz im Internet zu verbessern. Vertreter der Organisationen Missing Children Europe und End Child Prostitution, Pornography and Trafficking (EPCAT) gaben ihrem ENACSO-Kollegen Rückendeckung in der Sperrfrage.
Nicht zuletzt plädierten Abgesandte der schwedischen und britischen Polizei, des Bundeskriminalamts (BKA) und von Interpol für Zugangserschwerungen, um unter anderem eine weitere "Viktimisierung" von Opfern zu vermeiden und Providern ihre "ethische Verantwortung" vor Augen zu führen. Julia Weiler von "Innocence in Danger" wollte den Fokus dagegen stärker auf die Erwachsenen legen, "die sich um Kinder kümmern". Diese müssten etwa schneller richtige Schritte einleiten, wenn sie Missbrauchsanzeichen entdeckten.
Die der konservativen Europäischen Volkspartei angehörende Berichterstatterin im federführenden Innenausschuss, Roberta Angelilli, merkte abschließend an, dass die Parlamentarier "irgendwann etwas Konkretes tun" müssten. Dem Übel im Internet die Wurzel zu ziehen sei das Wichtigste. Wo das aber nicht möglich sei, "sollte man wenigstens sperren können". Für das weitere Vorgehen ist der Zeitrahmen eng gefasst. Schon am 11. Oktober soll der Entwurf für die Empfehlung der Innenpolitiker vorgestellt werden, die Abstimmung darüber ist für den 15. November geplant. Noch vor Jahresende könnte der Bericht dann in 1. Lesung durchs Plenum. Der EU-Rat will seinen Beschluss spätestens am 8. Dezember treffen, sodass alle Brüsseler Gremien im Januar über ein gemeinsames Schlusspapier verhandeln könnten. (vbr)