Siemens: Ein Koloss in Bewegung

Angesichts glänzender Zahlen und großer Pläne für die Zukunft wurde Siemens-Chef Pierer auf der Hauptversammlung wie ein Popstar gefeiert.

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Von
  • Jürgen Kuri

"Weiter so!" riefen Aktionärsvertreter auf der Siemens-Hauptversammlung in der Olympia-Halle in München. Konzern-Chef Heinrich von Pierer, der sonst eher mit dem spröden Charme eines korrekten Juristen auftritt, wurde wie ein Popstar gefeiert. Kein Wunder angesichts der Konzernbilanz, die er vorlegte: Der Umsatz stieg im abgelaufenen Geschäftsjahr um 14 Prozent auf 134 Milliarden Mark, der Gewinn um geschlagene 37 Prozent auf 3,65 Milliarden Mark. Der Börsenwert des Elektronik-Multis aus München lag zum Beginn des letzten Geschäftsjahres noch unter 30 Milliarden Euro und legte inzwischen auf über 110 Milliarden Euro zu. Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahrs kletterte der Gewinn sogar um 91 Prozent auf gut 1,2 Milliarden Mark.

Solche Zahlen freuen natürlich die Aktionäre. Pierer sieht darin aber erst den Anfang -- und betont, der Konzern könne auf Dauer nur erfolgreich sein, "wenn wir in möglichst allen Geschäftsbereichen am globalen Markt vordere Plätze einnehmen." Solche hehren Ziele freuen die Anteilseigner natürlich noch mehr -- sie sind mit der neuen Vorstandspolitik mehr als einverstanden. Selbst die Vertreter der Belegschaftsaktionäre warnten zwar, der Konzern habe auch eine soziale Verantwortung und Gewinnmaximierung dürfe nicht auf Kosten der Belegschaft gehen -- Pierer habe aber "als Industriekapitän das Boot gut gesteuert".

Angesichts ausgiebiger Finanzgeschäfte und exorbitanter Rücklagen unkten viele Analysten immer wieder, bei Siemens handle es sich eigentlich um eine Bank mit angeschlossenem Elektro-Handel. So möchte Pierer den Konzern in Zukunft nicht mehr beschrieben wissen. Siemens plant nach seinen Worten eine Offensive beim elektronischen Handel und bei den Dienstleistungen. Der Konzern werde schon in Kürze ein Viertel des Umsatzes online erwirtschaften, prognostizierte Pierer. Im laufenden Geschäftsjahr sollen über ein Online-Bestellsystem beispielsweise allein für bis zu fünf Milliarden Mark Handys, Festnetztelefone und Computer verkauft werden. "siemens.com soll ein echter Markenname im Internet werden", sagte Pierer. Insgesamt will der Konzern dieses Jahr rund 30 Milliarden Mark über das Internet erwirtschaften.

Dienstleistungen sollen in Zukunft am gesamten Geschäftsvolumen einen Anteil von 50 Prozent haben. Und im Mobilfunkbereich will Pierer Siemens zum Drittplatzierten der Branche machen: 30 Millionen Handys möchte das Unternehmen dieses Jahr verkaufen; bis zum Jahr 2002 soll der Absatz sogar auf 60 Millionen Stück steigen. Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, gründete Pierer gleich einen neuen Geschäftsbereich: Die Abteilung Information und Communication (ICM) hat 20.000 Beschäftigte und wird einen Umsatz von rund 12 Milliarden Euro machen. ICM fasst alle bisherigen Bereiche von Siemens zusammen, die für dieses Geschäft wichtig sind. Mit dem Börsengang der ehemaligen Halbleiter-Sparte Infineon sei der Konzernumbau damit weit gehend abgeschlossen, betonte Pierer, noch einmal Berichte dementierend, der Konzern plane einen weiteren radikalen Umbau.

Immerhin erklärte Pierer auch, auch in Zukunft werde der Konzern weitere Unternehmensteile verkaufen, wenn sie zu dem Ziel, in allen Sparten an der Spitze zu liegen, nichts beitragen würden. "Zukaufen, kooperieren, verkaufen und schließen", das seien die Optionen, um die ehrgeizigen Absichten zu realisieren. Siemens also als aggressiver Angreifer in den wichtigsten Märkten der Internet-Ökonomie, fast schon als so genannte dot.com-Company? Angesichts der Größe des Konzerns, der nach Umsatz und mit über 400.000 Beschäftigten an der Spitze der Unternehmen in Deutschland liegt, erscheint ein Vergleich mit Internet-Startups abwegig. Heinrich von Pierer dürfte aber nichts dagegen einzuwenden haben, das Image des drögen Elektro-Multis gegen das eines geschwinden Mitspielers in der Internet-Ökonomie auszutauschen. Die Börse jedenfalls honorierte die Vorstellung Pierers: Noch während der Hauptversammlung kletterte die Siemens-Aktie um sechs Prozent auf ein neues Rekordhoch. (jk)