Smudo: Musiker sollten mit Musik auch Geld verdienen können

Im Interview mit heise online äußert sich Smudo von den Fantastischen Vier ausführlich über Chancen und Gefahren des Internet für die Musik-Branche.

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Lesezeit: 26 Min.
Von
  • Christian Rabanus

Die Diskussion über das Internet als Distributionskanal für Musikdateien hat gerade durch die strategische Partnerschaft zwischen der Bertelsmann E-Commerce Group und der populären Internet-Tauschbörse Napster neue Brisanz bekommen. Auch Smudo, Mitglied der Gruppe [i]Die Fantastischen Vier und selbst mit seinem Label Four Music als Produzent tätig, hat sich in dieser Diskussion immer wieder zu Wort gemeldet. Im Interview mit heise online äußert er sich ausführlich über seine Sicht auf die Zukunft der digitalen Musik.[/i]

heise online: Smudo, Du hast genauso wie Dein Label Four Music viele Songs im Internet zum Download bereitgestellt. Allerdings: Die MP3-Files sind mono und haben eine niedrige Sample-Frequenz, damit auch eine schlechte Qualität. Wie Du kürzlich in einem Interview gesagt hast, reiche das aus, um die Songs am Rechner zu hören, für den vollen Hörgenuss solle man aber bezahlen. Die kostenlosen MP3s sollen also nur als Appetizer dienen und dann Umsatz erzeugen. In einer Reaktion von Dir auf eine Meldung des Heise-Tickers, in der wir im August über Statements von Dir zu MP3-Tauschbörsen im Internet berichten, hast Du aber betont, dass es Dir nicht ums Geld geht. Vielmehr sei Dein Anliegen, dass Du nicht zum "Sammelbildchen", zur "Gratisdatei" degradiert wird. Wie passt denn das zusammen? Ist es dafür und für Fragen des Urheberrechts nicht unerheblich, in welcher Qualität die Songs bereit gestellt sind?

Smudo: Ich habe betont, dass es bei der Ereiferung von Künstlerseite weniger um Geld, als auch um eine künstlerische Degradierung geht. Es ist mir wichtig, aus dieser Diskussion die wildromantische Vorstellung von geldgeilen Musikern und der geldgeilen Industrie rauszunehmen, weil diese moralische Einteilung vollkommen den Blick auf das Problem und die Diskussion verstellt. Der MP3-Gratis-Downloader zieht ja ebenso mit betriebswirtschaftlichen Argumenten ins Feld: Ihm ist beispielsweise der legale Verkauf zu teuer. Mit einem datenreduzierten Download biete ich die Möglichkeit an, sich ein Bild vom Tonträger zu machen. Für die volle Qualität wünsche ich mir, dass man sich die CD kauft. Das Problem ist ganz einfach. Als Musiker möchte man gerne Geld mit seiner Musik verdienen oder anders gesagt: Man sollte die Chance besitzen, mit seiner Musik Geld verdienen zu können. Dazu muss die Musik in irgendeiner Form ein handelbares Gut sein, wie beispielsweise eine Schallplatte oder eine CD oder eben eine Datei. Wenn es aber nun möglich wird, dass man das Produkt unentgeltlich und unkontrolliert vervielfältigen kann, ist der entsprechende Tonträger kein handelbares Gut mehr, da seine Wirtschaftlichkeit bedroht ist. Geld ist ein Gegenwert für eine Leistung, die man erbracht hat. Der Gedanke dahinter ist, dass man die Leistungen, die man untereinander austauscht kompatibel sind. Ich selbst habe kein Interesse daran, Brot selbst zu backen und das Korn dafür anzubauen, bin aber Musiker und verdiene damit ein Entgelt meiner Leistung und kann damit dann die Brötchen kaufen. Wenn Musik im Netz ungeschützt bleibt, kann sich jeder der musikalischen Leistung bedienen ohne den tatsächlichen Künstler an diesem Leistungsfluss teilhaben zu lassen. Das ist der Kern des Problems: die ungerechte Leistungsverteilung. Für Fragen des Urheberrechtes ist es tatsächlich so, dass die Qualität der Kopie keine Rolle spielt. Ich bin allerdings der Ansicht, dass es im speziellen Falle von Online-Musik vermutlich realistischer ist, eine Art Qualitätsschallmauer einzuführen, die illegale von legaler Kopie trennt.

heise online: In der Reaktion auf die Meldung des Heise-Tickers hast Du eine "sachliche philosophische Diskussion" des Problems gefordert. Was sollte Deiner Ansicht nach im Zentrum dieser Diskussion stehen?

Smudo: Eine philosophische Diskussion würde etwa eine Betrachtung von Sinn und Zweck des Urheberrechtes und des Eigentums im Allgemeinen beinhalten. Ist das Urheberrecht womöglich nicht mehr sinnvoll schützbar? Muss es das sein? Wäre es ein Dilemma? Diese Diskussion betrifft nicht nur Musiker, sondern alle Kreativen, die mit dem Handel von geistigem Eigentum zu tun haben. Eine sachlich-philosophische Diskussion klammert die wildromantische Quatschdiskussion aus, die eine Anarchie- und Anti-Establishment-Haltung instrumentalisiert, um den Künstler das Recht auf Berufsfreiheit wegzudiskutieren und dem Konsumenten das Recht auf alles gibt. Ein gern gemachter Denkfehler ist, dass der engagierte Pro-Tauschbörsen-Diskutierer die Tatsache ignoriert, dass es kein Grundrecht auf den freien Erwerb des geistigen Eigentums anderer Menschen gibt. Dies gilt nahezu weltweit, und zwar zum Schutz aller Kreativen und des Individuums. Es kann doch nicht im Sinne des Urhebers sein, dass er weder den Zeitpunkt noch das Entgeld seiner Arbeit bestimmen kann. Der Konsument darf aber nicht glauben, dass er in dieser Diskussion als Feind auftaucht. Man muss die Musik nicht vor den Musikfans schützen, sondern vor den Musikpiraten, die die Mittel der Fans nutzen, um sich an fremdem geistigen Eigentum zu bereichern. Napster ist da ein Paradebeispiel. Auf der einen Seite argumentieren die Napster-Inhaber (die im übrigen in großen Teilen bekannte Internetinvestoren, also Mitglieder des Establishments sind) in Robin-Hood-Manier, die Musik würde ja nur unter den Usern geteilt und niemanden wolle die Künstler berauben. Auf der anderen Seite ist es erstaunlich mit welcher Aggression die Napsterteilhaber zu Felde ziehen, wenn sich jemand des Source-Codes ihrer Software bedient, um damit eine eigene Musik-Makel-Versionen zu schreiben. Es fällt doch auf, dass im Netz als Freeware kein einziges Add-On oder andere Skins und Ähnliches von Napster zu finden ist. Eben weil in diesem Fall das Urheberrecht von Napster-Seite in voller Härte durchgesetzt wird, obwohl eine Beugung dieses Rechtes ihr Kapital ist.

heise online: Viele Internet-Nutzer scheinen der Ansicht zu sein, dass alle Angebote im Internet per se gratis zu sein haben, dass Recht und Gesetz, zwar in der wirklichen Welt bestimmend, im Internet nichts zählen. Die Musik-Industrie ist nicht die einzige Branche, die sich ernsthaft mit dem Internet auseinandersetzen und sich überlegen muss, wie sie angesichts des Internet agieren muss. Tauschbörsen im Internet sind also nur eine Facette eines sehr viel größeren Problems. Welcher Lösung könnte man dieses Problem Deiner Ansicht nach zuführen?

Smudo: Es führt zwangsläufig zur Einführung einer exekutiven Gewalt im Netz. Etwas, das viele Netzphilosophen schon seit Jahren prophezeien. Und es ist auch logisch, dass es zu Möglichkeiten des Schutzes von Individuum, Märkten, Marken, Bürgern usw. kommen muss. Es ist ein Irrglaube, man könne im Netz die Freiheit finden, nach der sich die Menschen naturgemäß sehnen, denn auch in der Informationsverteilung muss ein Schutz des weniger Mächtigen vor dem Mächtigen stattfinden. Man darf die Interessenverteilung und Handelswegeverteilung nicht frei wuchern lassen. Die Erfahrung zeigt, dass das freie Wachstum den Schwachen nicht schützen wird. Alles andere ist eine moralische Gut-Böse-Vorstellung, deren Anwendung online gefährlich ist. Das Netz ist schon lange nicht mehr ein Ort der grenzenlosen Anarchie. Alleine die USA, die ja bekanntlich nicht zimperlich mit jenen sieben Nationen umgeht, die sie als internationale Terror-Krisenherde betrachten, belauschen das Netz nicht erst seit gestern auf der Suche nach subversiver Bedrohung. Auch die groß angelegten Datenbanken über User-Verhalten und die User-Profile auf den Rechnern von Internet Service Providern und anderen Mega-Dienstleistern im Netz sind datenschutzrechtlich explosiv. Wer schützt den Privat-Surfer vor solchen Erfassungen? Sicherheit im Netz ist vielen Usern ein Bedürfnis und der Schutz von Musik nur eine kleine Facette der Gesamtentwicklung.

Ein interessanter grundsätzlicher Aspekt ist die Betrachtung der regionalen Grenzen mit Landesgesetzen, die im Netz nicht ohne weiteres zu ziehen sind. Es wird sich zeigen, wie die Dinge in ihre Bahnen kommen. Ich betrachte diese Entwicklung mit großem Interesse, sehe aber überhaupt nicht schwarz, denn das für mich faszinierendste am Netz ist, dass die Ordnung an kulturellen und kommerziellen Linien entlang und die Anarchie des freien Austausches eben mehrdimensional nebeneinander co-existiert. Die meistgefragten Leute des nächsten Jahrzehnts werden demnach Netzwerksicherheitsexperten und Encryption-Spezialisten sein.

heise online: Mittlerweile haben alle fünf großen Musik-Konzerne einen kommerziellen Online-Musik-Dienst eingerichtet, bzw. erproben einen solchen. Denkst Du, dass solche Dienste auf Akzeptanz stoßen werden? Mit welchen Problemen könnten die Konzerne konfrontiert werden?

Smudo: Wenn es einen Markt gibt, wird es auch eine Industrie geben, die versuchen wird, die Nachfrage zu befriedigen. Die Beliebtheit von Napster zeigt, dass es einen Markt gibt, online in einem Berg von Musik zu stöbern und von dort gratis ein Stück downzuloaden. Die bisherigen Versuche, Musik online zu verkaufen, endeten nur mit einer Handvoll Downloads und Kosten. Solange es die populäre Möglichkeit gibt, urheberrechtlich geschützte Musik gratis downzuloaden, wird es weder für ein Label, noch für den entsprechenden Künstler lukrativ sein, entgeltlich Songs anzubieten, selbst wenn das offizielle Angebot die intelligenteste Userführung und das beste Repertoire hätte. Man würde sich zwar dort beraten lassen und seine Auswahl treffen, aber dann geht's natürlich mit den entsprechenden Suchworten zu Napster oder ähnlichen Diensten. Umfragen zu diesem Thema belegen, dass 80 Prozent aller User bereit wären, ein Hacking-Tool einzusetzen um Geld zu sparen. Davon abgesehen: Ein großes Problem vor allem für die Künstler liegt meiner Meinung nach in der Preisbildung. Wieviel soll eine Onlinekopie kosten? Wieviel davon erhält der Künstler? Wie unterscheidet sich diese Künstlerbeteiligung vom konventionellen Tonträgerverkauf? Es ist üblich, einen Basispreis, den so genannten Handelsabgabepreis (HAP), um die entsprechenden Aufwendungen zu reduzieren, je nachdem um welchen Tonträger es sich handelt. Der HAP einer Album-CD liegt bei ca. 22 Mark und davon werden beispielsweise bei CDs 25 Prozent Herstellungskosten abgezogen. Von der Restsumme bekommt der Künstler je nach Vertrag, Erfolgslage und Abverkauf zwischen acht und 25 Prozent. Präventiv richten die Plattenfirmen erstmal sehr hohe Reduktionen für die Online-Kopie ein, weil sie noch nicht wissen, wie der Rubel in diesem Geschäftszweig rollen wird. Es müssen pro Online-Kopie von der Firma Lizenzgebühren an den Kopierschutzpatentinhaber, den Kompressionspatentinhaber und natürlich an den Künstler bezahlt werden, ebenso Gebühren für den Online-Zahlungsverkehr-Anbieter. Eine Hotline für ratlose Laien-Kunden kostet dann 20 Mark pro Minute und schon ist die Online-Kopie weit in den roten Zahlen. Ein Problem haben die Firmen auch in der Einigung mit den Künstlern, die ein beliebtes Repertoire haben und deren Online-Verkaufsklauseln noch nicht ausreichend geklärt sind, da sie ihre Firma unter Druck setzen können. Unter Umständen wird es sich als Flop herausstellen, online auf einer Labelseite ausschließlich Zugriff auf deren Produkte zu haben. Wie würden sich die Majors untereinander einigen, um gemeinsam ein großes Angebot zu haben? Bei einer eventuellen Synchronisation ihrer Interessen müssen sie acht geben, dass sie nicht gegen entsprechende Anti-Monopol-Auflagen verstoßen. Es gibt noch tausend andere Probleme, aber das Hauptproblem bleibt: Wie mache ich das legale Angebot gegenüber dem illegalen attraktiv?

heise online: Bertelsmann ist kürzlich eine strategische Partnerschaft mit Napster eingegangen, Time Warner hat diese Kooperation begrüßt und sich selbst auch interessiert an einer solchen Zusammenarbeit gezeigt. MP3.com hat sich inzwischen im Streit um My.MP3.com mit allen fünf großen Musik-Konzernen außergerichtlich geeinigt. Solange Unternehmen wie Napster und MP3.com nichts mit der Musik-Industrie zu tun haben wollten, wurden sie von den Konzernen und deren Verbänden verteufelt. Nachdem sie klein beigegeben hatten, nutzt man aber ihre Netzwerke und ihren Kundenstamm – und vertreibt natürlich nur noch die Inhalte, die zum eigenen Konzern passen. Sieht Du in dieser Entwicklung eine Gefahr für den weiteren Ausbau, vielleicht sogar für den Bestand des Internet?

Smudo: Nein, überhaupt nicht. Es ist ein sehr sensibles Thema und genau deshalb sollte man hier Polemik außen vor lassen. Die Freiheit der Information steht im Rahmen von Übernahmedeals überhaupt nicht auf dem Spiel. Gerade die Tatsache, dass die "kommerzielle Welt" und die "freie Welt" im Internet ständig gleichzeitig nebeneinander existieren, ist doch gerade eine Unterstreichung des Freiheitsgedankens. Bei Napster hat ja niemand was dagegen, sich bezahlen zu lassen, auch vom Feind nicht. Und sich mit dem Feind auf geschäftlicher Ebene zu verbünden, ist ein gängiger und seit Jahrhunderten stattfindender Bestandteil der kommerziellen Evolution. Ich bin mir sicher, dass der Kampf der Napster-Teilhaber eben genau in dem Sinne eines künftigen möglichst lukrativen Verkaufes geführt wurde. Ich bin weit davon entfernt, in irgendeinen Lobgesang für eine der beiden Parteien einzustimmen. Der praktische Nutzen von Napster ist doch jedem von Anfang an klar gewesen. Logisch, dass die traditionellen Firmen versuchen, sich da einzukaufen. Ich gebe im Übrigen nicht viel auf Geschwätz von wegen "Napster ist Teufelszeug" oder "das Internet ist endlich die Verwirklichung eines anarchistischen Traumes", weil beide Aussagen den freien Willen des Individuums nicht respektieren und die Wahrheit sich natürlich dazwischen abspielt. Der Konsument kann doch einem Künstler nicht das Recht absprechen, über die Verbreitung und Verwertung seiner Musik selbst zu bestimmen. Ebenso verbietet es niemand einem Künstler, seine Musik zu verschenken. Und kann mir bitte jemand mal im Detail erklären, wie genau die strategische Partnerschaft zwischen Bertelsmann und Napster aussieht? Ich traue ehrlich gesagt in diesem Fall weder Bertelsmann-Chef Middelhoff noch den Kohorten um Napster-Gründer Fanning über den Weg.

heise online: Die Popularität von Napster und Co. hängt ja nicht nur daran, dass die Musik dort gratis angeboten wird – kostenlos ist sie ja deshalb nicht, denn der Download kostet ja gerade hierzulande immer noch eine ganze Menge. Ein großer Teil der Napster-Fans führt für die Tauschbörse vor allem an, dass das Angebot dort einfach immens sei – man finde dort problemlos Titel, die über den Handel einfach nicht zu bekommen seien. Außerdem sei es einfach sehr bequem, überall, wo man sich aufhalte, eine riesige Musiksammlung zur Verfügung zu haben. In puncto Auswahl und Verfügbarkeit hat die Musik-Industrie bislang nichts mit Napster oder My.MP3.com Vergleichbares zu bieten. Trägt sie daher nicht zumindest eine Mitschuld an der Popularität dieser Dienste? Du selbst hast in Deiner oben angeführten Reaktion auf die Heise-Meldung gesagt, dass man Techniken brauche, "die es unbequem machen müssen, Musik gratis aus dem Netz zu beziehen". Derzeit bekommt man aber nur gratis Musik bequem aus dem Netz. Wo sind die Ideen der Industrie, wo bleibt ihre Kundenorientierung?

Smudo: Die Popularität von Napster hat viele Gründe. Bequemlichkeit und wenig bis keine Kosten gehören dazu (wobei die anfallenden Kosten an Leute gehen die weder personell, noch ideell, noch finanziell mit der Erstellung der Musik zu tun haben). Ein weiterer Grund ist sicher auch die Hipness, die das Thema umstreicht. Keiner der Napster-User fühlt sich als Krimineller, sondern sieht sich auf der Seite der Guten. Gerade weil sich jemand wie Napster nicht um Künstlerinteressen kümmert, können sie existieren, und genau deshalb können die Firmen nicht so ohne weiteres kontern. Napster ist aber auch nicht in der Lage, einen umfangreichen Service für seine User anzubieten, beispielsweise intelligente Probehör-Suchalgorhythmen oder Beratungs-Avatare. Was den Reaktionszeitraum angeht, ist niemanden so richtig ein Vorwurf zu machen. Napster ist keine zwei Jahre alt und die plötzliche Popularität hat alle Beteiligten rechts überholt. Jetzt erleben wir einen Wandlungsprozess der unter Umständen Jahre dauern wird. Plattenfirmen würden in vielen Fällen gegen die Verträge verstoßen, die sie mit ihren Künstlern haben, würden sie einfach so ungeschützt und weltweit verfügbar Musik ins Netz stellen. Ich selbst warte auch gespannt auf die Musikindustrie-Alternativen, wobei ich sehr skeptisch bin, ob das lukrativ sein wird. Alle bisherigen legalen Modelle sind Vollflops. Online scheinen nicht viele Leute bereit zu sein, für Musik Geld zu bezahlen. Ich frage mich, ob da nicht vielleicht auch ein mangelndes Bewusstsein für immaterielle Ware im Netz bei den Usern ein Problem sein könnte.

heise online: Du hast Dich in dem schon angeführten Interview gegen eine Verwendung des MP3-Formats in kommerziellen Download-Diensten ausgesprochen, weil MP3 keinerlei Kopierschutzfunktion biete. Die Musik-Konzerne setzen deshalb Formate ein, die mit Digital Rights Management (DRM) ausgestattet sind. Nun ist es aber unter bestimmen Bedingungen legal, Musik zu kopieren und sich Sampler eigener Musik zuzsammenzustellen. Mal angenommen, es gäbe den perfekten Kopierschutz für Musik-Dateien – wie soll man sich dann diese legalen Kopien anfertigen können? Läuft die Entwicklung dann nicht darauf hinaus, dass der Dumme letztlich der Kunde ist?

Smudo: Die Entwicklung wird ganz sicher nicht darauf hinauslaufen, dass der Kunde der Dumme ist. Im Gegenteil. Der Kunde ist König. Die Industrie funktioniert auf der Basis von zu befriedigender Nachfrage. Allerdings gehört der Urheber auch zu denjenigen, die das Recht darauf haben, nicht einfach so ihres geistigen Eigentums unentgeltlich erleichtert zu werden. Und der Schutz des geistigen Eigentums soll ja auch vor allem den Künstler vor der Ausbeutung der Industrie schützen. Wenn es einen perfekten Kopierschutz gäbe, dann würde er auch perfekt Privatkopien im zulässigen Rahmen gestatten. Aber es ist eine Tatsache, dass es keinen perfekten Kopierschutz gibt, und demnach muss man sich darauf konzentrieren, wie man das Bewusstsein schärft, dass Musik eben nicht gratis ist, dass die Rechte der Urheber wahrgenommen werden, aber natürlich auch die Rechte der Privatpersonen. An diesem Prozess sind unheimlich viele Leute mit den verschiedensten Interessen beteiligt und es wird seine Zeit dauern, bis er gediehen ist. Vor allem werden Fortschritte nach und nach kommen, denn die Natur dieser Dinge ist, dass sie sich wechselseitig unter gegenseitiger Beeinflussung entwickeln. Und am Ziel muss ein funktionierender Markt stehen, der nur funktioniert, wenn der Kunde zufrieden ist. Denn wo keiner Geld ausgibt, wird es auch keinen geben, der langfristig etwas produzieren kann.

heise online: Der Trend in der Musik-Branche geht schon seit Jahren eindeutig in Richtung Digitalisierung. Bis vor kurzem war die Musik-Industrie nicht zuletzt deshalb unverzichtbar, da nur sie die Herstellung von Ton-Trägern bewerkstelligen und die Distribution der Platten und CDs übernehmen konnte. Beides ist mittlerweile nicht mehr so. Als Ton-Träger können x-beliebige Datenträger eingesetzt werden, die "Herstellung" eigener CDs ist auch kein Problem mehr. Mit dem Internet ist man nicht einmal mehr auf die Dienste der Musik-Industrie bei der Distribution der Musik angewiesen. Wo sieht Du – vor allem als Unternehmer in der Musik-Branche – die zukünftigen Aufgaben der Musik-Industrie?

Smudo: Hier kann man eine beim Laien sehr populäre Vereinfachung des Sachverhaltes erkennen. Es gibt ja nicht eine Person, die auf den Namen "Musikindustrie" hört. Auch das Wort "Plattenfirma" ist irreführend, denn die Herstellung der eigentlichen Platte, des Tonträgers, ist nicht die Hauptaufgabe der Plattenfirma. Tonträger zu pressen ist Aufgabe eines Presswerkes und das wird von einer Plattenfirma, die ich ab jetzt Label nenne, beauftragt. Pro Kopie, die das Presswerk im Auftrag des Labels macht, muss vom Label eine Urheberrechtsgebühr an den Autor gezahlt werden, da das Label Kopien von urheberrechtlich geschütztem Material macht. Wenn eine Zeitschrift einen Text druckt zahlt sie auch Lizenzen an den Texter. Wenn ein Radio- oder TV- oder Internetsender einen Titel spielt, dann muss sie für die Anzahl der Kopien in Radio-, Fernsehgeräte und Clients ebenfalls bezahlen. Verteilerfirmen (in Deutschland ist die bekannteste die GEMA) verteilen das Geld unter den Rechteinhabern. Labels geben die CDs an Firmen, die diese CDs in Plattenläden transportieren. Dort verkaufen sie die Händler dann an die Musikfans. Es gibt sehr viele Parteien, die dasjenige bilden, was landläufig als die "Musikindustrie" bezeichnet wird (und an der die Musikkäufer ebenfalls beteiligt sind). Innerhalb dieser Parteien ist natürlich ein ständiges Ziehen und Ringen um die einzelnen Interessen. Dass ein neues Tonträger-Medium erscheint, in diesem Fall eine Datei, ist nichts wirklich Neues und in der Vergangenheit schon oft genug passiert, um zu wissen, dass das neue Format das alte nicht komplett verdrängen wird. Noch viele Jahre werden Leute CDs und sogar Vinyl kaufen. Die Verhältnisse werden sich ändern und Industrie und Konsumenten werden darauf reagieren. Eins wird immer bleiben: Künstler müssen entdeckt und gefördert werden. Sie brauchen Geld für den kreativen Freiraum und natürlich für die Ton-Produktion, Geräte, Studio usw. Plattenfirmen hin oder her, Bands werden immer einen Partner brauchen, der ihnen hilft, ein Publikum zu bekommen, der Konzerte veranstaltet, Plakate druckt, Online-Präsenz herstellt, die Bands in geschäftlichen und künstlerischen Fragen berät usw. Das ist das eigentliche Geschäft der Labels. Solange es möglich ist, eine solches Künstlerprogramm durch Musikverkauf zu finanzieren, wird es Partner geben die sowas machen werden.

heise online: Was hältst Du vor diesem Hintergrund von der Vision, dass Musiker und Fans ihre Geschäfte ohne vermittelnde Industrie direkt über das Internet machen könnten?

Smudo: Das ist überhaupt nichts Neues. Mich stört aber, dass so getan wird, als sei das jetzt die Neuerung des Internets. Bands konnten auch vor der Popularisierung des Internets eigene Plakate drucken, im Jugendhaus um die Ecke spielen, selber Demotapes, Vinyl oder CDs pressen oder pressen lassen und im Eigenvertrieb oder mit Independent-Distributoren unters Volk bringen oder eventuell über Beziehungen ins Radio usw. Und jetzt eben auch per Internet. Das Tonträgergeschäft mit oder ohne Plattenfirma ist nun mal ein riskantes Geschäft, auch wenn die landläufige Meinung, durch das schlechte Image der Musikindustrie geprägt, dagegen spricht. Zur Illustration folgendes Bild: Wenn man als junges Mädchen in eine Disko geht, um dort gezielt einen Jungen kennenzulernen, in der Disko aber ein Überangebot an jungen Frauen ist, dann muss das Mädchen Marketing für ihre Person machen, um aufzufallen. Das macht sie indem sie ihre Qualitäten betont. Hübsche Stellen werden hervorgehoben. Wenn man besonders wortgewandt ist, wird der Charme gezielt eingesetzt usw. Wie erreiche ich denn als Musik-Band unter hunderttausenden im Netz noch ein Publikum? Wo ist das Besondere, wenn alle ihre Homepage haben? Wie bringe ich einen potenziellen Fan dazu, sich ausgerechnet auf meine Seite einzuloggen, meine Songs zu hören? Ich müßte auf anderen Angeboten auf mich hinweisen, beispielsweise durch Bannerwerbung. Kurz: Marketing. Und das kostet Geld. Wer zahlt mir das? Wenn ich jemanden habe, der mir das Geld leiht – was ist dann meine Sicherheit, wenn ich keine Tonträger verkaufen kann, weil es keinen funktionierenden Online-Urheberrechtsschutz gibt? Die Probleme sind online die gleichen wie offline. Nichts Neues. Es gibt Free-Music-Fundamentalisten die argumentieren, dass Bands doch durch T-Shirt-Verkauf, Konzerte usw. im Geschäft wären, und dass gute Musik sich von alleine durch Mundpropaganda promotet. Gute Musik alleine reicht nicht. Auch gute Musik steht in Konkurrenz zu anderer guter Musik und der Markt an Musik ist geschmacklich derart breit gefächert, dass hier keine Pauschalisierungen greifen. Die Möglichkeiten, mit Klamotten und Konzerten Geld zu verdienen, werden maßlos überschätzt. Eine große und bereits bekannte Band kann das natürlich, aber wie wird eine Band überhaupt bekannt? Der lange steinige Weg dorthin kann nicht durch Merchandise oder Ähnliches finanziert werden. Da wird draufgelegt, weil Konzertveranstaltungen sehr teuer sind, vor allem wenn nicht genug Leute kommen, weil sie einen ja noch nicht kennen. Shirts werden nicht verkauft, sondern verschenkt, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Musik im Netz zu promoten indem man Bruchstücke oder Low-Quality-Songs anbietet, ist eine Methode, die schon seit Jahren Bestand hat und natürlich nicht das grundsätzliche Urheberrechtsproblem beseitigt. Offen gestanden strotzt diese Idee auch nicht gerade vor Erfindungsreichtum.

Auch die Idee, mit Bannerwerbung die eigene Seite zu finanzieren, hat wenig Bestand. Mal abgesehen davon, wie wenig man im Allgemeinen dabei verdient: Wer besucht denn das werbeverseuchte Programm, wenn jeder andere sich die Musik nehmen kann und auf werbefreien Seiten anbietet? Wer schaltet Bannerwerbung bei unbekannten Bands mit null Pagehits? Werbung sollte das letzte Mittel sein, um Musik zu machen. Im Gegensatz zu Software, die eine zielgerichtete Funktion hat und schlicht durch Leistungsmerkmale als gut oder schlecht eingestuft werden kann, entsteht Musik nicht zielgerichtet. Sie entsteht ins Blaue, denn sie ist eine kreative Arbeit, die keine Funktion hat außer Emotionen zu übertragen. Von daher lassen sich viele Sharewaremodelle nicht so ohne weiteres auf Musik übertragen.

heise online: Wir danken Dir für das Gespräch. (chr)