Softwarepatent-Gegner startet Kampagne gegen europapolitischen Preis

Norbert Bollow, ein Befürworter freier Software, fordert mit der Seite Truth50.com Aufklärung über die Abstimmung für den Preis "EV50 -- die Europäer des Jahres".

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Norbert Bollow, ein Befürworter freier Software, fordert mit der Seite Truth50.com Aufklärung über die Abstimmung für den Preis "EV50 -- die Europäer des Jahres", da sein Lager schlechter abschnitt als erwartet.

Der Streit um die Verleihung des europapolitischen Preises EV50 spitzt sich weiter zu. Nachdem mit Florian Müller einer der ausgezeichneten Softwarepatent-Gegner bereits Ende vergangenen Jahres Schmu bei der Kür der Geehrten witterte und auf mehrere Ungereimtheiten hinwies, hat ein Mitstreiter nun auf der Website Truth50.com eine Kampagne zur Überprüfung des offiziellen Ergebnisses ins Leben gerufen. Der Macher der Initiative, der in der Schweiz lebende Deutsche Norbert Bollow, hegt aufgrund einer "Plausibilitätsanalyse" Zweifel an der Richtigkeit des EV50-Resultats.

"Es ist äußerst schwer nachzuvollziehen, wie der Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, mehr Stimmen erhalten haben kann als der Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com, Florian Müller, dem man den Kategoriepreis "Campaigner of the Year" zugestand", schreibt der Befürworter freier Software. Schließlich hätten Softwarepatent-Gegner aus aller Welt ihre Stimme für Müller abgegeben und andere Interessierte mit Hilfe einer Reihe viel besuchter Internet-Angebote zur Urne gerufen. Verdächtig erscheint Bollow, dass zu den Award-Sponsoren Microsoft und die PR-Agentur Burson-Marsteller zählen. Beide hätten in den vergangenen Jahren intensiv Lobbying für die Einführung von Softwarepatenten in der EU gemacht und dabei Kritik von Watchdog-Organisationen auf sich gezogen. Es sei daher wahrscheinlich, dass Müller der Hauptpreis unter Ignorierung des eigentlichen Wahlergebnisses bewusst nicht zugesprochen worden sei.

Verleiher des Preises ist das Brüsseler Polit-Magazin European Voice. Das zum Economist gehörende Blatt nominiert jedes Jahr mit Hilfe eines hochkarätig besetzten Beirats 50 politisch besonders aktive Personen und lässt aus dem illustren Kreis die "Europäer des Jahres" in mehreren Kategorien nebst einem Hauptgewinner in einer öffentlichen Abstimmung ermitteln. Bollow fordert die Nutzer nun auf, sich mit Hilfe einer ganzen Reihe an offenen Briefen für eine transparente Darstellung des diesjährigen Votums stark zu machen. Die zehn Schreiben an Schlüsselfiguren und -institutionen wie den EV50-Beirat, den Luxemburger Premier, Mitglieder des EU-Parlaments, die EU-Kommission, die österreichische Ratspräsidentschaft oder Microsoft-Chef Steve Ballmer lassen sich mit einer Eingabe von Name, Adresse und E-Mail-Angabe "unterzeichnen". Die Unterschriften sollen gesammelt und demnächst an die Adressaten geschickt werden. Gerade Abgeordnete aus dem EU-Parlament hatten sich während der Hochzeit des Streits über die letztlich gescheiterte Softwarepatent-Richtlinie allerdings darüber beschwert, im Rahmen anderer E-Mail-Kampagnen mit elektronischen Schreiben besorgter Aktivisten bombardiert worden zu sein.

Bollow hatte Ende 2004 schon die Plattform "Thank Poland" ins Leben gerufen, um der polnischen Regierung für ihr distanzierte Haltung gegenüber dem Vorschlag des EU-Rates zu der umstrittenen Patentdirektive zu danken -- eine Kampagne, die Zehntausende Unterstützer fand. Dem Aktivisten geht es aber nicht nur um die Auseinandersetzung um einen erweiterten gewerblichen Rechtsschutz für Computerprogramme. Er betont vielmehr, dass "Preise wie EV50 eine gewisse Rolle im Lobbying spielen". Selbst wenn es dabei nicht um eine Stimmabgabe für ein politisches Amt gehe, habe es sich um eine "Wahl von politischer Signalwirkung" gehandelt. Dabei müsse ein fairer Ablauf gewährleistet sein, "auf den die EU-Institutionen, die hierin indirekt involviert sind, stolz sein können".

Ähnlich sieht die Sache Kaj Arnö, bei MySQL für die Pflege der Community Relations zuständig. Der Manager zeigte sich jüngst "von der immensen Wirkung überzeugt, welche die EV50-Wahlkampagne von NoSoftwarePatents.com hatte". Während der Wahlperiode habe er auch mehrfach Google-Statistiken gesehen, wonach die überwiegende Mehrzahl der Internetmeldungen zu EV50 sich auf die Kampagne NoSoftwarePatents.com bezog. Es sei daher rätselhaft, wieso Junckers trotz seiner "unter normalen Umständen" zweifelsfreien Favoritenrolle als Sieger aus der Abstimmung hervorgegangen sein sollte.

Die "European Voice"-Chefredakteurin Dana Spinant hat die Vorwürfe nach mehrfachen Berichten auch in den Luxemburger Medien über die angeblich unsaubere Auszeichnung inzwischen in einer E-Mail an Bollow zurückgewiesen. Diesbezügliche Anfragen von heise online an die Magazinmacher waren zuvor unbeantwortet geblieben. Ihr Haus glaube, heißt es in dem Schreiben, dass "das Auswahlverfahren und der Wahlvorgang für den EV50-Award fair waren und verlässliche Ergebnisse in allen Kategorien geliefert haben". Es sei wie bei jeder Preisverleihung unvermeidlich, dass einige Nominierte über das Resultat enttäuscht seien. Alle Abstimmdaten würden entsprechend der Wettbewerbsregeln "streng vertraulich behandelt". Es sei nicht Praxis des Verlags, "die Details individueller Preisverleihungen zu kommentieren".

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

Der Streit um Softwarepatente

(Stefan Krempl) / (atr)