Space Debris Conference: Bring mal den Müll runter…

...ist leichter gesagt als getan, wenn es sich um Weltraummüll handelt. In Darmstadt beschäftigt sich diese Woche eine internationale Konferenz mit dem Problem.

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ISS

Auch die Besatzung der ISS wird durch Weltraummüll bedroht.

(Bild: NASA)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Den meisten Menschen ist es nicht bewusst, aber sie leben in einer gigantischen Wolke aus Müll. Die Anzahl der Objekte aus Menschenhand, die gegenwärtig die Erde umkreisen und größer als ein Zentimeter sind, wird auf 750.000 geschätzt, sagte ESA-Generaldirektor Jan Wörner bei der Eröffnung der 7th Space Debris Conference in Darmstadt, die sich noch bis Freitag mit dem Thema beschäftigt.

Die Müllwolke, die aus funktionslosen Satelliten, Raketenoberstufen und größtenteils aus Trümmerteilen besteht, ist vor allem für die Raumfahrt ein Problem. Gelegentlich fallen zwar auch Objekte auf die Erde, wie etwa am 3. Dezember 2013, als ein Teil der chinesischen Mondmission Chang‘e-3 das Dach eines Bauernhauses durchschlug, oder am 23. Oktober 2011 beim unkontrollierten Absturz des deutschen Röntgensatellits Rosat. Er sei sehr erleichtert gewesen, sagte Wörner, als der Satellit das Festland knapp verfehlte und im Golf von Bengalen versank.

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Die meisten Schäden richtet der Abfall früherer Weltraummissionen aber im All selbst an, wo er gegenwärtige und zukünftige Missionen bedroht. Ausweichmanöver seien zum Alltagsgeschäft geworden, sagte Konferenzleiter Holger Krag vom ESOC, dem Bodenkontrollzentrum der ESA, in dessen Räumen sich die Konferenz trifft. Im Durchschnitt müsse jeder Satellit zweimal pro Jahr einem Objekt ausweichen, das sich auf Kollisionskurs befindet.

Das gelingt natürlich nur, wenn es sich um eines der ungefähr 17.000 Objekte handelt, die mindestens zehn Zentimeter groß sind und deren Bewegungen ständig verfolgt werden. Doch die kleineren Teile sind nicht harmlos. Auf 150 Millionen wird die Zahl der Müllobjekte ab ein Millimeter Größe geschätzt. Und so ein winziges Teilchen mag es gewesen sein, dass im vergangenen Jahr am 23. August eine plötzliche Veränderung der Ausrichtung und Umlaufbahn des europäischen Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-1A bewirkte. Die Bodenkontrolle richtete daraufhin eine Kamera des Satelliten auf dessen Solarpanel und entdeckte eine mehrere Zentimeter große Bruchstelle. Sieben Fragmente seien identifiziert worden, so Krag, die bei dieser Kollision herausgebrochen wurden und die Gesamtzahl der Trümmerteile im Orbit weiter erhöht haben.

Diese Selbstvermehrung des orbitalen Abfalls wird „Kessler-Syndrom“ genannt, seit der Nasa-Wissenschaftler Donald J. Kessler im Jahr 1978 erstmals postulierte, dass die Zahl der Teile im erdnahen Weltraum durch solche Kollisionen unweigerlich zunehmen muss, selbst wenn keine neuen Satelliten mehr in den Orbit befördert würden. Kessler hielt jetzt den Eröffnungsvortrag und konnte feststellen, dass die Beschäftigung mit dem Thema deutlich zugenommen habe, seit am 10. Februar 2009 die Kommunikationssatelliten Iridium-33 und Cosmos-2251 in etwa 800 Kilometer Höhe zusammenprallten und dabei fast 2.000 Trümmerteile erzeugten, die größer als zehn Zentimeter sind.

Es habe sich eine globale Gemeinschaft von Forschern gebildet und die Verfahren zur Modellierung des Weltraummülls hätten sich verbessert, so Kessler. Gleichwohl bleibe noch viel zu tun. Es seien noch bessere und schnellere Modelle erforderlich, die, gestützt auf genauere Beobachtungen und Experimente, insbesondere das Verständnis der kleinen Objekte im Millimeterbereich voranbringen. Eine unbekannte Zahl von Satelliten produziere ständig solche Teile, es sei aber noch unklar, wie sie entstehen. Sie könnten von äußeren Beschichtungen stammen, es könne sich um Aluminiumoxid-Teilchen handeln, die beim Betrieb von Feststoffraketen entstehen, oder auch um Natrium- und Kalium-Teilchen, die als Kühlmittel in den russischen Rorsat-Satelliten wurden.

Die Situation wird durch die gegenwärtig in Vorbereitung befindlichen Satellitenkonstellationen, etwa von One Web, Boeing, SpaceX oder Samsung, die teilweise über 4000 Satelliten in den Orbit bringen wollen, nicht gerade einfacher. Immerhin handelt es sich dabei in der Regel um kleine Objekte, was das Kollisionsrisiko zunächst einmal mindert. Einer der wichtigsten Parameter für die Risikoabschätzung sei die Gesamtfläche des Satelliten, sagte Hugh G. Lewis, der an der University of Southampton die Entwicklung des Weltraummülls über die nächsten zweihundert Jahre mit verschiedenen Simulationsverfahren abgeschätzt hat.

Wie fast alle anderen Redner vermied es Lewis, das Müllobjekt zu nennen, das in dieser Hinsicht gegenwärtig das größte Risiko darstellt: den europäischen Umweltsatelliten Envisat. Seit am 8. April 2012 der Kontakt zu dem 25 Meter langen Koloss verlorenging, kreist der größte Erdbeobachtungssatellit, der jemals geflogen wurde, in knapp 800 Kilometern Höhe um die Erde – und damit in einer Region, in der sich der Weltraummüll am stärksten konzentriert.

Es blieb Thomas Schildknecht (Universität Bern) vorbehalten, im letzten der Eröffnungsvorträge Envisat zumindest beim Namen zu nennen. Die ESA spricht in ihrer Beschreibung der Mission e.deorbit lediglich von einem "großen Stück Weltraummüll im Besitz der ESA“. Der Start der Mission, ursprünglich für 2021 geplant, ist mittlerweile auf 2024 geschoben worden, da keine ausreichende Finanzierung sichergestellt werden konnte. Die Forschung zur aktiven Entfernung von Müll aus dem Orbit geht gleichwohl voran. Schildknecht berichtete von den Schwierigkeiten, aus Beobachtungsdaten mit Radar, optischen Teleskopen und Laser-Entfernungsmessungen die Rotationen eines Satelliten wie Envisat abzuleiten. Dazu sei zum einen die Fusion der unterschiedlichen Daten erforderlich, bei sehr komplexen Taumelbewegungen seien zudem Modellrechnungen erforderlich.

Verfahren zum Einfangen und Entfernen von Weltraummüll müssten vor allem kostengünstig sein, betonte Satomi Kawamoto von der japanischen Raumfahrtagentur Jaxa. Ansonsten würden Satellitenbetreiber beim Verlust eines Satelliten einfach einen Ersatz in den Orbit schicken – und das Problem dadurch weiter verschärfen. In Japan werde derzeit der Einsatz eines elektrodynamischen Kabels favorisiert, das zwischen dem Müllobjekt und dem einfangenden Satelliten gespannt wird und durch die Wechselwirkung mit der Ionosphäre eine Abbremsung und damit eine Absenkung des Orbits bis hin zum Absturz bewirkt.

Mit einem 5 bis 10 Kilometer langen Kabel könnte innerhalb eines Jahres ein Objekt aus einem Orbit in 700 bis 1000 Kilometer Höhe entfernt werden. Erprobt werden soll das Verfahren zunächst an einer Raketenoberstufe, da deren Design und damit deren Eigenbewegungen in der Regel einfacher zu handhaben seien als bei komplizierter gebauten Satelliten. Bei einem Test im vergangenen Dezember mit dem japanischen ISS-Versorgungsraumschiff HTV-6 gelang es zwar nicht, das Kabel auszufahren. Es seien gleichwohl wertvolle Erkenntnisse gewonnen worden, um das Verfahren weiter zu entwickeln.

Da es derzeit kein funktionierendes Verfahren zur Entfernung von Weltraummüll gebe, so Kawamoto, könne niemandem vorgeworfen werden, eigene Müllobjekte im Orbit zu lassen. Sobald aber brauchbare Technologien zur Verfügung stünden, werde es sicherlich eine breitere internationale Diskussion über das weitere Vorgehen geben. Das dürfte aber sicher noch etliche Jahre dauern. (axk)