Sperrminorität im EU-Rat: Niederlande bekräftigen Nein zu Chatkontrolle
Die Niederlande wollen den Kompromiss der EU-Ratspräsidentschaft zur Messenger-Überwachung nun doch nicht unterstützen.
Dem ungarischen EU-Ratsvorsitz dürfte es in den kommenden Tagen schwerfallen, eine gemeinsame Position der Regierungsvertreter der Mitgliedsstaaten zum heftig umkämpften Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch festzuzurren. Die Niederlande hatten vorigen Monat erwogen, den Vorschlag der Präsidentschaft zu unterstützen oder sich zumindest zu enthalten. Das hätte die Sperrminorität gegen die Chatkontrolle infrage gestellt, wonach schon vier Mitgliedsstaaten mit zusammen mindestens 35 Prozent der EU-Bevölkerung die Annahme eines Dossiers verhindern können. Doch am Dienstag hat die Regierung in Den Haag klargemacht, dass sie sich nach wie vor nicht in der Lage sieht, für die Initiative zu stimmen.
Ungarn schlug im September vor, die umstrittenen Aufdeckungsanordnungen auf bekannte Missbrauchsdarstellungen zu beschränken. Die Suche nach neuen Bildern oder Videos sowie nach Hinweisen auf das Heranpirschen an Kinder übers Internet (Grooming) soll außen vor bleiben. Im Kern versuchte das schon die damalige spanische Ratsspitze vor einem Jahr. Der ungarische Ansatz schien nun trotzdem mehr Unterstützer zu finden als der seiner Vorgänger. Der niederländische Justizminister David van Weel von der rechtsliberalen VVD erklärte jetzt aber gegenüber dem Parlament: Auch Ungarn habe die Bedenken der Regierung rund um den Schutz von Grundrechten in den Bereichen Privatsphäre und Fernmeldegeheimnis sowie der Sicherheit des digitalen Raums nicht ausreichend berücksichtigt. Man werde daher die geplante gemeinsame Ausrichtung des Rats nicht unterstützen.
Niederländische Spione wollen keine Chatkontrolle
Eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung müsse möglich bleiben, hebt die niederländische Exekutive hervor. Das mit der Verordnung weiter im Raum stehende Client-Side-Scanning "von kinderpornografischem Material" direkt auf Endgeräten würde ein "zu großes Sicherheitsrisiko für die digitale Widerstandsfähigkeit der Niederlande" darstellen. Zuvor hatte der holländische Geheimdienst den Verordnungsentwurf abgelehnt, weil die "Einführung einer Scan-Anwendung auf jedem Mobiltelefon" mit einer damit verknüpften Infrastruktur zur Auswertung der gesammelten Daten ein komplexes und umfangreiches System wäre, das Risiken für die digitale Belastbarkeit mit sich brächte. Die Oppositionspartei GroenLinks-PvdA mahnt zudem in einem offenen Brief vom Dienstag zusammen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen einen gezielten, evidenzbasierten Ansatz an, der die Privatsphäre schütze und Kindesmissbrauch wirksam bekämpfe. Der auf dem Tisch liegende Vorschlag basiere dagegen auf einer ungeprüften Technik. Er dürfte die Verschlüsselung schwächen und autoritären Regimen bei der Massenüberwachung helfen.
Erst Ende September warnten hunderte Wissenschaftler mit ganz ähnlichen Argumenten, dass der aktuelle Entwurf nur geringfügige Änderungen gegenüber früheren Versionen mit sich bringe und Grundprobleme, wie das Unterlaufen zuverlässiger Verschlüsselung, bestehen blieben. Ungarn hat das Vorhaben trotzdem auf die Tagesordnung des Ausschusses der Ständigen Vertreter des Rats (Coreper) für Mittwoch gesetzt, der einen entsprechenden Beschluss der Justiz- und Innenminister am 10. oder 11. Oktober vorbereiten soll. Bei früheren Anläufen erklärten unter anderem Deutschland, Schweden und Österreich, dem Text nicht zustimmen zu können. Polen verfolgte ebenfalls diese Linie, soll mittlerweile aber nicht mehr zu den entschiedenen Gegnern gehören.
(olb)