Wirecard: Zwei weitere Vorstandsmitglieder angeklagt

Im Wirecard-Skandal bringt die Staatsanwaltschaft zwei weitere Vorstandsmitglieder vor Gericht. Der Vorwurf lautet Untreue in mehreren Fällen sowie Beihilfe.

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Wirecard-Gebäude

Zwei weitere Vorstandsmitglieder stehen Untreue-Vorwürfen gegenüber.

(Bild: Framalicious/Shutterstock.com)

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Inhaltsverzeichnis

Die Staatsanwaltschaft München I wirft zwei weiteren ehemaligen Vorstandsmitgliedern der insolventen Wirecard AG Untreue in drei Fällen vor. Einer von ihnen soll zudem Beihilfe zur Untreue geleistet haben. Es geht um drei Fälle, in die beide Vorstandsmitglieder involviert gewesen sein sollen. So wirft die Staatsanwaltschaft den Managern vor, an der Gewährung von Krediten mit erheblichem Risiko beteiligt gewesen zu sein, zumeist ohne Beteiligung des Aufsichtsrats und ohne Absicherung des eigenen Unternehmens. Durch die Untreuehandlung der Angeschuldigten sei ein Schaden von mehreren hundert Millionen Euro für die Wirecard AG entstanden, erklärt die Staatsanwaltschaft. Die Eröffnung des Hauptverfahrens liegt bei der zuständigen 12. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I.

Im ersten Fall sollen die angeschuldigten Vorstände während der Sonderuntersuchung von KPMG im Dezember 2019 einer in Singapur angesiedelten, "mittellosen und zwischenzeitlich insolventen 'Briefkastengesellschaft' aus dem Umfeld eines anderen Beschuldigten" über Tochtergesellschaften ein eine finanzielle Sicherheitsleistung (Security Deposit) gewährt haben, so die Anklage. Insgesamt 40 Millionen Euro seien geflossen – allerdings ohne jegliche Sicherheiten für die Wirecard AG, so der Vorwurf. Auch bezogen die Verantwortlichen den Aufsichtsrat der Wirecard AG nicht ein – dabei sei dies notwendig für eine solche Zahlung gewesen.

Als das Deposit von einst 10 auf 40 Millionen Euro erhöht werden sollte, sei dies ohne förmlichen Beschluss passiert, sagt die Staatsanwaltschaft. "Vielmehr stimmten die beiden Angeschuldigten dem per E-Mail übermittelten nichtssagenden Vorschlag des anderweitig Verfolgten Marsalek binnen einer halben Stunde ohne nähere Prüfung unmittelbar zu." Das Vorgehen sei nicht mit den "Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns in Einklang zu bringen", so die Staatsanwaltschaft.

Die Firma in Singapur habe vorgeblich als Ersatz für ein Unternehmen in Dubai einspringen sollen, über das Wirecard sein sogenanntes Drittpartnergeschäft abwickelte, erklärte die Staatsanwaltschaft. Es waren Gewinne aus diesen angeblichen Geschäften mit Drittpartnern, die für den Jahresabschluss 2020 plötzlich unauffindbar waren und das ganze Kartenhaus schließlich zum Einsturz brachten. Es folgte die Insolvenz der Wirecard AG. Der Insolvenzverwalter geht inzwischen davon aus, dass diese Einnahmen nie existierten, und fordert Schadensersatz von den Wirtschaftsprüfern.

Im zweiten Fall habe der Vorstand der Wirecard AG für die Erschließung eines neuen Geschäftsfelds ein angeblich unabhängiges Unternehmen als Partner eingesetzt. Dieses habe Kreditkartenzahlungen von Händlern vorfinanzieren sollen, was bei Wirecard unter der Bezeichnung Merchant Cash Advance (MCA) lief, erklärt die Staatsanwaltschaft. Das eingesetzte Unternehmen OCAP Management sei eigentlich mit der Finanzierung von Öltransporten befasst gewesen und habe zum Firmengeflecht eines anderen Beschuldigten gehört. Die Firma sei "weder geeignet noch in der Lage [gewesen], MCA-Geschäfte durchzuführen". Für die Vorfinanzierung habe die Wirecard-Bank OCAP einen Kredit gewähren sollen. Nachdem ein Vorstandsmitglied der Wirecard Bank AG den Kredit aufgrund eines zu hohen Risikos wegen fehlender Sicherheiten abgelehnt habe, habe der Vorstandschef der Wirecard AG, Markus Braun, das Mitglied unter Druck gesetzt.

Um das Darlehen dennoch durchzubekommen, habe der Vorstand der Wirecard AG die Gewährung einer Bürgschaft als Sicherheit beschlossen, die OCAP später tauschen sollte – ein Verstoß gegen die Vermögensbetreuungspflicht, so die Staatsanwaltschaft. Sie wirft einem der beiden neu Beschuldigten, damals Vorstand der Wirecard Bank, vor, er habe das Vorgehen unterstützt. Außerdem habe er versucht, das ablehnende Vorstandsmitglied zu beeinflussen, weshalb die Staatsanwaltschaft ihm Beihilfe zur Untreue vorwirft. Das Unternehmen OCAP habe weder die Sicherheiten vorgelegt noch das Darlehen rechtzeitig getilgt. Dennoch stimmten nach Darstellung der Staatsanwaltschaft die beiden Angeschuldigten gemeinsam mit dem restlichen Vorstand der Wirecard AG zu, das Darlehen rückwirkend zu verlängern und die Bürgschaft neu zu erteilen.

Im dritten Fall geht es ebenfalls um ein Darlehen an OCAP. Obwohl die Firma vorherige Kredite in Höhe von 115 Millionen Euro nicht habe zurückzahlen können und erhebliche Zinsschulden angefallen seien, habe es ein weiteres Darlehen über 100 Millionen Euro bekommen. Auch hier habe der Vorstand den Aufsichtsrat ausgeschlossen. Die Angeschuldigten sollen dem Darlehen zugestimmt haben. Auch dieses Vorgehen verstoße gegen die "Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns". Das Darlehen habe der Vorfinanzierung von Händlern dienen sollen, die über die Firma in Singapur abgerechnet wurden.

Am selben Tag der Auszahlung des Darlehens an OCAP seien die 100 Millionen Euro auf ein Konto des Singapurer Partners in Litauen geflossen. Über verschiedene Zwischenstationen seien 35 Millionen davon schließlich bei Braun gelandet. Dieser habe damit ein privates Darlehen bei der Wirecard Bank zurückgeführt. "Der Rest versickerte im System von Briefkastengesellschaften eines anderen Beschuldigten und wurde dort u. a. dazu verwendet, Darlehensverbindlichkeiten bei der Wirecard Bank AG zu tilgen", so die Staatsanwaltschaft. Für den eigentlich angegebenen Zweck – die Vorfinanzierung von Händlern – sei das Geld nicht verwendet worden. OCAP befinde sich mittellos in der Insolvenz. Eine Rückführung des Geldes wäre demnach unwahrscheinlich.

Wirecard war im Juni 2020 implodiert, nachdem die Wirtschaftsprüfer von EY letztlich keine Hinweise auf 1,9 Milliarden Euro gefunden hatten, die in der Bilanz als Guthaben aus Drittpartnergeschäften geführt wurden. Das Unternehmen musste die Luftbuchungen einräumen und Insolvenz anmelden. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY hatte dennoch jahrelang die Bilanzen testiert. Der wegen Betrugs angeklagte frühere Vorstandschef Markus Braun steht seit Ende 2022 in München vor Gericht. Braun will von den Vorgängen bei Wirecard keine Kenntnisse gehabt haben. Als Schlüsselfigur gilt der seit 2020 untergetauchte Vertriebschef Jan Marsalek, der sich vermutlich in Russland aufhält. Der Österreicher wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.

(are)