Stauwarnung: Cyber-Shopping und die Umwelt

Eine australische Studie verweist die Hoffnungen auf verkehrs- und umweltentlastende Wirkungen des E-Commerce in den Bereich der Fabel.

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Von
  • Richard Sietmann

Der Gelehrtenstreit, ob der E-Commerce durch Optimierung der Logistik und Reduzierung von Einkaufsfahrten den Verkehr entlastet, oder umgekehrt vermehrte Lieferfahrten zu zusätzlichen Belastungen führen, nähert sich der Klärung. Licht in das Dunkel brachte eine Untersuchung, die das australische Pendant zur deutschen Fraunhofer-Gesellschaft, die Commonwealth Scientific Institute and Research Organisation (CSIRO), für das Verkehrsministerium des Landes durchführte. Von der Revolution des Einkaufsverhaltens durch das Internet erwarten die CSIRO-Forscher bis 2003 einen Anstieg der weltweiten Umsätze im Online-Handel auf 1300 Milliarden US-Dollar. Aber die Hoffnungen auf eine Verringerung des Verkehrsaufkommens durch effizientere Planung und virtualisierte Dienste bleiben offenbar ebenso eine Illusion wie die Utopie des papierlosen Büros.

"Der E-Commerce erlaubt Konsumenten und Unternehmen von überall in der Welt aus den Zugang zu Produkten, und er schürt zunehmend die Erwartung der 'sofortigen' Auslieferung", erläutert Luis Ferreira, Professor an der Queensland University of Technology, die Ergebnisse der Studie. "Als Folge ist mit einem 50 Prozent höheren Frachtaufkommen im Überlandverkehr und mit einer 50 bis 100-prozentigen Zunahme der im innerstädtischen Wirtschaftsverkehr zurückgelegten Wegstrecken zu rechnen."

Die telematische Vernetzung zu intelligenten Verkehrssystemen wird den Anstieg nicht bremsen können, aber sie wird die Umschlagzeiten senken und Schwankungen der Güterlaufzeiten verringern, wenn künftig auf jeder Stufe der Versorgungskette den Beteiligten Echtzeitdaten zur Verfügung stehen. Mit der entsprechenden Software zur Optimierung der Termin- und Routenplanung erzielen Speditionen und Logistik-Dienstleister Produktivitätsgewinne, sodass die Güterverteilung effizienter wird. Nur wird deshalb der Verkehr nicht weniger, weil andere Einflussfaktoren die Effizienzgewinne überwiegen. Höhere Kundenerwartungen, insbesondere der Wunsch nach Sofortzustellung, lassen das Nachfrageniveau an Gütern und Diensten steigen; das führt ebenso wie häufigere und kleinere Bestellungen im Cyber-Shopping und B2B-Handel zu einer Zunahme des Frachtaufkommens und zu weniger kalkulierbaren Güterflüssen.

Der Schienenverkehr wird unter diesen steigenden Anforderungen nicht wettbewerbsfähig sein; auf Grund seiner größeren Flexibilität und des größeren Potenzials für Mehrwertdienste rund um den eigentlichen Transport profitiert vom E-Commerce vor allem der Güterverkehr auf der Straße. Einen weiteren Einflussfaktor, den sie als "Dispersionstrend" bezeichnen, sehen die CSIRO-Forscher in den Zersiedelungswirkungen des zunehmenden Outsourcing, der Ausgliederung von Vorleistungen und der Ausweitung vernetzter Geschäftsbeziehungen sowie der Telearbeit, die alle für die unvermeidliche Zustellung realer Güter zusätzliche Verkehrsleistung erfordern. Auch die Vermeidung von Reisen zu Gunsten von Telekonferenzen verweisen sie ins Reich der Fabel; die Wachstumskurven sowohl des geschäftlichen als auch des touristischen Flugverkehrs bleiben ungebrochen, weil die Angebote dank Internet vielfältiger und leichter zugänglich werden.

Eine weitere Kernaussage der CSIRO-Studie wird besonders die Hauptstadtplaner in Berlin interessieren, deren Flächen- und Raumordnung unter der Wachstumseuphorik in der Großen Koalition Anfang der neunziger Jahre völlig zusammenbrach. Sie haben anscheinend aufs falsche Pferd gesetzt, als sie nach der deutschen Einheit die vorhandenen innerstädtischen Umschlagplätze zum Bau von Büro- und Kaufhäusern freigaben und dafür drei Güterverteilzentren weit außerhalb der Stadtgrenzen aus dem Boden stampften, von wo aus die schweren 20-Tonner seither zur Feinverteilung geräuschvoll in die Innenstadt brettern. "Kleine, zentral gelegene Frachthäfen", beschreiben die australischen Experten die Zukunft der urbanen Logistik im Zeitalter des E-Commerce, "werden die großen Lagerhallen am Stadtrand ersetzen." (Richard Sietmann) / (jk)