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Stellenwechsel: "Gefühl ist wichtiger als Geld"

Peter Ilg
Zuwanderung, Arbeitsmarkt, Fachkräfte, Arbeitsplätze

(Bild: dpa / Julian Stratenschulte)

Wie sucht man sich die beste Stelle aus den Angeboten heraus? Karriereberaterin Jutta Boening rät zu einem Methodenmix.

Vier, fünf Stellenangebote sind heute bei guten Leuten keine Seltenheit. Aber wie findet man das beste heraus? Indem man rationales mit emotionalem kombiniert, sagt Jutta Boenig, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Karriereberatung und eigener Beratung am Bodensee.

Frau Boenig, Sie beraten Fach- und Führungskräfte in Karrierefragen. Kommt es vor, dass Klienten um Entscheidungshilfe bitten, weil sie gleich mehrere Stellen zur Auswahl haben?

Wegen meiner Tätigkeit bin ich mit vielen Unternehmen unterschiedlicher Größen in Kontakt und stelle hier fest, dass die Firmen zunehmend Schwierigkeiten haben, Mitarbeiter mit gefragten Fachexpertisen zu bekommen. Deshalb bekommen Menschen mit fachlich hervorragender, überwiegend technischer Expertise regelmäßig Stellenangebote. Diese Ingenieure und Informatiker werden selten von den Unternehmen direkt über Social Media angesprochen, meist stellen beauftragte Headhunter den Kontakt her. Meine Mandanten erzählen mir, dass sie ständig mit Stellenangeboten umworben werden, ohne aktiv auf der Suche zu sein. Wenn sie von sich aus aktiv werden, bekommen sie oft mehrere Angebote. Eine Handvoll ernstgemeinter Offerten sind heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr, das sorgt für Unbehagen.

heise jobs – der IT-Stellenmarkt

Zu Arbeitsplätzen und Stellenangeboten in der IT-Branche siehe auch den Stellenmarkt auf heise online:

Woher kommt das: von der Qual der Wahl?

Boenig Beratung

Jutta Boening

(Bild: Boenig Beratung)

Die Situation ist belastend und komfortabel zugleich. Wenn sich gleich mehrere Unternehmen für einen interessieren, ist das fürs Ego gut. Dann kommt aber schon das zweite Gefühl: Was mache ich jetzt? Das kommt für mich nicht überraschend, weil die Klienten schon vorher wegen eines beruflichen Themas bei mir sind. Sie kommen nicht, weil sie plötzlich fünf Stellenanzeigen auf dem Tisch haben, sondern weil es beispielsweise darum geht, wie sie ihre beruflichen Ziele verwirklichen können. Sich zu bewerben ist eine logische Konsequenz, wenn es in der alten Firma nicht vorangeht. So entstehen die Situationen, dass sich die Leute Gedanken darüber machen müssen: Wohin will ich nun wirklich? Was wahrlich nicht einfach ist, aber der Prozess ist angestoßen und eine Lösung muss nun her.

Wie kann die aussehen?

Zuerst müssen wir klären, in welchem Lebenszusammenhang die Kandidaten stehen. Beispiel: Er oder sie wohnt in München und bekommt ein Angebot aus Mainz, dann stellen sich die Fragen: Was sagt mein Partner zu einem Umzug, ist eine Wochenendbeziehung denkbar? Diese die Lebensumstände beschreibenden Fragen stehen vor den inhaltlichen zur neuen Aufgabe oder einem möglichen Karriereschritt. Nach wie vor scheitern die meisten Bewerbungen an mangelnder Mobilität. Daher sollte man sich schon vor einer Bewerbung überlegen, ob ein räumlicher Wechsel – und sei er nur unter der Woche – eine Option ist. Wenn nicht, kann man solche Angebote auch mit dieser Begründung absagen.

Nicht jeder hat Familie oder lebt in einer festen Beziehung.

Es sind die jüngeren, die mobil sind, weil sie erst ihren Platz finden wollen. Also um die 30-jährige, die gemeinsam mit dem Partner ihr Lebenskonzept aufstellen: Wo wollen wir wohnen, wollen wir Kinder haben? Junge Leute brechen leichter auf an neue Orte, um sich etwas aufzubauen. Sie sind in einer anderen Lebensphase als ältere.

Der Ort ist also das erste und wichtigste Ausschlusskriterium. Was folgt im nächsten Schritt?

Ist die Branche die richtige? Ein Pazifist passt nicht in die Rüstungsindustrie. Dann frage ich meine Klienten, ob sie sich gründlich über die möglichen Unternehmen informiert haben. Stehen in Konzernen eventuell Umstrukturierungen an und hat die Technik eines Start-ups das Potential für Großes? Viele der Herren sagen dann, dass sie auf dem Arbeitgeber-Bewertungsportal Kununu nachgelesen haben.

Hilft das?

Da muss ich oft lachen. Diese Art der Information über einen potenziellen Arbeitgeber sehe ich sehr skeptisch, weil solche Bewertungen häufig subjektiv von der Tagesform abhängig und eventuell von unreflektierten Menschen sind. Sich allein daran zu orientieren halte ich für gefährlich. Glaubhafter sind da Aussagen von Menschen, die man in einem Unternehmen kennt und die man fragen kann. Nach meiner Erfahrung kennen sich Experten untereinander; bislang vielleicht noch als Wettbewerber, später sind sie eventuell Kollegen. Wenn man es ernst meint mit einem Wechsel, kann man sich Anfragen nach der groben Unternehmensstruktur und -philosophie ruhig trauen bei den Fachkollegen. Danach geht es tiefer ins Unternehmen, also um den konkreten Job.

Wer sich bewirbt kennt die Anforderungen und Aufgaben aus der Anzeige. Wie ist es bei denen, die angesprochen werden?

Die müssen nachfragen und mit sich selbst anschließend klären: Ist es das, wozu ich bereit bin und was ich wirklich will? Und meint es die Firma ernst mit der Aussicht auf eine Abteilungsleitung, weil der Vorgänger in Pension geht oder ist es ein Lockangebot? Die sind nicht unüblich und sollten vorher abgeklärt werden. Häufig sind Headhunter oder Personalberater dem ersten Bewerbungsgespräch vorgeschaltet. Die kann man anrufen und offen reden. Bekommt man nicht die erhoffte Antwort, rate ich dazu, Einladungen zum Vorstellungsgespräch nicht abzusagen, nur weil man vermutet, dass etwas nicht stimmt. Konjunktive sind schlechte Ratgeber. Mein Tipp ist der: suchen Sie immer zuerst das Gespräch und entscheiden Sie dann. Bei einem Besuch bekommt man ein Gefühl von der Firma, das ist hilfreicher als Vermutungen.

Welche Rolle spielt das Gehalt bei der Entscheidung?

Keine große. Es ist bekannt, dass Führungskräfte mit gefragter technischer Expertise fett bezahlt werden. Selbst bei den Fachkräften ist die Aufgabe wichtiger als das Gehalt, weil das schon per se hoch ist. Ich will nicht sagen, dass Geld bei der Entscheidung für den einen oder anderen Arbeitgeber unwichtig ist, aber es spielt keine ausschlaggebende Rolle.

Ihre Antworten zur Entscheidungsfindung sind eine Mischung aus Fachinformationen und dem Bauchgefühl. Ist das die richtige Kombination?

Absolut! Dafür plädiere ich auch, weil ich es so oft schon erlebt habe, dass immer wieder dieselben Kandidaten mir gegenübersitzen, weil sie sich selbst nicht wahrnehmen mit ihren eigenen Bedürfnissen. Sie sehen nur die Aufgabe, gehen rein rational vor und vergessen ihr Gefühl. Viel zu viele machen sich unglücklich nur wegen einem Streifen mehr auf der Brust. Wenn das Gefühl und die Inhalte stimmen, erst dann passt auch der neue Job. (anw [2])


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