Strafverfolger fordern Vereinfachung des großen Lauschangriffs

Die Gewerkschaft der Polizei hält die akustische Wohnraumüberwachung für in der Praxis kaum noch anwendbar und sieht darin eine "Einladung" für die organisierte Kriminalität, die laut BKA immer größeren Schaden anrichtet.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält den großen Lauschangriff "für in der Praxis kaum noch anwendbar" und pocht auf eine Nachbesserung bei den gesetzlichen Regelungen für die akustische Wohnraumüberwachung. Gemeinsam mit dem "Abbau von zehntausend Polizeivollzugsstellen in den letzten Jahren sowie der immer noch auf Eis liegende Kronzeugenregelung" müssten die rigiden Vorschriften zum Einsatz von Wanzen in Wohnungen verdächtiger Schwerverbrecher auf Täter im Umfeld der organisierten Kriminalität "wie eine Einladung vorgekommen sein", erklärte der GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg am gestrigen Freitag in Berlin.

Anlass für die Kritik der Ermittler ist das vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellte "Bundeslagebild organisierte Kriminalität", zu dem das Bundesinnenministerium und das BKA in zeitlicher Nähe zu den sechs vermuteten Mafia-Morden in Duisburg Eckpunkte (PDF) bekannt gaben. In diese Analyse fließen unter Beteiligung der Landeskriminalämter, der Bundespolizeidirektion und des Zollkriminalamtes Ermittlungsergebnissen aller Polizei- und Zollstellen ein, die an der Bekämpfung der organisierten Kriminalität beteiligt sind. Die auf das Konto organisierter Verbrecherbanden gehende Schadenssumme belief sich demnach im vergangenen Jahr auf rund 1,36 Milliarden Euro. Dieser Betrag ist fast doppelt so hoch wie im Jahr 2005. Auch die geschätzten Gewinne durch die organisierte Kriminalität haben sich laut der Wiesbadener Polizeibehörde mit 1,8 Milliarden Euro in 2006 im Vergleich zum Jahr davor mehr als verdoppelt. Allerdings sollen zwei große Fälle von Wirtschaftskriminalität allein für einen großen Teil dieser Summe verantwortlich sein.

Dagegen ist die Zahl der Ermittlungsverfahren in diesem Bereich laut Innenministerium im vergangenen Jahr um 4,3 Prozent auf 622 geschrumpft. Diese Zahl stellt Freiberg zufolge "keinen tatsächlichen Rückgang der organisierten Kriminalität dar", sondern könne vor allem als ein klares Zeugnis für die schlechten polizeilichen Rahmenbedingungen bei der aufwendigen und kontrollintensiven Bekämpfung dieser Form der Schwerstkriminalität gewertet werden.

Deutsche Banden haben laut dem Lagebild mit 1,4 Milliarden Euro vor allem durch Wirtschaftsdelikte wie im Vorjahr die höchsten Gewinne erwirtschaftet. Die Polizeibehörden in Deutschland ermittelten im Jahr 2006 gegen 622 Gruppierungen mit 10.244 Tatverdächtigen. Die meisten Verfahren gab es in Nordrhein-Westfalen (86), knapp vor Bayern und Berlin. Den ersten Platz in der organisierten Kriminalität nehmen der Zusammenstellung zufolge von Deutschen, den zweiten von Türken dominierte Banden ein. 30 polnisch bestimmte Gruppen seien an dritter Stelle vor allem bei der Verschiebung gestohlener Autos in die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und im Zigarettenschmuggel aktiv. Ebenfalls 30 russisch dominierte Banden seien auf allen möglichen Feldern der organisierten Kriminalität vertreten. Italienische Banden nehmen in Deutschland in dem Lagebild den fünften Rang ein vor Schwerverbrechern aus Serbien und Montenegro.

Freiberg bemängelte angesichts der Zahlen auch, dass die Bekämpfung der organisierten Kriminalität "im politischen Stellenwert keinen vorderen Rang hat". Das Innenministerium betonte dagegen, dass dieser Bereich zu seinen "Schwerpunktaufgaben" gehöre. Die Bundesregierung habe hier in den vergangenen Jahren "eine ganze Reihe entscheidender Verbesserungen auf den Weg gebracht". Insbesondere sei der Abschluss bilateraler Abkommen zu nennen. Zuletzt seien derartige Vereinbarungen zwischen 2003 und 2007 mit der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Vietnam und Kuwait geschlossen worden. Ziel sei es, die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden noch effektiver zu gestalten, um wirksam gegen die zunehmend grenz- und deliktsüberschreitend tätig werdenden kriminellen Gruppen vorgehen zu können.

In Europa unterstützt laut Innenministerium Europol die 27 Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität. Informationen der nationalen Sicherheitsbehörden sowie aus Kooperationsbeziehungen Europols mit Drittstaaten und -stellen würden bei der Polizeibehörde in Den Haag zusammengeführt, gespeichert und ausgewertet. Dort würden Experten der Mitgliedstaaten und des Polizeiamts gemeinsam in Analysegruppen an der Erforschung aktueller Phänomene der grenzüberschreitenden Schwerkriminalität arbeiten. Die nationalen Sicherheitsbehörden könnten durch die Arbeit Europols nach Einschätzung der Regierungsbehörde insgesamt wichtige Impulse für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität erhalten, die sich allein auf dem Weg bilateraler Polizeizusammenarbeit nicht gewinnen ließen.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla machte sich jüngst für heimliche Online-Durchsuchungen stark, um die Mafia hierzulande zurückzudrängen. Mit dem Vorstoß erntete er aber scharfe Kritik vom Koalitionspartner SPD und Oppositionsparteien. Das Bundesinnenministerium plant derweil, dem BKA die Befugnis zur Ausforschung informationstechnischer Systeme im Kampf gegen den internationalen Terrorismus einzuräumen. In diesem Zusammenhang sieht es auch deutliche Erleichterungen beim großen Lauschangriff durch den Einsatz des umstrittenen Richterbandes zur automatischen Aufzeichnung von Gesprächen von "Gefährdern" vor. Diese sollen – entgegen den Forderungen der GdP – zunächst aber nicht für den Bereich der Verfolgung "normaler" schwerer Verbrechen und folglich auch nicht für den Kampf gegen die nicht terroristisch motivierte Bandenkriminalität gelten. (jk)