Streit über Bonpflicht: Was das neue Gesetz überhaupt soll

Die Aufregung über die Bonpflicht ist nicht abgeklungen. Was es damit auf sich hat, erklärt heise online in mehreren Artikeln. Los geht's mit den Hintergründen.

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Streit über Bonpflicht: Was das neue Gesetz überhaupt soll

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Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Seit einigen Wochen sorgen neue Regelungen zur Absicherung von Registrierkassen, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten sind, für heftige Diskussionen. Sie sollen Steuerhinterziehung in enormen Umfang verhindern, aber eine darin enthaltene neue Pflicht zur Ausgabe von Kassenbons ("Bonpflicht") wird von verschiedenen Seiten teils heftig kritisiert. In einem Schwerpunkt widmet sich heise online den Regelungen und erklärt die Hintergründe sowie die technischen Gegebenheiten und Möglichkeiten. Zum Abschluss gibt es noch Antworten auf die häufigsten Fragen.

Eigentlich hätte sich das Bundesfinanzministerium keinen besseren Einstieg für die neuen Kassengesetze wünschen können: Ende November – nur einen Monat bevor die neuen Vorschriften in Kraft traten – verurteilte die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Osnabrück zwei Brüder zu Freiheitsstrafen von siebeneinhalb und dreieinhalb Jahren. Die beiden hatten über sechs Jahre lang einen schwunghaften Handel mit manipulierten Kassensystemen betrieben, der den Fiskus schätzungsweise eine Milliarde Euro kostete.

Streit über Bonpflicht: Hintergründe zur Kassensicherungsverordnung

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Die neue Kassensicherungsverordnung sorgt wegen der Bonpflicht für Aufregung. heise online erklärt in mehreren Artikeln die technischen und polituschen Hintergründe sowie die Pflicht zum Kassenbon.

Durch die neuen Kassengesetze, die zum Januar 2020 in Kraft traten, sollen solche großangelegten Betrugsmanöver weitgehend verhindert werden. Doch die Begeisterung der Steuerzahler hält sich in Grenzen. So stellen Bäckereien öffentlich die weggeworfenen Kassenbons in ihren Schaufenstern aus und haben eine regelrechte Kampagne gegen die ungeliebte Bonpflicht gestartet.

Der Streit geht bis in die Bundespolitik: Die FDP etwa hat einen Gesetzentwurf eingebracht, um die Bonpflicht im Wesentlichen zu kippen. Überraschender war aber der Widerstand des Koalitionspartners CDU, der 2016 das Kassengesetz mit beschlossen hatte. So forderte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Dezember seinen Kabinettskollegen Bundesfinanzminister Olaf Scholz öffentlich auf, die Bonpflicht in letzter Minute zu kippen.

"Im gesamten Handel werden Milliarden zusätzlicher Bons gedruckt, die in den allermeisten Fällen direkt im Müll landen", schrieb Altmaier in einem Brief an Scholz, der von vielen Medien zitiert wurde. Obwohl dieser Vorstoß letztlich zu nichts führte lässt sich zweifellos sagen: Aus dem ambitionierten IT-Projekt der Bundesregierung, die mehr als zwei Millionen Registrierkassen in Deutschland gegen Steuerbetrug abzusichern, ist ein PR-Desaster geworden.

Wie viele Milliarden dem Steuerzahler durch den alltäglichen Abrechnungsbetrug entgehen, ist umstritten. Der Gesetzgeber nannte bei der Verabschiedung des Gesetzes 2016 Schäden in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro jährlich, Fachleute halten aber auch ein Vielfaches für möglich. Zahlen von 30 oder gar 60 Milliarden Euro kursieren.

Der Grund warum es nur grobe Schätzungen gibt, liegt auch an der bisherigen Laissez-faire-Haltung der Bundesregierung. So gab es bisher zwar allerhand Vorschriften, wie Registrierkassen zu funktionieren haben. Doch ob die Gewerbetreibenden sich daran halten, blieb weitgehend ihnen selbst überlassen. So gab es weder eine Pflicht Registrierkassen zu registrieren, noch einheitliche Standards für die technische Ausstattung einer Kasse. Bis heute können Gewerbetreibende auch komplett auf Registrierkassen verzichten und ihr Kassenbuch manuell führen.

Dass dies nicht mehr ausreichte, war dem Gesetzgeber bereits seit 2003 bewusst. Schon damals hatte der Bundesrechnungshof in seinem Bericht an das Parlament schonungslos geschildert: "Die Finanzbehörden können falsche Angaben über eingenommene Bargelder nicht mehr aufdecken." Und die Kontrolleure warnten, dass sich das Problem immer weiter ausweiten könnte. "Bei Bargeldgeschäften in mehrstelliger Milliardenhöhe drohen nicht abschätzbare Steuerausfälle", heißt es in dem Bericht.

Grund für die alarmierenden Botschaft war der Siegeszug der PC-Kasse. Statt hochspezialisierter Systeme fanden sich in den Kassen immer öfter Standard-PC-Komponenten, auf denen ein normales Betriebssystem wie Windows oder Linux lief. Die zugehörige Software stammte aus einem kaum durchschaubaren Wirrwarr an Software-Zulieferern, die ihre Produkte weder registrieren noch zertifizieren mussten.

"Jeder der programmieren konnte, konnte ein Kassensystem anbieten", erläutert Udo Stanislaus. Bundesvorsitzender des Deutschen Fachverbands für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik (DFKA) im Gespräch mit heise online.

Ergebnis war ein technischer Wettlauf der Steuerbetrüger: Zwar stellten die Finanzbehörden immer höhere Anforderungen an die Daten, die ein Gewerbetreibender mit seinem elektronischen Kassenbuch bereithalten musste – etwa mussten die Quittungen fortlaufende Nummern enthalten. Gegen einen simplen Sachverhalt kamen diese Maßnahmen aber nicht an: Elektronische Kassen können nach Belieben jede Art von Daten erzeugen. Sofern Hersteller und Eigentümer gemeinsame Sache machten, konnten die Steuerfahnder wenig ausrichten.

Der in Osnabrück verhandelte Fall zeigt die Waffen-Ungleichheit beim alltäglichen Steuerbetrug. So dauerte der Prozess sechs Monate und konnte nur einen Bruchteil der Fälle aufarbeiten. Dabei waren Gericht und Staatsanwalt auf die Kooperation des Angeklagten angewiesen, um den konkreten Steuerbetrug nachzuvollziehen.

Die Verhandlung brachte viele Details ans Licht. so hatte der 59-jährige Hauptangeklagte keinerlei Spezialwissen, um die Steuerfahnder auszutricksen. Laut eigenen Angaben hatte er sich das Programmieren selbst beigebracht. Dennoch konnte er die Steuerbehörden über Jahre hintergehen. So brachte er immer wieder Updates für sein Kassensystem heraus, die die Buchführung auf den ersten Blick tadellos erschienen ließen.

Doch mitgeliefert wurde auch eine versteckte Software, die den Gastwirten viele Optionen gab, ihre Einkünfte systematisch zu fälschen. So blieb ihnen etwa die Wahl, bestimmte Quittungen einzeln aus dem Kassenbuch zu löschen oder pauschal einen bestimmten Prozentsatz der Umsätze zu tilgen. Oder aber sie verbuchten Umsätze an einem fiktiven "Tisch 99" der anschließend in den Kassenbüchern nicht mehr auftauchte. Den Manipulationsmodus konnten die Gastwirte zum Beispiel mit Hilfe spezieller USB-Sticks öffnen, die für die Steuerfahnder keine digital verwertbaren Spuren hinterließen. Erst mit Hilfe des Angeklagten konnten die Fahnder zumindest Reste der Original-Buchführung wiederherstellen.

Den Steuerfahndern hingegen blieb im Wesentlichen nur ein Mittel, den Betrug festzustellen. Sie mussten immer wieder Testesser losschicken, deren Quittungen später mit den offiziellen Kassenbüchern verglichen wurden. Waren die entsprechenden Buchungen gelöscht, war eine nicht ordnungsgemäße Kassenführung wahrscheinlich. Ließen die Wirte jedoch den Beleg der Testesser im Kassenbuch unangetastet, blieb auch keine praktikable Chance den Steuerbetrug nachzuweisen.

Um langwierige Verfahren abzukürzen, enden solche Verdachtsfälle oft in einer Art Vergleich, bei dem das Finanzamt die tatsächlichen Umsätze schätzt und die Betroffenen die Differenz nachzahlen müssen.

Die zunehmenden Möglichkeiten der Manipulation setzten eine besondere Marktdynamik in Gang. Verschiedene Insider bestätigen, dass Kassenhersteller mit hohen Umsatzeinbußen zu rechnen hatten, wenn sie nicht zumindest einige Zugeständnisse an Steuerbetrüger machten. Diese musste allerdings nicht in Form eines kompletten Programms zu Steuerhinterziehungen geliefert werden.

Zuweilen nutzen Gastwirte etwa einen Trainingsmodus, bei dem Kellner kurzerhand als Auszubildende deklariert wurde, die nur probeweise fiktive Rechnungen ausstellen, um die Bedienung der Kasse zu erlernen. Oder sie drückten den Kunden Zwischenabrechnungen in die Hand, die dann später in der Kasse nie als vollendeter Umsatz eingespeist wurden. Öffentlich will sich aber kaum jemand über diese Tricks äußern.

Auch angesichts der immer weiter schrumpfenden Steuerverwaltungen war dies ein unbefriedigender Zustand: So forderte die Wirtschaftsstrafkammer Osnabrück den Gesetzgeber noch einmal dringend zu Nachbesserungen auf. Die waren zum Zeitpunkt des Urteils freilich schon beschlossen – allerdings noch nicht in Kraft.

Der Weg zum Ende 2016 verabschiedeten "Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen" war bemerkenswert lange. So hatte die Bundespolitik den alarmierenden Bericht des Bundesrechnungshofs über lange Zeit ignoriert. 2008 wurde die Bundesregierung aber schließlich tätig und beauftragte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) mit der Erstellung eines manipulationssicheren Systems: Insika. Obwohl die ersten Praxisversuche bei Taxametern vielversprechend waren, landete das Projekt schließlich in einer Schublade. Auch ein entsprechender Gesetzentwurf wurde dem Bundestag nie zur Abstimmung vorgelegt.

Unterdessen wuchs der Druck immer weiter an. So bezifferte etwa die Europäische Kommission die Mindereinnahmen bei der Mehrwertsteuer für das Jahr 2011 alleine auf 193 Milliarden Euro. Immer mehr Nachbarländer setzten daher scharfe Kassenvorschriften durch. Auch mehrere Bundesländer drängten darauf, den Betrug, der auch ihre Haushalte immer stärker belastete, unter Kontrolle zu bekommen. So startete der jetzige SPD-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans 2010 als nordrhein-westfälischer Finanzminister eine öffentliche Kampagne, um den Gesetzgeber endlich zum Handeln zu zwingen. "Es muss Schluss sein mit der Steuerhinterziehung an der Kasse", erklärte der Landesminister. "Wir werden nicht dabei zusehen, wie einige schwarze Schafe nach Feierabend ihre Abrechnungen manipulieren."

Während die Umsetzung der neuen Kassengesetze aber nun weitergeht, wächst auch das Unverständnis und der Widerstand gegen die Vorschriften. Sogar das Studentenwerk in Göttingen hat inzwischen öffentlich erklärt, die Bonpflicht zu ignorieren. An zahllosen Schaufenstern hängen Protestnoten gegen die neuen Gesetze, Händler stellen demonstrativ volle Mülleimer auf, um das ungeliebte Gesetz doch noch zu Fall zu bringen.

Zwar haben sich in einer Bundestagsdebatte insbesondere SPD-Abgeordnete hinter die Bonpflicht gestellt. Die SPD-Fraktion teilt auf Anfrage von heise online mit: " Nur mit Hilfe der Belegausgabepflicht kann die Finanzverwaltung schnell und einfach prüfen, ob Umsätze korrekt erfasst sind. Wir werden deswegen Vorschlägen nicht zustimmen, die den Betrügern zum Schaden der ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ihr Handwerk erleichtern." Viel öffentliche Resonanz erfährt diese Position aber nicht.

Unterstützung vermissen auch diejenigen, die die neuen Regelungen umsetzen und dem Staat so zu neuen Milliardeneinnahmen verhelfen sollen. "Die Finanzministerien hätten mehr tun müssen, um die Unternehmen und die Kunden über die Notwendigkeit und den Sinn der Belegausgabe zu informieren", sagt Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft. Für ihn ist die Bonpflicht nicht nur ein technisch geeignetes Mittel Steuerhinterzieher zu entdecken und abzuschrecken, sondern auch ein öffentliches Signal für mehr Steuerehrlichkeit. Ob die Wirkung der Reform so groß sei wie erhofft, sei aber abzuwarten. So sei den Finanzämtern kein zusätzliches Personal für die Kassen-Prüfungen zugeteilt worden. Doch ohne Kontrollen kann auch die beste Technik Missbrauch nicht verhindern.

Aus der Kassenbranche erhält die Bundesregierung ein gemischtes Echo. Einige Experten glauben, die Bundesregierung mit ihrer Abkehr von Insika und dem langwierigen Zertifizierungsprozess unnötig Zeit verschenkt. "Eines der größeren Probleme war die Tatsache, dass man keine Fachleute einbezogen hat", erklärt Jens Reckendorf, Vorstandsmitglied beim Münsteraner Kassenhersteller Vectron Systems, der sich schon bei der Implementierung von Insika engagiert hatte. Die Kassenbranche habe sich schon lange mit den Problemen einer gesicherten Kasse auseinandergesetzt. "Hätte man das hier beherzigt, wären die meisten der Probleme bereits in der Konzeptphase aufgelöst worden", erklärt Reckendorf.

Andere Hersteller, die erst später an der Umsetzung beteiligt waren, bewerten den Prozess positiver. "Wir haben engen Kontakt mit dem Bundesfinanzministerium und dem BSI gehabt – hier sind zwei unterschiedliche Welten aufeinandergetroffen", erklärt etwa Frank Schlesinger, CTO des Berliner Kassensystem-Anbieters Orderbird. Nachdem das Eis jedoch gebrochen war, habe man konstruktiv zusammenarbeiten können. "Der Austausch war fair und respektvoll", ergänzt er noch. (mho)