Streit über EU-weite Definition offener Standards

Die Generaldirektion Informatik der EU-Kommission will bei der Überarbeitung des European Interoperability Framework zum Ärger des IT-Branchenverbands BSA die Klausel beibehalten, dass offene Standards gebührenfrei zur Verfügung zu stellen sind.

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In Brüssel ist ein Streit um die Definition offener Standards zur Förderung von Interoperabilität zwischen E-Government-Diensten ausgebrochen. Laut den Entwürfen für eine Novelle des European Interoperability Framework (EIF), die die Generaldirektion Informatik der EU-Kommission jüngst vorgestellt hat, müssen die Spezifikationen offener Normen frei oder gegen eine genannte Schutzgebühr verfügbar sein. Sollte ein Standard oder sollten Teile davon von Patenten betroffen sein, müssten diese "unwiderruflich gebührenfrei" für die Nutzung durch Dritte bereitgestellt werden. Dagegen protestieren Verbände der Computerindustrie wie die Business Software Alliance (BSA), die Microsoft und Intel zu ihren Mitgliedern zählt.

"Wir sehen mit Sorge, dass die zweite Version des EIF weiterhin an einer engen Definition offener Standards festhält, um Interoperabilität zu erzielen", erklärte Benoît Müller, Leiter der Abteilung Europäische Softwarepolitik der BSA, in einer Mitteilung. So würden viele "gut etablierte Technologien" ausgeschlossen, die auf der Basis angenommener "offener Standards" implementiert seien. Zudem würden die Richtlinien der meisten EU-Mitgliedsstaaten einen weiteren Ansatz pflegen. So könnte die angestrebte Interoperabilität geradezu gefährdet werden.Die Haltung der Kommission, dass offene Standards frei von Ansprüchen auf geistige Eigentumsrechte sein müssten, schaffe "Verwirrung" in Verwaltungen und in der Wirtschaft.

Zur Untermauerung ihrer Thesen hat die BSA eine Aufstellung (PDF-Datei) mit Beispielen von Standards beigefügt, die häufig eingesetzt würden. Dort werden Protokolle wie Bluetooth, GSM, WiFi , DHCP oder HTTP aufgeführt, die alle nicht ohne Verzicht auf Tantiemen für gewerbliche Schutzrechte zu implementieren seien. Auch Jonathan Zuck, der sich gemeinsam mit der BSA seit Langem für Softwarepatente in Europa stark macht und der Association for Competitive Technology (ACT) vorsteht, fürchtet ein "Eigentor" der Kommission. Mit dem Dokument solle die digitale Kooperation zwischen Behörden in der EU vereinfacht werden, doch faktisch würden die Nutzungsmöglichkeiten vieler bestehender Standards eingeschränkt. Proprietärer Software müssten dieselben Chancen zum Wettbewerb eingeräumt werden wie freier Software, meint der Vertreter der Interessen von Konzernen wie Microsoft oder Oracle.

Die BSA und die ACT bevorzugen seit Langem Lizenzierungen, die eine Nutzung von Spezifikationen "zu fairen und diskriminierungsfreien Konditionen" vorsehen. Bei diesen so genannten RAND-Bedingungen (Reasonable And Non-Discriminatory) müssen Nutzer eines Standards üblicherweise dafür Geld bezahlen oder sonstige Leistungen erbringen. Diese Konditionen sehen Verfechter freier Software als nicht vereinbar mit dem Open-Source-Prinzip an.

Jan Wildeboer, Open-Source-Evangelist bei Red Hat in Europa, befürwortet dagegen die Pläne für die neue EIF-Version. "Insbesondere die Vorgabe, dass das so genannte geistige Eigentum in offenen Standards ohne Zahlung von Lizenzgebühren zur Verfügung gestellt werden muss, erfüllt eine zentrale Forderung der Open-Source-Entwickler und Anbieter von Open-Source-Lösungen", erklärte er gegenüber heise online. Allgemein seien offene Standards eine "zwingende Voraussetzung für eine moderne IT-Infrastruktur". Da sei es schon erstaunlich, dass die BSA erneut behaupte, man müsse Lizenzgebühren für HTTP und DHCP entrichten. Das Argument habe bereits in der Softwarepatent-Debatte nicht richtig gezogen. (Stefan Krempl) / (anw)