Streit um Datenschutz beim Kinderschutz
Bund und Länder haben sich bei einem Gipfeltreffen darauf geeinigt, den Kinderschutz künftig vor den Schutz der Privatsphäre zu stellen. Datenschützer warnen vor einer "Katastrophe" für das Zusammenspiel von Kindern und Eltern.
Bund und Länder haben sich am gestrigen Mittwoch in Berlin beim "Kinderschutzgipfel" auf einen umfangreichen Maßnahmenkatalog geeinigt. Die Vereinbarungen zielen vor allem auf stärkere Kontrollen und häufigere Frühuntersuchungen. Generell sollen die staatlichen und kommunalen Stellen künftig verbindlicher auftreten, wenn es um den Schutz der Kinder vor Gewalt geht. Zudem soll ein "Frühwarnsystem mit Datenvernetzung" aufgebaut werden. Hier müsse der Grundsatz gelten: "Kinderschutz vor Datenschutz", betonten unter anderem die Ministerpräsidenten von Bayern, Günther Beckstein (CSU), und Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen (CDU). Dazu sollen die noch bestehenden datenschutzrechtlichen Hürden aufgehoben und so der Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden verbessert werden. Die Antwort von Datenschützern ließ freilich nicht lange auf sich warten.
Diese Forderung könne nicht ernst gemeint sein, hat sich etwa der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD), Thilo Weichert, in einem Brief an Carstensen gewandt. "Sowohl bei der medizinischen Untersuchung und Betreuung von Kindern wie auch bei der Betreuung durch das Jugendamt ist das Vertrauensverhältnis und damit die Beachtung des Patienten- beziehungsweise des Sozialgeheimnisses eine zentrale Bedingung für den Erfolg der Hilfe", stellt der Datenschutzbeauftragte klar. Dies habe auch das Bundesverfassungsgericht mehrfach hervorgehoben. Die gesetzlich geregelten Begrenzungen dieser Geheimnisse im Interesse des Kindeswohls müssten verhältnismäßig sein. Die Abschaffung sämtlicher datenschutzrechtlicher Schranken wäre dagegen "eine Katastrophe für die vertrauensvolle Arbeit mit Kindern und Eltern".
Die Ansage zur Aufweichung des Datenschutzes hat ausdrücklich auch den Segen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Notfalls durch Gesetzesänderungen soll ihrer Ansicht nach der reibungslose Austausch von Daten über Kinder und Eltern zwischen den zuständigen Sozialbehörden – aber auch zwischen Polizei, Justiz und Schulen – ermöglicht werden. Ländergrenzen sollen den Informationstransfer nicht weiter behindern.
Zumindest für Schleswig-Holstein gehen die Beschlüsse laut Weichert aber "sowohl an der Wirklichkeit wie an den fachlichen Notwendigkeiten" vorbei. So sei das ULD von Anfang an bei der Ausarbeitung des Kinderschutzgesetzes des Landes beteiligt. Bei gemeinsamen Sitzungen mit dem Sozialministerium habe die Einrichtung in diesem Rahmen "für einen vernünftigen Informationsfluss zwischen den zuständigen Stellen" geworben. Insgesamt habe sich ein Konsens zwischen dem federführenden Ministerium und den Datenschützern herauskristallisiert. Nur bei der Frage, ob vor einer Benachrichtigung des Jugendamtes der Landkreise bei Auffälligkeiten das Gesundheitsamt eingeschaltet werden soll, habe man sich nicht einigen können. Aus Sicht des ULD käme es hier zu einem "fachlich nicht erforderlichen bürokratischen Aufwand, bei dem nicht nur zusätzliche Daten entstehen, sondern auch eventuell wertvolle Zeit für die nötige Hilfe verlorengehen kann".
Mit Enttäuschung haben auch Jugendhilfeverbände unter dem Dach der Kinderschutz-Zentren sowie des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht die Beschlüsse des Gipfels zur Kenntnis genommen. Aus der fachlichen Perspektive habe das Treffen wenig Substanzielles erbracht, kritisieren die Helfer, "stattdessen sollen Überwachungs- und Kontrollmechanismen auf den Weg gebracht werden". Zu glauben, über diese Mechanismen Menschen in schwierigen Notlagen erreichen zu können, "ist unverantwortlich und unvernünftig". Die Politik habe eine Chance vertan, sich den Anforderungen zu stellen. Wirklich nötig sei es, einen konsequenten Ausbau von Hilfeeinrichtungen mit fachkundigem und qualifiziertem Personal zu gewährleisten, den qualitativen Ausbau und die Stärkung der Infrastruktur der Jugendhilfe voranzutreiben und die notwendige Ausstattung des öffentlichen Gesundheitssystems zu finanzieren. Stattdessen werde mit alten Reflexen der Einschränkung von Datenschutzrechten reagiert. (Stefan Krempl) / (jk)