Studie: Geheimdienstliche Datenkäufe verletzen verfassungsrechtliche Standards

Agenten beschaffen sich Informationen zunehmend einfach per Kreditkarte bei Datenhändlern, die "Überwachungswerbung" treiben. Forscher fordern klare Grenzen.

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Smartphone in zwei Händen mit Symbol für abfließende Daten

(Bild: ra2studio/Shutterstock.com)

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Immer mehr Geheimdienste fragen sich, wieso sie umständlich durch aufwändige menschliche Einsätze oder per Fernmeldeaufklärung Informationen beschaffen sollen, wo doch der kommerziell verfügbare Big-Data-Markt ständig wächst. Dort bekommen sie teils hochsensible Daten wie Wohnadressen, Gesundheitsinformationen, politische Überzeugungen, Interessenprofile oder Religionszugehörigkeit mit Kreditkartenzahlung frei Haus. Doch einige Formen des Datenkaufs stellen laut der Stiftung Neue Verantwortung (SNV) einen erheblichen Eingriff in Grundrechte dar. Gemessen an den gebotenen verfassungsrechtlichen Anforderungen sei der Status quo des Rechtsrahmens und der Kontrolle unzureichend.

Populäre Smartphone-Anwendungen wie 9gag, Kik und Caller-ID-Programme sind Teil eines globalen Überwachungssystems, haben Forscher herausgefunden. Die mobile Massenüberwachung beginnt demnach mit gezielten Anzeigen in Apps, die per "Real Time Bidding" (RTB) für Echtzeit-Auktionen von personalisierten Bannern verkauft werden. Die zunächst für den Kommerz zu Profilen verdichteten Dateien landen dann auch in den Händen von Strafverfolgern und Geheimdiensten, hat etwa der Fall Patternz jüngst gezeigt. Dabei handelt es sich um ein Werkzeug des israelischen staatlich-industriellen Sicherheitskomplexes, das umfangreiche RTB-Daten von Anbietern wie Google und X analysiert sowie Profile von fünf Milliarden Geräten und ihrer Nutzer erstellt.

Datenhändler bieten der SNV-Analyse zufolge mitunter Informationen an, die sie exklusiv an Nachrichtendienste als Kunden vertreiben. Andere Broker verkauften unspezifische einschlägige Produkte, die Geheimdienste aber auch interessierten. Wer etwa Informationen über Teilnehmer einer Demonstration benötige, könne internetfähige Geräte, die sich zum Zeitpunkt der Versammlung in der Gegend befunden haben, über gekaufte Standortdaten identifizieren. Wer Mobilgeräte in Grenzgebieten aufspüren wolle, könne dies auf Basis von auf dem Markt erworbenen Bewegungsdaten tun.

Es existierten zwar keine konkreten, öffentlichen Nachweise, dass deutsche Spionagebehörden wie der Bundesnachrichtendienst (BND) oder das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sich bei den versteckt oder offen agierenden Akteuren des Datenmarktes Aufklärungsinformationen als "ADINT" (Advertising Intelligence) besorgt hätten, schreiben die Autoren Corbinian Ruckerbauer und Thorsten Wetzling. "Doch es gibt gute Gründe, davon auszugehen, dass dies längst geschieht." Sonst hätte die Bundesregierung in der Begründung zu ihrem aktuellen Gesetzentwurf zur Änderung des BND-Gesetzes wohl nicht auf den Ankauf "von umfänglichen Werbedatenbanken" und anderer Register abgestellt.

Im Gegensatz zu anderen Methoden der geheimdienstlichen Informationssammlung sei die vergleichsweise neue Praxis aber an kein Genehmigungsverfahren gebunden, monieren die Verfasser. Zudem werde die Verarbeitung gekaufter Daten im Nachhinein nicht ausreichend kontrolliert. Über die Teilnahme am Markt für "spionierende Werbung" gelangten die Agenten an Informationen, "deren Erhebung mit anderen nachrichtendienstlichen Mitteln niemals gestattet gewesen wäre oder zumindest umfangreiche Genehmigungsverfahren vorausgesetzt hätte".

Die Wissenschaftler empfehlen der Bundesregierung daher, im Rahmen ihrer geplanten großen Reform des Nachrichtendienstrechts, den Ankauf von Werbedatenbanken "dringend einer besseren Regulierung und umfassenderen Kontrolle" zuzuführen. So gelte es etwa, damit verknüpfte Grundrechtseingriffe zu systematisieren und Sicherungsmechanismen vor allem bei absehbaren schweren Auswirkungen auf die Bürgerrechte einzuführen. Für den Kauf von Daten mit geringerer Grundrechtsrelevanz sollten Mindestanforderungen etabliert werden. Ferner sei der Austausch der deutschen Kontrollinstanzen mit Kollegen aus anderen Ländern zu intensivieren.

(mho)