Studie: Salafistisches Netzwerk wächst rasant – auch über TikTok und Discord

Zwischen 2019 und 2021 verdoppelten sich laut Forschern die Beiträge etwa in englischsprachigen salafistischen Online-Communities. Im Fokus: die Generation Z.

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(Bild: Koshiro K/Shutterstock.com)

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Im Internet wird Salafismus zunehmend attraktiver. Die Strömung des sunnitischen Islams, die sich für eine Rückkehr zum Glauben des Propheten Mohammed und seiner ersten Gefolgsleute einsetzt und dafür teils Gewalt akzeptiert, geht dabei mit der Zeit: Altbackene Prediger sind seltener, Kurzvideos und Meme verstärkt gefragt. Dies ist einer heise online vorliegenden Studie zur "Generation Z" und dem "salafistischen Online-Ökosystem" zu entnehmen, die das Institute for Strategic Dialogue (ISD) erstellt hat.

Laut der Analyse von ISD hat sich die Zahl der Beiträge in den arabisch- und englischsprachigen salafistischen Online-Communities zwischen Oktober 2019 und Juli 2021 mehr als verdoppelt mit einem Anstieg um 112 beziehungsweise 110 Prozent. Der Zuwachs im deutschsprachigen Raum betrug 77 Prozent.

Salafistische Inhalte werden demnach immer beliebter auf Plattformen wie TikTok, die auf die Generation Z ausgerichtet sind. Dort könnten Influencer mit Millionen Followern die speziellen Spot- und Kommentarfunktionen des sozialen Netzwerks ausgiebig nutzen, "um polarisierende und sektiererische Narrative zu verstärken und zu fördern". Damit gelinge es ihnen immer besser, die um die Jahrtausendwende geborenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen anzusprechen, die aktuell insgesamt rund 1,2 Milliarden Menschen unter 30 Jahren umfasst.

Im Rahmen des Projekts haben die ISD-Forscher knapp 3,5 Millionen arabisch-, englisch- und deutschsprachige Beiträge auf fast 1500 salafistischen Kanälen und Konten auf Facebook, Instagram, Twitter, YouTube, Telegram, TikTok und einer Reihe eigenständiger Webseiten und kleiner Plattformen analysiert. Dabei haben sie herausgefunden, dass "digitaler Salafismus" ein "plattformübergreifendes Phänomen" ist. Dieses erstrecke sich über etablierte Social-Media-Portale bis zum Gaming-Netzwerk Discord, das vor allem von Jüngeren genutzt wird.

Allein sechs Discord-Server mit einer "hochaktiven kollektiven Mitgliedschaft von fast 5000 Accounts" fungieren laut der Untersuchung als geschlossene Räume, in denen Aktivisten "über Theologie diskutieren, Angriffe auf andere Server koordinieren sowie neue Konten und Vorstöße auf weitere soziale Plattformen starten können".

Generell haben den Resultaten zufolge arabisch- und englischsprachige salafistische Profile jeweils ein Publikum im zweistelligen Millionenbereich mit einer internationalen Followerschaft von insgesamt 117 beziehungsweise 109 Millionen Personen auf allen Plattformen. Deutschsprachige Inhalte erreichten mit 3 Millionen Anhängern ein deutlich kleineres Publikum, was wahrscheinlich auf ihre geografisch begrenztere Reichweite zurückzuführen sei.

Salafistische Influencer nutzten mittlerweile "eine breite Palette an Formaten, um mit unterschiedlichen Zielgruppen in Kontakt zu treten", heißt es in dem Bericht: "Von langen Predigten und interaktiven Fragerunden bis hin zu stilisierten Informationsvideos bietet ein breites Spektrum salafistischer Kanäle Inhalte zu allen Aspekten des Lebens."

In weitgehend geschlechtergetrennten Online-Räumen würden "binäre Schwarz-Weiß-Ansichten über die vermeintlich einzig wahre islamische Haltung" zu komplexen Fragen in Bezug auf Themen wie Geschlechterrollen, Familienleben, Sexualität, Unterhaltung und Bildung verbreitet, haben die Wissenschaftler festgestellt. Darunter seien Inhalte, die sich ausdrücklich an Kinder richten.

Im gesamten Ökosystem seien "zahlreiche Varianten toxischer Inhalte zu finden, vom Sektierertum über frauenfeindliche Inhalte bis hin zur Ablehnung der Demokratie", erläutern die Autoren. Während englisch- und deutschsprachige salafistische Communities gegen nicht-muslimische Fremdgläubige wie Juden und Christen gifteten, konzentrierten sich arabischsprachige Beiträge im Netz hauptsächlich auf andere muslimische Gruppen wie Schiiten und Sufis.

Insgesamt stellt laut der Analyse Facebook die beliebteste Plattform für Salafisten dar. Telegram, YouTube-Kommentare und Instagram wiesen aber "den höchsten Anteil an toxischen Beiträgen" auf, was auf unterschiedliche Moderationsstandards auf den einzelnen Diensten hindeute.

Einen von 20 arabischsprachigen sowie einen von 30 englisch- und deutschsprachigen Postings stuften die Experten als "sehr toxisch" ein. Dazu gehörten bedrohende und entmenschlichende Inhalte sowie Beiträge, in denen die Überlegenheit der eigenen Religionsgemeinschaft betont werde.

Auf YouTube halte ein breites Spektrum salafistisch inspirierter Gruppen, das apolitische Theoretiker und gewalttätige Extremisten einschließe, "ein Quasi-Monopol auf Suchanfragen zum Thema Religion" und dominiere bei Videos zu Glaubensinhalten, schreiben die Verfasser. Sektiererische Geistliche gehörten mit ihrer millionenfachen Anhängerschaft auf Facebook und Twitter zu den einflussreichsten Online-Vordenkern, wobei Zakir Naik und Mufti Menkii als zentrale Knotenpunkte gälten.

Als "Speerspitze des digitalen Salafismus" haben die Forscher eine Community mit über 160.000 Mitgliedern ausgemacht, die sich stark an die Kultur der US-Rechtsaußenbewegung Alt-Right anlehne. Mit dieser teilten die muslimischen Anhänger "eine zunehmende ideologische Konvergenz rund um den angeblichen moralischen Verfall des Westens". Sie hielten es für nötig, zu einer idealisierten "reinen" Gesellschaft zurückzukehren.

In diesem Milieu gehe es um einen "selbstbewussten digitalen Aufstand" gegen liberale Muslime, die Demokratie sowie gegen LGBTQ+ und Frauenrechte, ist der Untersuchung zu entnehmen. Die Angefeindeten würden dadurch zur "Zielscheibe von Diskriminierung, Ausgrenzung oder sogar gewalttätigen Drohungen". Ein Netzwerk aus 22 Facebook-Seiten und 20 Telegram-Kanälen mit über 110.000 Konten diene als Werkstatt für die Produktion leicht konsumierbarer Inhalte. Dabei verschmölzen salafistische Bezüge mit angeeigneten Referenzen etwa der Chan-Kultur wie Pepe der Frosch und GigaChads. Antisemitische Sticker würden zusammen mit neonazistischen Inhalten geteilt.

In liberalen Gesellschaften sei dieser ideologische Mix nicht leicht zu verstehen, konstatieren die Beobachter. Viele Verantwortliche dort könnten kaum begreifen, wie diese Inhalte "sich auf die veränderten Verhaltensmuster und Zugehörigkeitsgefühle der Generation Z im Internet auswirkt". In dieser stünden junge Menschen muslimischen Glaubens zunehmend in der Schusslinie in einem Krieg um Identität. In einer chaotischen "postfaktischen" Welt biete ein klares Wertesystem, das nur in Schwarz und Weiß unterscheide, vermeintliche Orientierung und ein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Verschärfend dazu komme ein digitales Spielfeld, dessen Algorithmen Polarisierung förderten.

In der ausgemachten Subkultur "geht es nicht nur um eine eng definierte Bedrohung durch gewalttätigen Extremismus", meinen die Forscher. Berücksichtigt werden müssten weitere potenzielle Demokratiegefahren, die Desinformation, Verschwörungstheorien und Hass beinhalteten. Solche digitalen salafistischen Räume entzögen sich "konventionellen Ansätzen zur Moderation, Intervention und Prävention".

Trotz ihrer Befürwortung von Gewalt könnten so Ideologen etwa der Shu’yabi- Schule, die die Anschläge vom 11. September rechtfertigten, sowie Gruppen wie Tauhid Berlin lange auf Mainstream-Plattformen agieren, monieren die Wissenschaftler. Dies ändere sich oft erst, wenn "die Behörden offiziell gegen sie vorgehen". Betreiber wie TikTok "scheinen Mühe zu haben, ihre Plattform kontinuierlich und konsequent von schädlichen salafistischen Konten freizuhalten, die sie zuvor bereits gesperrt haben".

Hilfreich könnte laut den Empfehlungen ein Daten-Dashboard sein, "um die Bedeutung und Toxizität bestimmter salafistischer Narrative in Echtzeit zu visualisieren". Regierungen sollten zudem "als Teil einer umfassenden Reihe von Präventionsansätzen einen systemischen Ansatz" für die Plattform-Regulierung verfolgen, "der eine sinnvolle Transparenz bei Entscheidungsfindung, Algorithmen und Governance fördert". Erprobt werden sollte auch ein System "zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Reaktionen".

(olb)