Alexa, hör nicht zu: Verschwörungstheorien um Technologie kein Randphänomen

Mit dem Einzug von smarter Technik in den Alltag steigt auch das Misstrauen gegenüber Geräten wie Herstellern. Verschwörungstheorien spielt das in die Hände.

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Smartspeaker mit Symbolen drumherum

Unter anderem smarte Lautsprecher stehen im Fokus von Verschwörungstheorien.

(Bild: petrmalinak/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Die Angst vor digitaler Spionage wächst. So kennt nicht nur die Mehrheit Theorien wie jene, dass Amazon Echo-Lautsprecher auch ausgeschaltet zuhören (67 Prozent), mehr als ein Drittel (36 Prozent) hält das auch für zutreffend. Dieser Trend zeichnet sich generell bei Verschwörungstheorien ab, sagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Paderborn und Göttingen. Das Team untersuchte im Zusammenhang mit der Corona-Warn-App in Deutschland in einer Feldstudie, wie es dazu kommt, dass Menschen an Verschwörungstheorien glaubten. Die Ergebnisse erschienen nun in der Zeitschrift "Information Systems Research".

Die Forscher untersuchten die Verbreitung von Verschwörungstheorien und befragten in einer ersten Teilstudie 1007 Personen aus den USA. In zwei weiteren Teilstudien stand im Fokus, wie sich Verschwörungstheorien um Technologien herum bilden und welche Konsequenzen diese für die Gesellschaft haben. Dafür befragten sie 308 Teilnehmer viermal während der Corona-Pandemie. "Am Beispiel von Verschwörungstheorien zur Deutschen Corona-Warn-App zeigen wir, welche App-Eigenschaften dazu führen, dass sich solche Theorien entwickeln", erklärt Simon Thanh-Nam Trang, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Paderborn.

Viele Verschwörungstheorien sind bekannt, doch auch die Tendenz, daran zu glauben, steigt.

(Bild: Simon Thanh-Nam Trang et al.)

In einem dritten Schritt führten sie mit 363 US-Teilnehmern ein Labor-Experiment durch: Der fiktiv eingeführte smarte Autoassistenzsystem namens "DiCa – der intelligente Autoassistent" sollte ein Auto mit einem Notfallsystem, Remote Car Control und Fahrdatenanalyse ergänzen. Mit ausgedachten Medienberichten vermittelten die Forscher den Teilnehmern verschiedene Informationen über den angeblichen Hersteller: So hatte der entweder geringe finanzielle Ressourcen und wenig Markteinfluss oder viel finanziellen Spielraum und starken Einfluss. Das Unternehmen wurde als angeblich transparent und hoch angesehen dargestellt, bei anderen Teilnehmern hingegen als undurchsichtig und von niedrigem Ansehen. Das Ergebnis: Auch die Hintergrundinformationen zum Unternehmen beeinflussten die Tendenz, eine Verschwörung zu sehen.

Das Team fand heraus, dass Verschwörungsglauben gegenüber Technologien weiter verbreitet sind als vermutet. Trang betont allerdings, Verschwörungstheorien könnten theoretisch auch wahr sein: Deutsche Automobilkonzerne manipulierten tatsächlich die technische Abgassteuerung in ihren Autos. "Aber: Den Verschwörungstheorien fehlt es in der Regel an wissenschaftlichen Belegen." Dennoch würden diese Denkansätze oft als Nischenphänomen dargestellt. Zugleich kämen sie immer mehr in der Breite der Gesellschaft an, da Technologien inzwischen im Alltag angekommen sind, viele diese aber nicht verstünden und eher als Bedrohung wahrnähmen.

Das könnte durchaus ernst zu nehmende Konsequenzen nach sich ziehen. "Technologie-Verschwörungsglauben können einen Teufelskreis in Gang setzen, in dem Individuen ihre Umwelt zunehmend durch Verschwörungstheorien interpretieren", erklärt der Wirtschaftsinformatik-Professor. Die Erhebung zur Corona-Warn-App zeige, dass die Theorien einen Verschwörungsstrudel auslösen könnten. "Für viele Personen sind Verschwörungstheorien neu. Wenn sie nun aber Technologien begegnen, die ihren Alltag bestimmen, sie aber nicht vollständig verstehen, als Bedrohung wahrnehmen und beginnen, an eine Verschwörung zu glauben, dann kann dies der Startpunkt dafür sein, ein Conspiracy-Mindset zu entwickeln – das heißt, auf einmal auf die Welt aus einer Verschwörungsbrille zu schauen", sagt Trang.

Auch die Wahrnehmung der Technologie sowie der Herausgeber beeinflusse, wie stark ein technisches Gadget in den Verschwörungs-Fokus gelangen würde. Trang appelliert, auf eine präzise Kommunikation zu achten, welchen Zweck die Gadgets erfüllen und wie sie funktionieren. Andernfalls laufe die Gesellschaft Gefahr, einen Teil zu verlieren. "Technologien – insb. im Kontext von „mächtigen“ Unternehmen und Organisationen wie dem Staat – müssen für die breite der Gesellschaft verständlich bleiben und dürfen nicht als Bedrohung wahrgenommen werden." Dazu zähle etwa im Fall der Corona-Warn-App, die Funktionsweise so verständlich zu erklären, dass ein Vertrauen in die Technologie entstehe. "In einigen Fällen kann das auch heißen, dass der Nutzungskontext der Technologie von vorneherein klar beschränkt wird."

Insbesondere der Einzug Künstlicher Intelligenz verschärfe die Situation. "Mit neuen Technologien wie LLM und technischen, fest integrierten Sensoren in zahlreichen Consumer-Produkten wird es für Bürgerinnen und Bürger immer schwieriger, die Technologie und somit die mögliche Bedrohung für sich greifbar zu machen", erklärt der Forscher. Das sei die ideale Ausgangslage, sich in Verschwörungstheorien zu verstricken. "Wer hat – trotz sehr guter Belege, dass dies nicht so ist – nicht irgendwie das Gefühl, dass Amazon heimlich mithört?" Mit der Studie wollen die Forscher einen Anstoß geben, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen.

(are)