Syrien: Armee hat übernommen

Das Blutbad weitet sich aus. Signale für potentiellen Bürgerkrieg nehmen zu

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit Sonntag wird der Aufstand nicht länger von Geheimdienst und "Schabbiha", sondern von der Armee niedergeschlagen. Vorläufige Bilanz: In Douma, einem Vorort von Damaskus, können die Menschen nicht mehr ihre Häuser verlassen, ebensowenig in Jableh, wo seit Sonntag angeblich 13 Menschen getötet wurden. In Daraa, so schildert das der in Washington ansässige Dissident Mohammad Ali Abdallah, "feuern tausende Soldaten der Spezialeinheiten in schwarzen Uniformen auf jedes lebende Ziel". Allein am Montag sollen 18 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Anzahl der Todesopfer hätte sich seit Freitag so auf 150 Tote erhöht.

Hinzu kommen laut Wissam Tarif, dem Gründungsmitglied der in Spanien basierten Menschenrechtsorganisation INSAN, 221 Fälle von "mit Gewalt Verschleppten".

Gräben zwischen "Assads Soldaten"?

Die Armee, die einen hohen Prozentsatz an alawitischen Mitgliedern aufweist, wird in Syrien nicht als staatliche Verteidigungsinstanz wahrgenommen, sondern mit "Assads Soldaten" tituliert. Deren bedingungslose Regimeloyalität stellt ein nichtstaatlicher Bericht dennoch in Frage und verweist darauf, dass 60 Prozent der Armee aus Zwangswehrdienstleistenden besteht, die aus unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen stammen. Sollten zahlreiche unter ihnen die Schießbefehle verweigern, könnte dies in einen Bürgerkieg münden.

Sektiererisches Video aus Daraa

Die Rede von einem potentiellen Bürgerkrieg wird auch insofern lauter, als sich sektiererische Slogans unter die Protestrufe mischen sollen. So gab der Blogger Angry Arab gestern einen Augenzeugenbericht wieder, demzufolge in Douma manche riefen: "Die Alawiten ins Grab, die Christen nach Beirut."

In Ermangelung von Videos ist dies bislang nicht nachweislich. Anders hingegen verhält es sich mit diesem Video, das die Freitagspredigt von Scheikh Abd Al-Salam Al-Khalili aus Daraa dokumentiert, der zunächst das syrische Regime anklagt, nichts für die Befreiung Jerusalems getan zu haben und dennoch das Wort "Widerstand" im Munde zu führen. Letzteres täte es, weil es Angst vor dem Begriff "Dschihad" habe. Des Weiteren - und hier wird die Predigt eindeutig sektiererisch - beklagt er sich über die "Frauen vom syrischen Drusengebirge", die seit einigen Jahren (aufgrund von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Regimes) in seine "zutiefst religiöse und traditionelle Gemeinde" eindringen und wegen ihrer Unverschleiertheit Anstoß erregen. Dass die meisten angefügten Kommentare negativ sind und der Mehrheit der Betrachter das Video nicht gefällt, ist indes festzuhalten.

Administrator der Facebook-Revolutionsseite ein Muslimbruder

Bedenklich allerdings ist auch, dass Fida' ad-Din Tariif as-Sayyid 'Isa, der Administrator der Facebook-Seite The Syrian Revolution 2011, die über 140.000 Mitglieder zählt, ein Angehöriger der Muslimbruderschaft mit Sitz in Schweden sein soll. 'Isa hatte in diesem Video vor kurzem die syrische Regierung angeklagt, seine Seite gehackt zu haben. Durch seinen Auftritt bestätigte er den Bericht der syrischen Nachrichtenagentur Champress vom 22. März, die in ihm den Kopf hinter der Facebook-Seite vermutet und auf seine Verbindungen zur Muslimbruderschaft hingewiesen hatte.

Der Beweis dafür seien Fotos seiner Treffen mit der ägyptischen Bruderschaft, die er ebenso in sein Facebook-Profil hochgeladen hatte wie das Logo der Bruderschaft. Diese Hinweise seien später von seiner Seite wieder verschwunden. Geblieben ist hingegen ein Video , in dem sich der ägyptische Imam Fadel Suleiman an das syrische Volk und vor allem an die Alewiten wendet: Wenn sich diese nicht alle gegen die syrische Diktatur erhöben, würden sie und ihre Kinder "den Preis bis in alle Ewigkeit zahlen".