Technischer Fehler an der Strombörse: Strompreis schnellt in die Höhe

An der Pariser Strombörse EPEX hat ein technischer Fehler die Preisfindung verzerrt. Das traf vor allem Kunden mit dynamischen Preisen bei Tibber & Co.

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Strommasten

Strommasten in Bremen

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jan Mahn
Inhaltsverzeichnis

Die Strommärkte in Europa ergänzen sich gegenseitig und Strom wird jeden Tag auch über Landesgrenzen verkauft. Das führt zu insgesamt niedrigeren Strompreisen und gleicht unterschiedliche Nachfrage sowie Produktion durch erneuerbare Energie aus. Deshalb wird auch die sogenannte Day-Ahead-Auktion an der Pariser Strombörse EPEX SPOT unter dem Namen "Single Day-ahead Coupling" (SDAC) gekoppelt, also länderübergreifend durchgeführt. Eigentlich – denn bei der Preisfindung für den 26. Juni funktionierte der internationale Abgleich nicht und der Preis zwischen 5 und 8 Uhr schnellte für Deutschland in die Höhe. Zwischen 6 und 7 Uhr lag er bei 2,33 Euro pro Kilowattstunde, während Preise um 10 Cent realistisch gewesen wären.

Im Day-Ahead-Handel bieten Stromerzeuger bis 12 Uhr ihre Erzeugungsleistung für den Folgetag an und Käufer platzieren ihre gewünschten Mengen. Auf dieser Grundlage wird für jede Stunde des Tages ein Preis nach dem Prinzip des markträumenden Preises (Merit-Order-Effekt) gebildet: Die Angebote werden preislich aufsteigend sortiert und alle erhalten den niedrigsten Preis, zu dem gerade noch die Nachfrage gedeckt wird. Die teuersten Anbieter sind die, die Brennstoffe für die Erzeugung verheizen müssen, die günstigsten sind erneuerbare Energiequellen. Die gehen bei der Auktion mit niedrigen Preisen ins Rennen, weil ihre Anlagen ohnehin aufgebaut sind und es für die Kosten keine Rolle spielt, ob zum Beispiel eine PV-Anlage läuft oder nicht.

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In den vergangenen Tagen wurde in den Nachtstunden wenig günstiger Strom in Deutschland angeboten und die Nachfrage wurde unter anderem durch günstigen Strom aus Frankreich gedeckt. Dort bieten die Kernkraftbetreiber günstigen Strom an, weil sie ihre Kraftwerke bei niedriger Nachfrage im eigenen Land nicht abschalten können.

Was genau an der EPEX schiefgelaufen ist, hat die Börse bisher nicht veröffentlicht. Offenbar konnten Gebote und Nachfrage nicht europaweit synchronisiert werden, sodass die Auktionen pro Land durchgeführt wurden. Durch das Merit-Order-Prinzip zahlten alle Interessenten in Deutschland den Preis des teuersten deutschen Gaskraftwerks, das noch angeworfen werden muss, um den Bedarf zu decken. Wer in diesen Zeitabschnitten in den Morgenstunden Strom aus Wind- oder Wasserkraft anbieten konnte oder einen großen Batteriespeicher für Arbitragehandel betreibt, hat in der Zeit ein gutes Geschäft gemacht.

Gegenüber dem Energiemarktportal Montel äußerte sich ein Experte eines Übertragungsnetzbetreibers, der nicht namentlich genannt werden will. Er gab an, dass es einen solch weitreichenden Fall einer Entkopplung der Auktionen noch nie gegeben habe. Eine offizielle Stellungnahme der EPEX gibt es auf deren Homepage noch nicht. Gegenüber Montel sagte eine Sprecherin lediglich, man analysiere den Fall noch und könne noch keine Details nennen.

Konkrete Auswirkungen hat der Fehler auf Kunden mit dynamischen Stromtarifen, wie sie unter anderem Tibber und Awattar anbieten. Solche Anbieter geben die Day-Ahead-Preise direkt an die Kunden weiter, zuzüglich Netzentgelten. Wer ohne Blick auf die Preise in Erwartung niedriger Preise sein Elektroauto geladen hat, muss mit deutlich höheren Kosten rechnen. Kunden solcher Tarife sollten am Mittwoch ab 19 Uhr, wenn möglich, keine großen Verbraucher einschalten. Dann schnellen die Preise auf bis zu 1,80 Euro pro Kilowattstunde. Awattar warnte seine Kunden am Mittag per E-Mail, in den Abendstunden viel Strom zu verbrauchen.

Besser nicht nachts das Auto laden: Kunden mit dynamischen Tarifen wie sie Awattar anbietet, zahlen am Mittwochabend bis zu 1,80 Euro pro Kilowattstunde.

Für Kunden mit Festpreisen hat der Fehler kaum Folgen. Die Stromanbieter kaufen nur einen Teil der Energie über den Day-Ahead-Markt, große Teile werden langfristig eingekauft. Der bisher einmalige Fehler dürfte keine langfristigen Auswirkungen auf die Strompreise haben. Die Auktion für den 27. Juni zeigt keine außergewöhnlichen Ausreißer, der Preis liegt durchgängig unter 13 Cent pro Kilowattstunde.

Update

Der Deutschlandchef des Stromanbieters Tibber äußerte sich gegenüber heise online zum Fall: "Ausschläge wie heute kann es am Day-Ahead-Markt der Strompreisbörse unter normalen Umständen und ohne technische Probleme eigentlich nicht geben." Weiter verwies er darauf, man habe die Kunden bereits am Vorabend vorgewarnt. Tibber kooperiert mit Herstellern von Wallboxen, über die es möglich ist, ein Elektroauto dann zu laden, wenn der Strom günstig ist.

(jam)