Katastrophenmedizin: Wie BBK und Uniklinik Telemedizin in Krisenfällen testen

Um die medizinische Versorgung in Katastrophenfällen zu ermöglichen, erprobt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe das Projekt "TeleSAN".

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Telemedizinisch unterstützte Sanitäter

Mit telemedizinischer Unterstützung arbeitende Sanitäterin

(Bild: Projekt TeleSAN)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Wie kann die medizinische Versorgung auch in Krisensituationen wie Naturkatastrophen oder im Krieg sichergestellt werden? Noch dazu mit dem gegenwärtigen Fachkräftemangel – daran arbeiten das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gemeinsam mit der Uniklinik RWTH Aachen im Forschungsprojekt "TeleSAN" für eine "effektive sanitätsdienstliche Gesundheitsversorgung" in Krisensituationen. Das geplante System sieht vor, dass im Zivilschutzfall zunächst eine Audio- und Videoverbindung zwischen Einsatzkraft und Arzt hergestellt wird. Sobald die wichtigsten Informationen übermittelt wurden, stellt der Arzt die Diagnose und leitet die Einsatzkraft an.

Auch Einsatzkräfte mit einer niedrigeren Qualifikation als Notfallsanitäter könnten mit TeleSAN helfen. Für die Rolle des TeleSAN empfehlen die Studienleiter "jedoch die Qualifikation als Rettungssanitäter/in, um die notwendige Zusatz-Ausbildung zu verkürzen". Das teilte eine Sprecherin der Uniklinik RWTH Aachen heise online mit. Einsatzkräfte unterschiedlicher medizinischer Ausbildungsstufen werden über die TeleSAN-App aus der Ferne angeleitet.

Beim Einsatz, beziehungsweise der Behandlung von Patienten, habe sich der durchgängige Kontakt zwischen Telearzt und Telesanitäter als hilfreich erwiesen, so die Sprecherin. Auf diese Weise seien auch invasive und ärztliche Maßnahmen möglich, wie das Legen eines Zugangs oder das Verabreichen von Medikamenten. Dabei orientieren sich die Maßnahmen an Standards (Standard Operation Procedure), die für den Zivilschutz erarbeitet wurden. Telemedizin ist demnach wichtig, "um den zukünftigen Mangel an hochqualifiziertem medizinischem Personal" an der Einsatzstelle zu kompensieren, sagt der stellvertretende Leiter des Medizintechnik-Bereichs an der RWTH Aachen, Andreas Follmann.

Über die TeleSAN-App lässt sich mit unterschiedlicher Hardware auf verschiedene Funktionen zugreifen, etwa den Anruf, aber auch Leitlinien für die Katastrophenmedizin und eine digitale Dokumentation. Medizinisches Fachpersonal soll so aus der Ferne Kontakt zu den Patienten aufnehmen und Behandlungen anleiten und überwachen können. Die Projektbeteiligten erhoffen sich, so die Gesundheitsversorgung in kontaminierten Gebieten zu verbessern und lebensrettende Maßnahmen schneller einzuleiten.

Der Tele-Leitende-Notarzt als Zukunftsstrategie in der Katastrophenmedizin (4 Bilder)

Notärztin leitet aus der Ferne die Person am Einsatzort an (Bild: TeleSAN)

Die App lässt sich unter anderem auch auf Tablets nutzen. Neben der Echtzeit-Kommunikation mit den Telenotärzten ist es darüber hinaus möglich, Geräte zur digitalen Übertragung von Vitalparametern und Herz-Lungengeräusche zu teilen – dort, wo die Patienten über einen längeren Zeitraum behandelt werden. Darüber hinaus gibt es zur kontaktlosen Nutzung der telemedizinischen Anwendung Datenbrillen für die Einsatzkräfte, die mithilfe von eingebauten Kameras unterschiedliche Leitlinien anzeigen, aber auch Algorithmen für die Hilfe bei der Entscheidungsfindung.

"Neben Vertraulichkeit und Integrität steht die gesicherte Verfügbarkeit einer telemedizinischen Anbindung auch bei zerstörter oder teilzerstörter Infrastruktur besonders im Fokus der weiteren Betrachtungen", teilte ein BBK-Sprecher gegenüber heise online mit. Vor einer "bundesweiten Beschaffung" müsse zunächst zwischen zentralen und dezentralen telemedizinischen Ansätzen abgewägt werden. Ebenso ergeben sich laut BBK bei chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Gefahren (CBRN-Gefahren) besondere technische Herausforderungen, die zunächst eine Evaluierung erfordern. Ebenfalls seien auch die finanziellen Mittel nötig.

Laut BBK seien auch "klare Richtlinien und Standards für die telemedizinische Versorgung in Krisensituationen" wichtig. Einerseits für den Schutz der Patientendaten, andererseits, da das medizinische Personal ausreichend ausgebildet und ausgerüstet ist. Die Technologie werde demnach weiterentwickelt und erforscht. Ebenso wolle man diese in die "Konzepte und einsatztaktischen Systeme integrieren, um in Zukunft bestmöglich auf unvorhergesehene Ereignisse vorbereitet zu sein. Insbesondere die Praxistauglichkeit für die Helferinnen und Helfer steht für uns im Vordergrund", sagt Abteilungsleiterin für Wissenschaft und Technik beim BBK, Giulio Gulotta.

Bei dem Projekt handelt es sich um ein vom BBK gefördertes Forschungsvorhaben für den Bevölkerungsschutz, in dem erstmals der Einsatz von Telemedizin im Katastrophenschutz für die Sanitätseinheiten des Bundes, die Medizinische Task Force (MTF), untersucht wurde. Träger der MTF sind Organisationen, die in den jeweiligen Katastrophenschutzeinheiten der Länder mitwirken, wie der Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, der Malteser Hilfsdienst, die Johanniter-Unfall-Hilfe sowie die Feuerwehren. Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie "Tele-leitende-Notarzt als Zukunftsstrategie in der Katastrophenmedizin" werden in Kürze veröffentlicht. Weitere Übungen sind laut BBK für 2024 geplant.

(mack)