Tschechischen TV-Hackern wird der Prozess gemacht

Kunst oder öffentlicher Aufruhr? Die Performance-Gruppe Ztohoven, die im Juni mit dem Einspeisen von Bildern einer Atombombenexplosion im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Ceská televize für Aufsehen sorgte, muss sich jetzt vor Gericht verantworten.

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Die Künstlergruppe Ztohoven, die im Juni mit dem Einspeisen von Bildern einer Atombombenexplosion im öffentlich-rechtlichen Prager Sender Ceská televize (CT2) für Aufsehen sorgte, muss sich im Januar vor Gericht verantworten. Dies berichtet die britische Zeitung The Guardian, die sich auf tschechische Strafverfolgungsbehörden beruft. Sechs Mitgliedern des Kollektivs könnte ihre aufklärerische Performance mit dem Titel "Media Reality" somit teuer zu stehen kommen. Den Hackern, die den Zuschauern den leichtfertigen Glauben an die Wahrheit von elektronischen Bildern austreiben wollten, drohen Haftstrafen. Stoßen sie auf einen ungnädigen Richter, könnten sie dazu verdonnert werden, drei Jahre lang Erfahrungen mit der tristen Realität Prager Gefängniszellen zu sammeln.

Die Künstler hatten mit ihrer frühmorgendlichen Sonntagsaktion im Sommer eine drastische Abwechslung in eine der langweiligsten Formen der Fernsehunterhaltung gebracht: Die Sendung "Panorama", die Aufnahmen von Webkameras privater Anbieter aus einheimischen Touristenregionen wiedergibt, unterbrachen die Hacker etwa 30 Sekunden lang mit Aufnahmen eines kurzen hellen Lichtblitzes und einem anschließend scheinbar im Riesengebirge aufsteigenden Atompilz. Unterlegt war die Darbietung mit der Webadresse der Gruppe. Vorher hatten sie Sicherheitslücken bei der Firma gefunden, welche die Webcam-Bilder CT2 zur Verfügung stellt.

Ztohoven hatte nach dem Vorfall der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die ungewöhnliche Aktion als Appell an die Medien verstanden werde. Diese sollten an ihre Pflichten erinnert werden, "die Wahrheit ans Licht zu bringen". Die Künstler wehrten sich zudem vorsorglich gegen Versuche, in die Nähe einer Terrororganisation gerückt zu werden. Man bilde keine politische Bewegung, versicherten sie. Ziel sei es auch nicht, einzuschüchtern oder die Gesellschaft zu manipulieren. Diese Strategien habe man vielmehr in der physischen Welt sowie in den Medienwelten vielfach beobachtet.

In Tschechien ist die Gruppe um den Künstler Roman Tyc spätestens seit 2003 ein Begriff. Damals vertauschte sie die Neonherz-Installation des Bildhauers Jiri David zu Ehren des scheidenden Präsidenten Vaclav Havel auf der Prager Burg durch ihr eigenes Symbol, ein Fragezeichen. Mit David steht die Gruppe in gutem Kontakt. Er lobte den TV-Hack laut Agenturmeldungen als "zum Nachdenken anregend". Das mit der Atombombe sei "zwar ein bisschen Pop" gewesen. "Aber die Aktion an sich ist interessant". Die tschechische Nationalgalerie verlieh Ztohoven im Dezember sogar den mit rund 18.000 US-Dollar dotierten Preis für Nachwuchskünstler. Zur Begründung führte sie aus, dass die Gruppe mit ihrem medialen Werk die Grenze zwischen Kunst und einer stärker gesellschaftlich ausgerichteten Darbietung gekonnt überschritten habe. Es sei begrüßenswert, wenn Künstler aus dem engen Käfig der eigenen Gattung ausbrechen würden.

Der tschechische Fernsehsender hatte zuvor aber bereits rechtliche Schritte eingeleitet, sodass Justitia nun die Argumente aller Seiten abwägen und Recht sprechen muss. Als Anklagepunkte brachte CT2 hauptsächlich "Öffentlicher Aufruhr" und "Verbreitung falscher Informationen" vor. Ein Sprecher des Kanals nannte den Hack unverantwortlich: "Die gefälschte Übertragung war wirklich nicht angebracht und hätte Panik unter einer großen Anzahl von Menschen auslösen können." Anders als bei der legendären Radioübertragung des Hörspiels "Krieg der Welten" über einen angeblichen Angriff von Marsbewohnern auf die Erde unter der Regie von Orson Welles im Jahr 1938 war in der Folge des bombigen Hacks bislang aber nicht von Zuschauern die Rede, die Herzinfarkte erlitten hätten. (Stefan Krempl) / (pmz)