Türkisches Gericht lässt YouTube erneut sperren

Surfer in der Türkei müssen derzeit wieder auf YouTube verzichten. Ein Gericht in Ankara hat in einem Video erneut eine Beleidigung des Staatsgründers erkannt und den größten Provider angewiesen, die Leitungen zu kappen.

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Der größte türkische Netzbetreiber Türk Telekom hat den Zugang zum Videoportal YouTube auf richterliche Anordnung erneut gesperrt. Die Sperre sei von einem Gericht in der Hauptstadt Ankara verfügt worden, heißt es in verschiedenen Medienberichten. Anlass sei ein Video, das den Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, in herabwürdigender Weise als Affe darstelle. Nach dem türkischen Gesetz steht die Verunglimpfung von Atatürk, von Repräsentanten des Staates oder des "Türkentums" im allgemeinen unter Strafe. Die Blockade von entsprechenden Internetangeboten ist inzwischen auch in einem Gesetz zur Verbrechensprävention im Computerbereich verankert, das unter anderem für die Bekämpfung der Kinderpornografie gedacht ist.

Das ist nicht das erste Mal, dass der Zugang zu der beliebtem Videoplattform in der Türkei aufgrund des umstrittenen Gesetzes gekappt wird. Im März vergangenen Jahres führten Videos, in denen Atatürk unter anderem als "Vater aller schwulen Türken" bezeichnet worden sein soll, zu einer zweitägigen Sperre. Das Gericht ließ die Sperre wieder aufheben, nachdem YouTube die Videos entfernt hatte. Ein ähnlicher Fall hatte sich im September 2007 ereignet. Dabei ging es um Beleidigung des Staatspräsidenten Abdullah Gül und des Premierministers Recep Tayyip Erdoğan. Auch das Blognetzwerk Wordpress.com wurde von türkischen Behörden schon gesperrt, weil mehrere dort gehostete Blogs den islamischen Kreationisten Adnan Oktar angeblich beleidigt hatten. Der Schriftsteller ist Verfechter der religiösen Schöpfungsgeschichte und hat in Büchern die wissenschaftliche Evolutionstheorie als Betrug bezeichnet.

Der umstrittene Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuches ist ein wesentlicher Störfaktor für die EU-Ambitionen der Türkei. Internationale Aufmerksamkeit erregte das Gesetz im Zusammenhang mit der Ermordung des Journalisten Hrant Dink. Der Armenier war vor seiner Ermordung im Januar 2007 mehrfach wegen Verstoßes gegen das Gesetz angeklagt und im Jahre 2005 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Dinks Sohn Arat musste sich später ebenfalls vor Gericht für die "Beledigung des Türkentums" verantworten: für die Veröffentlichung eines Reuters-Interviews mit seinem Vater, in dem dieser vom Völkermord an den Armeniern spricht.

Inzwischen bewegt sich die türkische Regierung auf die EU zu, von deren Mitgliedsländern der Paragraf als untragbare Einschränkung der Meinungsfreiheit gesehen wird. Nachdem sich Staatspräsident Gül zunächst für eine Entschärfung ausgesprochen hatte, ist jüngsten Medienberichten zufolge die Abschaffung des Gesetzes geplant. Die Türkei erwarte dafür ein Entgegenkommen bei den stockenden Beitrittsverhandlungen mit der EU. (vbr)