US-Klage: Suchergebnisse bei Amazon.com sind bewusst so schlecht

(Bild: Daniel AJ Sokolov)
Amazon zeigt immer mehr miserable Suchergebnisse â weil das Geld bringt. Wie auch automatische Preistricks zur Behinderung der Konkurrenz, sagt die FTC.â
"Akzeptiert mehr MĂŒll", soll der damalige Amazon.com-CEO Jeff Bezos seinen Managern befohlen haben: Gemeint habe er damit irrelevante Reklame in Suchergebnissen im weltgröĂten Online-Shop. Denn das bringe dem Konzern Milliarden durch höhere Werbeeinnahmen: Je mehr die Suchergebnisse mit Reklame durchsetzt sind, um so eher mĂŒssen auch VerkĂ€ufer guter Ware selbst WerbeplĂ€tze buchen, um ĂŒberhaupt wahrgenommen zu werden.
Diesen und weitere schwere VorwĂŒrfe erheben die US-Wettbewerbsbehörde FTC (Federal Trade Commission) und 17 US-Bundesstaaten in ihrer wettbewerbsrechtlichen Klage gegen Amazon [1]. Die Klage wurde bereits Ende September eingebracht, war aber bislang fĂŒr die Ăffentlichkeit in weiten Teilen geschwĂ€rzt. Jetzt hat das Bundesbezirksgericht im westlichen Washington, wo das Verfahren FTC et al v Amazon.com anhĂ€ngig ist, mehr Offenlegung genehmigt. Dabei wird offenbar, dass Amazon-Manager selbst dokumentiert haben, dass die Reklameflut "Verbrauchern Schaden zufĂŒgt", weil es damit "fast unmöglich (ist, dass) hilfreiche organische Inhalte von hoher QualitĂ€t sich gegenĂŒber kaum relevanten, bezahlten Inhalten" durchsetzen.
Grundtenor der durch die EntschwĂ€rzungen öffentlich gewordenen, ungeprĂŒften VorwĂŒrfe: Entgegen seiner Public-Relations-Kampagnen stelle Amazon das Wohl seiner AktionĂ€re immer wieder ĂŒber das Wohl seiner Kunden. Der Konzern stellt das in Abrede und wirft der FTC vor, Fakten und Rechtslage falsch darzustellen. Beispielsweise sei Amazon laut einer Kantar-Studie [2] die bei Verbrauchern in den USA, Deutschland, Brasilien und Mexiko beliebteste Werbeplattform ĂŒberhaupt, noch vor Google.
Algorithmus zur ZermĂŒrbung der Konkurrenz
Um Mitbewerber davon abzuhalten, gĂŒnstigere Preise anzubieten, habe Amazon einen Algorithmus programmiert. Dieser habe dafĂŒr gesorgt, dass Amazon nie als erster Preise senkt; sollte ein Konkurrent sich zu einer PreisĂ€nderung erdreisten, kopiere der Algorithmus den neuen Preis bis auf den Cent genau. Das habe zur Folge, dass Mitbewerber durch Preissenkungen kaum zusĂ€tzlichen Umsatz erzielen können, weil Verbraucher keinen preislichen Anlass haben, statt bei Amazon bei dem Mitbewerber zu bestellen.
Eine Preissenkung senkt in so einer Situation lediglich die Gewinnspanne mit bestehenden Kunden, sodass die Mitbewerber mit der Zeit völlig auf Preissenkungen verzichten. "Die Preise werden steigen", soll sich Amazon intern gefreut haben.
Project Nessie fĂŒr höhere Preise
Dem nicht genug, habe Amazon 2014 einen weiteren, geheimen Algorithmus installiert. Laut Klage versuchte dieses System, zu erkennen, bei welchen Produkten es die eigenen Preise erhöhen kann und andere Online-Shops nachziehen. Dieses Preiserhöhungswerkzeug heiĂt konzernintern Project Nessie und wurde als "unglaublicher Erfolg" gefeiert.
Kein Wunder, soll es doch in nur drei Jahren (2016 bis 2018) mehr als eine Milliarde US-Dollar Zusatzgewinn eingespielt haben. Alleine im Monat April des Jahres 2018 habe Nessie die Preise von acht Millionen verkauften Sachen bestimmt. Zwischendurch habe Amazon seinen Nessie-Algorithmus immer wieder deaktiviert, laut Klage aus Angst vor Entdeckung. Nach 2019 habe Amazon Nessie nicht mehr eingesetzt, das aber wiederholt in ErwÀgung gezogen.
Amazon widerspricht dieser Charakterisierung Nessies. Dieser Algorithmus sei dazu konzipiert worden, zu verhindern, dass bei der Angleichung eigener Preisen an jene eines Mitbewerbers ein unrentables Niveau erreicht wird. Das habe nicht wie geplant funktioniert, weshalb Nessie abgestellt worden sei.
"Oh, Mist"
Amazon legt hohen Wert auf sein Abonnementprogramm Prime, das unter anderem raschere Lieferung ohne Aufpreis verspricht â einer der wenigen Punkte, ĂŒber die sich Konzern und KlĂ€ger einig sein dĂŒrften. In einer Klage wirft die FTC Amazon vor, Verbrauchern Prime-Abos aufzudrĂ€ngen [3] â ein Vorwurf, der in der gegenstĂ€ndlichen Klage wiederholt wird. Der Zuspruch ist jedenfalls gewaltig: Amazon erwartet, dass nĂ€chstes Jahr fast so viele US-Haushalte Prime-Abos bezahlen werden, wie Internetzugang haben. Diese riesige Kundengruppe ist natĂŒrlich fĂŒr HĂ€ndler, die auf Amazon ihre Waren feilbieten, unabdingbar.
Die nun weniger geschwĂ€rzte Klage kritisiert, dass Amazon die Teilnahme am Prime-Programm davon abhĂ€ngig macht, dass der HĂ€ndler seine Waren von Amazon verpacken und zustellen lĂ€sst (Fulfilled by Amazon, FBA). WofĂŒr natĂŒrlich GebĂŒhren anfallen. Nicht zu knapp: Der Anteil der von Amazon einbehaltenen GebĂŒhren am Gesamtpreis ist laut internen Unterlagen bei Produkten mit Prime-Label von Jahr zu Jahr gestiegen; waren es 2014 durchschnittlich noch rund 28 %, sollten 2018 schon rund 40 Prozent GebĂŒhren erreicht werden. Die interne Prognose fĂŒr die spĂ€teren Jahre ist weiterhin geschwĂ€rzt, um Amazons GeschĂ€ftsgeheimnisse zu schĂŒtzen.
FĂŒr einen kurzen Zeitraum hat Amazon 2015 den FBA-Zwang fĂŒr ausgesuchte HĂ€ndler aufgehoben [â] und erschrak ĂŒber das Ergebnis. "Oh, crap", zitiert die Klage einen Manager. Die flexiblere Lagerhaltung und Lieferung namens Sender Fulfilled Prime (SFP) sei zwar sowohl bei Kunden als auch HĂ€ndlern beliebt gewesen, doch habe das Konzernmanagement schnell erkannt, dass damit auch der Wettbewerbsdruck steige: HĂ€ndler konnten ihre Ware in eigenen Lagern vorhalten und damit auch Bestellungen bedienen, die ĂŒber andere Online-Shops hereinkommen.

(Bild: Screenshot amazon.com)
AuĂerdem traten Dritte auf den Markt, die als unabhĂ€ngige Dienstleister Verpackung und Zustellung fĂŒr HĂ€ndler ĂŒbernahmen â egal, ĂŒber welchen Vertriebskanal die Bestellung erfolgt. Diese Auswahl fĂŒr HĂ€ndler und Verbraucher habe "Amazons Wettbewerbsvorteil in den USA fundamental geschwĂ€cht", zitiert die Klage wieder aus einem Amazon-Dokument. SFP reduzierte nicht nur Amazons Einnahmen aus Lieferspesen, sondern schaffe eine Grundlage fĂŒr unabhĂ€ngige Lieferdienste, zu wachsen und Skalenvorteile zu erreichen. Die damit ermöglichten niedrigeren Lieferspesen könnten in der Folge anderen Online-Shops zugutekommen.
Amazon stoppte 2019 Neuanmeldungen fĂŒr SFP. Der Konzern begrĂŒndet dies heute mit schlechten Erfahrungen; SFP-Teilnehmer hĂ€tten 2018 viel seltener Zustellung binnen zwei Tagen versprochen als HĂ€ndler, die fĂŒr FBA bezahlten. Die Klage fĂŒhrt aus, dass HĂ€ndler, die Dritte beauftragt haben, im letzten Quartal des SFP-Programms die Versandauflagen zu 99,8 Prozent erfĂŒllt hĂ€tten. Amazon hĂ€lt diese Darstellung fĂŒr irrefĂŒhrend und verweist darauf, dass es SFP wieder anbietet. Unter neuen Bedingungen.
- UrsprĂŒnglich veröffentliche Version der Klage FTC et al v Amazon, Az. 23-cv-01495, mit umfangreichen SchwĂ€rzungen [4]
- Weniger geschwÀzte Version der selben Wettbewerbsklage gegen Amazon [5]

(Bild: Screenshot Amazon.com)
(ds [6])
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[1] https://www.heise.de/news/US-Wettbewerbsbehoerde-reicht-Kartellklage-gegen-Amazon-ein-9318245.html
[2] https://www.kantar.com/company-news/amazon-is-consumers-preferred-ad-platform-for-a-second-year-in-a-row
[3] https://www.heise.de/news/FTC-verklagt-Amazon-weil-es-Prime-Abo-aufdraengt-9194422.html
[4] https://www.heise.de/downloads/18/4/3/2/8/1/5/9/1910129AmazoneCommerceComplaintPublic.pdf
[5] https://www.heise.de/downloads/18/4/3/2/8/1/5/9/gov.uscourts.wawd.326809.114.0.pdf
[6] mailto:ds@heise.de
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